Jürgen Trittin - Ungleichheit zu verringern, ist nicht totalitär

Alexander Grau bezeichnete die Forderungen von Jürgen Trittin nach mehr Gleichheit als „moralapostolischen Fetisch“. Hier antwortet ihm der Ex-Bundesumweltminister

Zelte für Obdachlose in Berlin / picture alliance
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Jürgen Trittin ist Bundesminister a.D. und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. 

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Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll. Über die völlige ökonomische Ignoranz oder die neodogmatische Schwarz-Weiß-Malerei von Alexander Grau.

Dass ökonomische Ungleichheit zyklisch globale Finanzkrisen gebiert, ist ihm keinen Gedanken wert. Die Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts, das Platzen der New-Economy-Blase und die Finanzmarktkrise von 2009 haben Prozesse ausgelöst, die Millionen in die Arbeitslosigkeit stießen, Unternehmen zusammenbrechen ließen, Staaten überschuldeten. Ihnen allen schmettert Alexander Grau entgegen, das Verfahren sei gerecht. Es sei nicht Aufgabe des Staates für Ergebnisgerechtigkeit zu sorgen.

Das kommt davon, wenn man die globalisierte Finanzwirtschaft mit einem Amtsgericht vergleicht.

Tatsächlich ist es Aufgabe des Staates, für Spielregeln zu sorgen. Teil dieser Spielregeln muss eine Begrenzung der ökonomischen Ungleichheit sein. Nicht nur wegen der Stabilisierung der Wirtschaft. Eine Welt, in der eine Busladung von 62 Milliardären so viel besitzt wie die 3,5 Milliarden Menschen der ärmeren Hälfte der Welt, ist nicht nur schreiend ungerecht. Sie ist auch keine sichere Welt.

Gerechtigkeit und Gleichheit sind nicht dasselbe

Man muss sich nur die rohstoffexportierenden Länder dieser Welt anschauen. Rohstoffreichtum und Armut der Bevölkerung gehen hier häufig Hand in Hand. Abgesehen von Norwegen und Botswana sind sie durchgehend von bad governance und Korruption geprägt. Es handelt sich vielfach um zerfallende oder zerfallene Staaten.

Gerechtigkeit und Gleichheit sind nicht dasselbe. Extreme Ungleichheit produziert nicht nur regelmäßig ungerechte Ergebnisse, sondern unterminiert somit auch die Legitimierung durchs Verfahren.

Dass die Minderung der Ungleichheit die Legitimität der Verfahren stärkt, ist keine totalitäre Idee. Sie stammt auch nicht aus dem Fundus der dem Alexander Grau so grauenvollen 68er. In Wahrheit stammen sie aus der Denkschule des Ordoliberalismus. Ein gewisser Ludwig Erhard hat sie mal in dem Slogan „Wohlstand für Alle“ zusammengefasst – als Konsequenz der Erfahrung des totalitären Regimes des deutschen Nationalsozialismus.

Nicht totalitär, sondern liberal

„Wohlstand für Alle“ hieß die Teilhabe aller an der wirtschaftlichen Wertschöpfung einer Gesellschaft. Sie ist nicht Gleichmacherei, wie es das Schwarz-Weiß-Denken des Grau uns weismachen will, sondern Teilhabe. Diese Teilhabe ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgedrängt worden – wofür die seit den siebziger Jahren gesunkene Lohnquote ebenso ein Ausdruck ist wie die gewachsene Einkommens- und Vermögensungleichheit in den Ländern des demokratischen Kapitalismus. Auch in Deutschland.

Doch nicht nur die Ungleichheit ist gewachsen. Auch die Gerechtigkeit hat gelitten. Die Menschen in Spanien, Portugal und Irland fanden es überhaupt nicht gerecht, dass in Folge der Übernahme von Bankenschulden ihre – zuvor niedrige – Staatsverschuldung explodiert ist. Und noch weniger gerecht finden sie es, dass sie die Finanzierung dieser Schulden nun durch Kürzung ihrer Pensionen und Krankenversicherungen bezahlen sollen. Weshalb sie dieser Ungerechtigkeit durch Abwahl der Regierungen ein Ende bereiten wollen. Nur haben sie da die Rechnung ohne das deutsche Austeritätsregime in Europa gemacht.

Ungerechtes Steuersystem

Vielleicht lässt sich Alexander Graus Horror vor einer Besteuerung extrem hoher Vermögen ja aus seinem Staatsbild erklären. Wer staatliche Investitionen in Bildung, digitale und energetische Infrastruktur sowie die Einstellung von Polizisten als „allerlei Wohltaten“ abtut, der wird noch gegen jede Form der solidarischen Gemeinschaftsfinanzierung wettern.

Weiter schreibt er: „Es geht um gerechte Spielregeln, nicht um ‚gerechte‘ Ergebnisse“ – stimmt. In Deutschland gilt der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Ist es also gerecht, dass die Kapitaleinkommen über die Abgeltungssteuer mit 25 Prozent, Arbeitseinkommen über die Einkommenssteuer aber mit bis zu 42 Prozent besteuert werden? Und wie ist die faktische Steuerfreiheit des leistungslosen Einkommens bei Erben mit den gerechten Spielregeln zu vereinbaren? Gar nicht – wie man im Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachlesen kann.

Ungerechtigkeiten wie diese befördern die Ungleichheit. Wer von Gleichheit nicht reden will, redet die Ungerechtigkeit schön.

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