Klimawandel - „Greta Thunberg hat in China große Aufregung verursacht“

Der Umweltökonom und Forscher Dabo Guan erhebt Daten über Emissionen einzelner Personen und ganzer Städte. Ein Gespräch über die richtigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels

Ihre Forderungen kommen auch im Rest der Welt an: Greta Thunberg / picture alliance
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Autoreninfo

Helena Truchla lebt in Tschechien und arbeitet als Journalistin für die Zeitungen aktualne.cz und Hospodarske noviny daily newspaper.

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Professor Dabo Guan ist Umweltökonom an der University of East Anglia in Großbritannien und forscht am St. Edmund’s College der University of Cambridge. Cicero traf ihn während der Wissenschaftskonferenz Falling Walls in Berlin.

Herr Guan, Greta Thunberg segelte auf einem Segelboot zum UN-Klimagipfel in New York. Wie sind Sie von London nach Berlin gekommen?
Ich bin geflogen.

Warum?
Es spart Zeit. Und ehrlich gesagt schäme ich mich nicht dafür. In vielen Aspekten des Alltags haben wir eine Wahl. Was wir verbrauchen, wie wir uns bewegen, welchen Lebensstil wir führen. Wir müssen einen Lebensstandard sicherstellen, der einem angemessenen Verbrauchsniveau entspricht. Natürlich verursacht so ein Standard auch Kohlendioxidemissionen. Jeder auf diesem Planeten belastet die Natur. Das allein ist aber nicht schlecht, und für mich persönlich ist es keine Frage der Wahl, ob ich fliegen soll. Aber wir können alles begrenzen.

In dem Fall, was verstehen Sie unter „angemessenem Verbrauch“?
Es gibt keine genaue Berechnung für „Grundbedürfnis“, „Leben“ oder „würdiges Leben“. Deswegen versuchen wir jetzt, eine Formel zur Berechnung der von Menschen verursachten Emissionen mit einem angemessenen Verbrauchsniveau zu formulieren.

Was sollte so eine Formel alles einschließen?
Vier Grundbedürfnisse der Menschen: Nahrung, Kleidung, Transport und Lebensraum. Jedes von ihnen beinhaltet verschiedene Indikatoren. Zum Beispiel die tägliche Aufnahme von Nahrung  unter Berücksichtigung der kulturellen Gewohnheiten des Landes, in dem die Person lebt. Die Deutschen werden mehr Emissionen haben, die von Verkehr verursacht werden, als die Inder. Daher kann die Menge der Emissionen, die unter Wahrung eines menschenwürdigen Lebens notwendig erzeugt werden, in Indien geringer sein. Und das ist in Ordnung. Einzelpersonen können das System nicht ändern.

Wie erklären Sie den Menschen dann, dass sie zu viel konsumieren?
Wir werden Empfehlungen veröffentlichen, und wenn wir genug Geld haben, dann machen wir auch einen Online-Rechner. Da wird man dann zum Beispiel Berlin auswählen, eingeben, was man isst, wie groß die Wohnung ist – und so weiter. Auf dieser Basis können wir dem Verbraucher Tipps geben, wie er oder sie seinen Emissionsfußabdruck effektiv reduzieren könnte.

Wie viele Städte auf der Welt möchten Sie abdecken?
Wir werden auf Länderebene beginnen und dann mit hundert globalen Hauptstädten fortfahren. In fünf Jahren sollten wir mindestens 200 bis 300 Städte abdecken. Das Ziel ist es, einen globalen Datensatz von Städten zu erstellen.

Haben Sie ausreichend Daten darüber, wie viel Emissionen in den Städten entstehen?
Nicht wirklich, das ist das Problem. Die Mehrheit der Städte der Welt verfügt über keine vollständige Bestandsaufnahme der von ihnen erzeugten Emissionen. Es ist auch sehr schwer zu erstellen: Menschen bewegen sich, Autos bewegen sich ...

Wie wird es auf nationaler Ebene gemessen?
Jeder Staat weist aus, wie viele fossile Brennstoffe er verbraucht. Kohle, Öl, und so weiter. Der Rest wird verlagert. Daraus lässt es sich berechnen. Kraftwerke und Industrieanlagen geben auch an, wie viel Emissionen sie produzieren. 

Dabo Guan
Dabo Guan 

Dabei müssten die Verwaltungsorgane mit Ihnen zusammenarbeiten. Haben Sie schon Erfahrung damit, ob sie dazu bereit sind?
Nein, noch nicht. Wir sind Akademiker, wir verlassen uns daher auf öffentlich verfügbare Daten. Wir sammeln, verarbeiten sie und stellen sie in nutzbarer Form zur Verfügung.

