Kohleausstieg in der Lausitz - „Um die Kumpel mach' ich mir am wenigsten Sorgen“

Bund und Länder haben den Kohlekompromiss beschlossen. Die Städte in den Kohlerevieren sollen 40 Milliarden Euro bekommen für neue Arbeitsplätze. Warum dieser Plan zu scheitern droht, kritisiert die parteilose Bürgermeisterin von Spremberg, Christine Herntier

Prima Klima in der Lausitz? Umweltschutzaktivisten geht der Ausstieg aus der Kohle nicht schnell genug/ picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Christine Herntier ist studierte Betriebswirtin und Maschinenbauerin. Seit 2014 ist sie parteilose Bürgermeisterin der brandenburgischen Stadt Spremberg in der Niederlausitz. 

Frau Herntier, es wird Schluss sein mit dem Kohleabbau und der Kohleverstromung in der Lausitz. Ist das der Anfang vom Ende der Region – oder die Chance, sich als Region neu zu erfinden?
Ich sehe es als Chance. Insofern war es ein wichtiger Schritt, dass der Bund und die Kohle-Länder die Vereinbarungen der Kohlekommission zum Ausstieg jetzt noch einmal bestätigt haben. Es gibt jetzt auch einen Ausstiegsfahrplan. Das muss sich aber alles im Strukturstärkungsgesetz widerspiegeln. Und es muss schnell gehen. Sonst können wir diese Chance nicht nutzen.

Klimaschützer kritisierten den Kompromiss. Dieser komme viel zu spät, sei zu teuer und führe noch zu einem Anstieg der CO2-Emissionen. 
Ich habe diese Kritik schon wahrgenommen. Aber das muss ja auch alles umgesetzt werden. In dem Papier steht, dass man sich 2026 und 2029 nochmal anschaut, ob man den Ausstieg eventuell noch vorziehen kann. Es steht auch drin, dass der Hambacher Forst nicht abgeholzt wird. Es ist wie immer: Jede Seite bekommt etwas, aber niemand bekommt alles.

Wenn Sie fordern, dass es jetzt schnell gehen muss, denken Sie an die Arbeitsplätze, die mit dem Kohleausstieg verloren gehen. Wieviele sind das in Ihrer Region?
Es hängen 8.000 Jobs direkt an der Kohle- und Energie-Industrie und circa 20.000 in deren Umfeld. In der Lausitz ist das der bestimmende Industriezweig. Wenn dort nicht ganz schnell Ersatzindustrie-Arbeitsplätze geschaffen werden können, wird der ohnehin schon dramatische demographische Wandel noch verschärft. 

Die Region blutet weiter aus, weil junge Leute abwandern?
Genau. Damit das nicht geschieht, ist es erforderlich, dass die Instrumente des Strukturwandels wie Investitionszulagen und Sonderabschreibungen im Strukturstärkungsgesetz verankert werden. Damit etwa Unternehmen, die hier investieren, das steuerlich absetzen können. Wir hoffen sehr, dass das eine Mehrheit im Bundestag findet. 

In die Lausitz sollen fast die Hälfte der 40 Milliarden Euro fließen, die Bund und Länder für den Ausstieg vorgesehen haben. Wofür wird das Geld investiert?
Der Bund investiert 26 Milliarden Euro in die Infrastruktur, in den Ausbau von Straßen und Schienen. Gerade die Lausitz ist sehr schlecht an die Metropolen angebunden. Die 14 Milliarden Euro von den Ländern fließen in Projekte, die in den Revieren umgesetzt werden sollen. Exemplarisch dafür ist in meiner Stadt ein Wasserstoff-Kraftwerk. Das war unsere Idee. Und sie hat Zukunft. Woher soll denn die Energie kommen, wenn alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden? 

Aber ein Kraftwerk kann doch nicht die Lücke schließen, die der Bergbau und drei Kohlekraftwerke hinterlassen. 
Es ist ein Referenz-Kraftwerk, aber es soll hochskaliert werden auf die gesamte Lausitz, so dass man wieder eine nennenswerte Energieversorgung hat. 

Aber was ist mit den Arbeitsplätzen? In Spremberg fallen 2.500 Jobs durch den Ausstieg weg. 
Wir wissen, dass wir den Großteil selbst leisten müssen. Aber ohne besondere Rahmenbedingungen wird es nicht gelingen.

Christine Herntier / picture alliance 

Zwischen dem Kohle-Kompromiss und dem ersten Treffen des Bundes mit den vier Kohle-Ländern lag bereits ein Jahr. Haben Sie keine Angst, dass ihnen die Zeit davonläuft, wenn es in diesem Tempo so weitergeht?
Doch, natürlich. Ich war schon in der Kohle-Kommission. Und wir sind jetzt auch diejenigen, die pausenlos Druck machen. Zusammen mit meinen 58 Bürgermeister-Kollegen aus der Lausitz und mit unseren Kollegen aus dem rheinischen und mitteldeutschen Revier haben wir alle Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen abgeklappert. Wir waren im Bundesrat und in den Landtagen. Wir haben mit Abgeordneten geredet. Die Politik darf sich jetzt nicht verzetteln. 

Sie klingen wütend. 
Das bin ich auch. Von uns wird erwartet, dass wir uns komplett umstellten. Es kann doch nicht sein, dass alle anderen weitermachen wie bisher. 

Sie spielen vermutlich auf das Kohlekraftwerk Datteln 4 an. Das soll jetzt doch ans Netz gehen, während in der Lausitz zwei von drei Kraftwerken abgeschaltet werden. Fühlen Sie sich da verschaukelt?
Was soll ich dazu sagen? Das sind Verhandlungen des Bundes mit den Energieversorgern, in die waren wir nicht eingebunden.

