Klaus-Robert Müller - Spritgeber der Revolution

Der Informatiker Klaus-Robert Müller ist ein stiller Star der Digitalisierung. Er bringt Maschinen das Denken bei, damit sie schon bald viele Menschen arbeitslos machen

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Klaus-Robert Müller ist in Berlin stellvertretender Leiter des Big Data Centers geworden / Jun Michael Park
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Wann übernehmen Maschinen unsere Jobs? Diese Frage treibt Forscher aus allen Bereichen der Wissenschaft um. Ingenieure, Ökonomen, Sozialwissenschaftler und Juristen kommen alle zu dem mehr oder weniger gleichen Ergebnis: sehr bald. Schuld daran, dass es noch schneller gehen könnte, ist auch Klaus-Robert Müller. Obwohl fast niemand den Forscher mit jungenhaftem Gesicht kennt. Müller ist Professor für Theoretische Informatik an der Technischen Universität Berlin. Entscheidender aber ist der unscheinbare Hinweis auf dem Schild an seiner Bürotür. „Leiter Fachgebiet maschinelles Lernen“ steht da. Müller bringt Maschinen das Denken bei. 

Computersysteme, die in Smartphones, Autos oder Maschinen zum Einsatz kommen, erzeugen riesige Datenmengen. Um diese Big-Data-Ströme auswerten und verstehen zu können, braucht es automatisierte Verfahren. Und es braucht die Algorithmen, die aus Beispieldaten lernen können, die neue Information entdecken und aus der Rückschau auf die historischen Daten Voraussagen für die Zukunft treffen können.

Forschung von größter Relevanz

Nach solchen Algorithmen sucht Müller, täglich. Das Zusammenwirken von Mensch und Maschine, das autonome Fahren und auch die medizinische Diagnostik hängen davon ab. „Habe ich einen Algorithmus gefunden, füttere ich ihn an die Maschine, sodass sie herausfindet, wie die Dinge zusammenhängen.“ Müller gehört weltweit zu den bedeutendsten Forschern. Er hat Ansätze von höchster wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz entdeckt und geprägt.

Am deutlichsten wird das bei der Entwicklung von Schnittstellen zwischen Computern und dem Gehirn. Dazu bekommen etwa gelähmte Patienten eine Kappe auf den Kopf, in der Elektroden die Gehirnströme messen. Vor den Augen des Patienten ziehen Buchstaben vorbei. Entscheidet er sich für ein „E“, erkennt die Maschine den Gedankengang. So können, vereinfacht gesagt, komplett Gelähmte wieder kommunizieren. Eine andere Technik, die auch, aber nicht nur für die Medizin einen großen Fortschritt bedeutet, sind die sogenannten Support Vektor Maschinen. Durch diese mathematischen Verfahren lernen Maschinen, Daten zu klassifizieren und Muster in großen Datenmengen zu erkennen. 

Der wissenschaftliche Durchbruch

Natürlich sind seine Forschungen auch für die Industrie äußerst interessant. Müller versucht zum Beispiel herauszubekommen, wie das Hirn komprimierte Videoinhalte verarbeiten kann. Idealerweise würde man wie bei der MP3-Technik das Videosignal dort stark komprimieren, wo man eh nichts wahrnimmt, sodass weniger Bits bei der Übertragung eines Videos benötigt werden. „Könnte man die benötigten Bits um knapp ein Prozent reduzieren, würde man bereits die Energie von mehreren Kernkraftwerken einsparen“, sagt Müller. 

Der Forscher selbst spricht darüber per Videoübertragung, über Skype aus einem Lehrraum der Korea Universität in Seoul. Hinter ihm ein Whiteboard, bedeckt mit lauter Formeln. In Südkorea hat Müller eine hoch dotierte Gastprofessur inne. Zu Asien, wo auch die großen Elektronikkonzerne sitzen, hat er eine besondere Affinität. Zwei Jahre nach der Promotion in seiner Geburtsstadt Karls­ruhe wechselte er 1994 in das Labor von Shun’ichi Amari an der Universität Tokio. Amari, der unter Informatikern als Legende gilt, wurde sein Mentor. „Für meine wissenschaftliche Laufbahn war das der absolute Durchbruch.“

Klassisches Forscherdilemma

Seitdem hat der 52-jährige Vater von zwei Kindern zahlreiche Forschungspreise gewonnen. Müller ist in Berlin stellvertretender Leiter des Big Data Centers geworden und Mitglied der nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina. Dort leitet er die Arbeitsgruppe zu Big Data und Privatheit. Dass er trotzdem nur Experten bekannt ist, liegt wohl auch an dem Understatement, mit dem er über sich selbst spricht. Aus der Relevanz seines Forschungsbereichs jedoch macht er keinen Hehl. „Wir befinden uns in einer neuen Revolutionsphase, die im Vergleich zur industriellen Revolution den Faktor 3000 hat.“ Das maschinelle Lernen sei dahinter die treibende Kraft und er selbst sei „ein Spritgeber“.

Von Maschinen ersetzt zu werden, droht vor allem solchen Arbeitnehmern, deren Tätigkeit potenziell automatisierbar ist. Industrielle Tätigkeiten gehören dazu, aber auch Dienstleistungen. Laut einer Studie der Oxford Universität könnten davon die Hälfte der Jobs in den USA betroffen sein. Dass sich nicht alle darüber freuen, ist Klaus-Robert Müller bewusst. Er weiß, dass er sich in einem klassischen Forscherdilemma befindet. Er treibt Entwicklungen voran, die für manche verheerende Folgen haben können. Letztendlich aber lasse sich die Transformation nicht aufhalten. „Das ist kein Problem des maschinellen Lernens, sondern eine Frage, die gesellschaftlich begriffen und beantwortet werden muss.“

 

Dieser Text stammt aus der Februarausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.  

 

 

 

 

 

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