Sind die Städte bereit, Ihre Daten zu nutzen?
Ja, in Shanghai werden unsere Daten bereits als Grundlage für genauere Emissionsberechnungen verwendet.

Und in Europa?
Dänemark hat gute nationale Daten. Aber Japan ist mit Abstand auf dem ersten Platz. Da werden die Emissionsdaten für einzelne Städte bereits erfasst. Es geht aber nicht nur um Verfügbarkeit, sondern auch um Transparenz der Daten. Die Internationale Energieagentur vergleicht 190 Länder, aber wie genau entstehen die Daten in den einzelnen Ländern? Niemand weiß es genau. Wir versuchen daher, neben der Verfügbarkeit von Daten auch transparent zu halten, wie sie zustande kommen.

Die Erde wird wärmer und trockener. Das sind Veränderungen, die unser Leben im Zweifel weniger angenehm machen. Die Menschheit trifft die notwendigen Maßnahmen aber nicht, um diese Prozesse zu verlangsamen oder zu stoppen. Warum nicht?
Ich denke, das Grundproblem ist, dass viele Regierungen glauben, dass Klimaschutzmaßnahmen der Wirtschaft schaden werden. Sie setzen keinen Anreiz, sie zu fördern. Schauen wir uns zum Beispiel Indien oder China an, wo viele Menschen immer noch in Armut leben: Elektrifizierung und Industrialisierung haben Priorität. Sie brauchen wirtschaftliches Wachstum. Sie sind aber auch der Luft- und Umweltverschmutzung ausgesetzt. Das ist ein Problem.

Das Argument, dass weitreichende Maßnahmen erst funktionieren, wenn bevölkerungsreiche Länder wie China wirksamer gegen die Klimakrise vorgehen, taucht häufig auf. Stimmt das?
Nein. Ich stimme jedoch zu, dass die Abschwächung des Klimawandels in den Händen der Länder des sogenannten globalen Südens liegt. Es kommt darauf an, was in China, Indien, Indonesien und in Zukunft auch in afrikanischen Ländern passiert.

In China ist jetzt die erste Generation reich geworden, die in einer globalisierten Welt aufgewachsen ist. Diese Menschen wollen genau so viel konsumieren wie die Leute im Westen. In Bezug auf die Ressourcenverfügbarkeit ist es aber nicht realistisch, dass 1,3 Milliarden Chinesen und 1,2 Milliarden Inder unseren Lebensstil leben. Gleichzeitig es ist auch unethisch, ihnen zu sagen: Ihr dürft nicht so schön leben wie wir. Was kann also getan werden?
Ich denke, der einzige Weg ist, ein Vorbild zu sein. In den westlichen Ländern nachhaltig zu leben, darüber zu reden, es zu verbreiten. Zu sagen: Die Art, wie wir vorher gelebt haben, war falsch. Wir gehen jetzt einen neuen Weg.

Also wie wir uns hier in der Europäischen Union verhalten, wenn wir Wasser sparen, Plastik reduzieren, hat wirklich Auswirkungen auf der anderen Seite der Welt?
Ja, schon. Greta Thunberg hat in China große Aufregung verursacht. Ich sage nicht, dass alles, was sie tut, richtig ist, aber aber es kommt dort an.

Glauben Sie, dass sich auch eine Verhaltensänderung eines Einzelnen positiv auf das Klima auswirken kann?
Ja.

Könnte der Einzelne also – nur mit seinem alltäglichen Verhalten – einen Unterschied machen?
Dinge wie Steuern können nicht viel ändern. Die Leute würden aufhören, die jeweilige Regierung zu unterstützen. Ich denke, dass Anreize besser sind. Es gibt einige Supermärkte, in denen erhalten Sie Anreize für den Kauf von nachhaltigen Produkten. Oder Aktionen, dass, wenn Sie mit dem Zug statt Flugzeug reisen, Sie umsonst fahren. Solche Anreize können auch von privaten Unternehmen geschaffen werden. 

Wenn Sie ein Berater einer europäischen Regierung wären. Welche drei Ratschläge würden Sie ihr zuerst geben?
Als Ökonom würde ich ihnen wahrscheinlich empfehlen, Investoren zu nachhaltigem Verhalten anzuregen. Technologische Entwicklung zu unterstützen. Zweitens, Menschen mit positiven Anreizen für ein umweltfreundlicheres Verhalten zu motivieren. Schließlich sollten nationale, regionale und städtische Regierungen Emissionsdaten erheben und gleichzeitig eine Methodik veröffentlichen.

Die Fragen stellte Helena Truchla

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