Aber dieser Deal konterkariert doch das Ziel des Kohleausstiegs – den Klimaschutz. 
Na ja, aber wir müssen ja auch immer die Energieversorgung im Auge behalten. Die Grundversorgung wird nach wie vor durch die Kohle erbracht. Ich bin ja schon froh, dass wenigstens unser Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ bis 2038 weiterlaufen darf. Da habe ich als Bürgermeisterin tief durchgeatmet. 

Einige Gemeinden in der Lausitz haben schon begonnen, Löcher in den Abbaugebieten mit Wasser zu füllen und sich als Naherholungsziel zu profilieren. Tourismus und Energiewirtschaft, wie passt das eigentlich zusammen?
Das ist kein Widerspruch. Aber der Tourismus wird noch Jahrzehnte brauchen. Es ist ja keine gewachsene Landschaft, sondern eine gebaute. Er kann auch nicht die finanzielle Lücke schließen, die durch den Kohleausstieg entsteht. Die Jobs im Bergbau waren alle gut bezahlt. Im Tourismus gibt es nur Saison-Arbeitsplätze. Viel verdienen kann man da nicht. Uns geht es aber darum, die Wertschöpfung in der Region zu behalten. Deshalb hat die Schaffung von industriellen Jobs Vorrang. 

Für welche Branchen könnte der Standort attraktiv sein?
Ich fühle mich ein bisschen an die Nachwendezeit erinnert. Damals gab es auch viele Unternehmen, die angeklopft haben. Diesmal sind wir besser vorbereitet. In Spremberg haben wir uns im Industriepark „Schwarze Pumpe“ schon vor Jahren auf die Themen Papier, Recycling und Logistik fokussiert. Auch das Thema Gesundheit wird eine Rolle spielen, denn sie trägt maßgeblich zur Wertschöpfung in der Region bei. Mit Geld aus dem Kohle-Kompromiss soll an der Uni Cottbus der Zweig „Smart Hospital“ eingerichtet werden. 

Auch andere Institute und Behörden sollen in die Lausitz umziehen. Kritiker sagen, die Arbeitsplätze, die dadurch geschaffen würden, eigneten sich für hochqualifizierte Akademiker – aber nicht für arbeitslose Kumpel aus dem Bergbau. 
Die Kumpel haben alle Facharbeiter-Abschlüsse, sie sind Techniker und Ingenieure. Um ihre Motivation mache ich mir die wenigsten Sorgen.

Verteilt das Land das Geld direkt an die Gemeinden?
Das wäre schön. Es ist aber so, dass sich jede Kommune mit ihren Projekten bewerben muss. Dann entscheidet eine Kommission: Ist das Projekt förderwürdig oder nicht? Allerdings erwarten wir ein Mitspracherecht. Wir wissen schon, was für uns richtig ist. 

Heißt das, das Wasserstoffkraftwerk ist noch gar genehmigt?
Genau. Wir gehören zwar zu den 20 Gewinnern des Wettbewerbes „Reallabore der Energiewende“. Jetzt arbeiten wir aber erstmal an der Qualifizierung des Antrages gemeinsam mit unseren Partnern aus der Wissenschaft und Energieversorgung. Übrigens setzen wir dafür eigene Mittel im sechsstelligen Bereich ein. Wir wollen einen erfolgreichen Umbau der Energieversorgung mitgestalten. 

Bei der EU-Wahl und bei der Landtagswahl 2019 wurde die AfD stärkste Fraktion in Spremberg. Für die Partei war der Protest gegen den Kohleausstieg das Wahlkampfthema. Wie schwer ist es für Sie als Bürgermeisterin, um neue Arbeitsplätze zu kämpfen, wenn die AfD nicht müde wird, den Weltuntergang zu beschwören? 
Mit Untergangsszenarien ist keinem geholfen. Man kann den Wandel zu einer klimafreundlicheren Gesellschaft nicht mehr stoppen. Gottseidank bekomme ich für meinen Kampf viel Zustimmung von den Spremberger Bürgern und von den betroffenen Energieversorgungsfirmen. 

Der Energie-Versorger Leag hat die AfD im Dezember von der traditionellen Barbara-Feier für die Bergleute wieder ausgeladen, weil sie, so die Begründung, Stimmung mache gegen den Kohleausstieg. Bekommen Sie das im Stadtrat gar nicht zu spüren?
Der Erfolg der AfD rührt nicht nur vom Protest gegen den Kohleausstieg. Ich kann denen das nicht verbieten. Ich kann den Bürgern von Spremberg nur durch gute Arbeit und gute Projekte zeigen, dass es auch ein Leben nach der Kohle gibt. Unser Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe hat noch eine Laufzeit bis 2038. Bis dahin müssen wir die Instrumente bekommen, um vernünftigen Ersatz zu schaffen. Natürlich gibt es da Skepsis. Aber für die AfD wird Spremberg zur Nagelprobe. 

Warum?
Ich bin gespannt, wie sich die Fraktion zum Wasserstoff-Kraftwerk positioniert. Das wird interessant. Lehnt sie eine solche Zukunftstechnologie schon aus Prinzip ab? Oder erkennt sie an, dass es am Ende darum geht, die Energieversorgung zu sichern – und gut bezahlte Arbeitsplätze.

Was wäre, wenn sie es ablehnen würde?
Das wäre doch entlarvend.

Anzeige