iPhones und Geopolitik - Die Vergangenheit, made by Apple

Beim Besuch eines Apple-Stores kann man viel über erfolgreiche Zukunftskonzepte lernen. Es geht weniger um schöpferische Zerstörung als darum, die Evolution der Dinge auf durchdachte Weise zu steuern.

Flagship-Store von Apple in New York / picture alliance
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Vor ein paar Tagen ist mein Telefon – ein zehn Jahre altes iPhone 6 – verendet. Genauer gesagt: Es funktionierte zwar noch als reines Telefon, aber viele andere Dinge, die ich von ihm erwartete, hatten ihren Dienst aufgegeben. Es konnte zum Beispiel nicht mehr auf meine Banking-App zugreifen.

Es scheint, dass die Bank eine neue Version der App herausgegeben hatte, die ich auf meinem antiken iPhone 6 nicht anwenden konnte; die alte war offenbar deaktiviert worden. Die App wurde jedenfalls von meinem altehrwürdigen Betriebssystem nicht mehr unterstützt, und mit hochmütiger Verachtung wollte die Bank keine Geschäfte mehr mit einem Telefon machen, das bei vielen Meetings und Familienurlauben dabei gewesen war.

Ich fragte unseren IT-Leiter, wie man das Problem lösen könne, und er sagte mit kaum verhohlener Schadenfreude, dass es keine Hoffnung gebe: Ein neues Telefon müsse gekauft werden. Kichernd schickte er den Link zum nächsten Apple-Store mit.

Um etwas im Apple-Store kaufen zu dürfen, muss man eine Reservierung vornehmen. Die Begründung dafür lautet, so würde die Verbreitung von Covid-19 verhindert. Aber ich vermute, dass der wahre Zweck darin besteht, zu testen, inwieweit man wirklich würdig ist, ein Apple-Produkt zu besitzen. Meine Frau machte einen Termin, und wir waren pünktlich da. Es gab eine Schlange, die den Gesetzen der Natur und der sozialen Distanzierung unterlag. Unsere Körpertemperatur wurde gemessen, und wir schoben uns vorwärts, wobei wir in einer Formation von Linien zusammenliefen, die ich nicht verstand.

Schließlich sagte jemand, der auf seinen Computer starrte: „Friedman“ – und wies uns an, annähernd den Laden zu betreten, aber nicht ganz, bis uns ein anderer Mann entgegenkam. Meine Frau begleitete mich, weil sie glaubt, dass eine weibliche Verkäuferin mir alles zu jedem Preis verkaufen kann. Unwahr, aber ohnehin irrelevant. Der Verkäufer war nämlich ein Mann.

Würdig genug für ein Apple-Produkt?

Auf mich wirkte es so, als ob über allem die Frage schwebte: „Sind Sie gut genug, um ein Apple-Produkt zu besitzen? Haben Sie das Zeug dazu?“ Es gab kein nachdenkliches Stöbern, kein Stochern in Kisten und kein Anheben von Dingen, die nicht angehoben werden sollten. Der Kunde steht zu jeder Zeit unter Beobachtung. Ich kann Ihnen versichern, dass es im Pentagon viel lockerer zugeht als hier. Ich habe mich gefragt, wie Apple so erfolgreich sein kann, wenn man dort Kunden wie Bittsteller behandelt.

Natürlich weiß ich, warum Apple so erfolgreich ist. Ich liebte mein iPhone 6, weil es tat, was ich brauchte. Es ging nicht kaputt, selbst wenn es herunterfiel, und es konnte angerufen und über den Klingelton geortet werden (ja, ich benutzte einen Klingelton am Telefon), wenn ich es verlor – was mehrmals am Tag der Fall war. Man konnte mit ihm telefonieren, E-Mail oder SMS (die ich verabscheue) verschicken und es verfügte über eine unnötige, aber unauffällige Kamera. Außerdem konnte ich die Berichte des nationalen Wetterdienstes damit abrufen.

Kurzum: Es tat, was ein Telefon tun sollte und noch ein paar andere Dinge mehr. Aber das Beste von allem war, dass es in meine Hosentasche passte (wenn ich es nicht mal wieder verloren hatte).

Und genau deswegen fürchtete ich mich vor diesem Videospiel-fähigen, Netflix-verknüpften, Echokardiogramm-kompatiblen, Lautsprecher-für-die-Toten-Megalithen, den ich im Begriff war zu kaufen. An dieser Stelle kommt aber auch das wahre Genie von Apple zum Vorschein. Ich reichte unserem Verkäufer mein altes Telefon und sagte schluchzend: „Es ist kaputt!“ Er antwortete, dass es ihm leid täte (was weniger ehrenvoll als traurig klang) und fragte, was ich wolle. Ich sagte ihm, ich wolle einfach nur das gleiche Telefon kaufen. Genau das gleiche Telefon.

Darauf wollte er wissen, in welcher Farbe. Verblüfft sagte ich: schwarz. (Welche andere Farbe sollten Telefone haben?) Er reichte mir mein Telefon, ein iPhone 8, alles glänzend und neu, und es sah auch im eingeschalteten Zustand aus wie mein altes. Im Inneren war es zwar anders, und der Verkäufer zählte mir die vielen Features auf. Aber der einzige Vorteil für mich bestand darin, dass ich nichts Neues lernen musste.

Fords Erfolgsrezept

Das erinnert mich an Ford. Einer seiner vielen Geniestreiche bestand darin, dass er das Autohaus erfand, das anderen gehörte. Autohäuser, die sich über das ganze Land verteilten und ihre Waren verkauften und reparierten. Das Geniale an Apple ist, dass es nicht in den Fortschritt verliebt ist in dem Sinne, dass neue Dinge auf neue Art und Weise zu tun wären. Es geht weniger um schöpferische Zerstörung als darum, die Evolution der Dinge auf durchdachte Weise zu steuern.

Anders ausgedrückt: Der Fortschritt findet neue Wege, Dinge zu tun, aber er schüttet das Kind nicht mit dem Bade aus. Die Vermarkter von Apple haben klar verstanden: Die Leute wollen, dass Handys die Dinge tun, für die sie gedacht sind, und dass die Anzahl der anderen Dinge, die sie tun können, begrenzt werden, um den Aufwand zu minimieren, der nötig ist, um das verdammte Ding zu benutzen. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob Apple den Weg von Blackberry gehen würde, um zwischen einem Musikverkäufer, einem Kreditkartenabzocker und einem Anbieter von überflüssigem und überteuertem Fortschritt zu scheitern.

Aber die Firma wusste genau, was sie tat. Und ich weiß das, weil Apple mein zehn Jahre altes Handy auf den neuesten Stand gebracht und vorausgesehen hat, dass die Apps mich letztendlich dazu zwingen würden, in den Laden zu gehen und freudig dasselbe zu kaufen, was ich besaß und liebte.

Der Fortschritt ist das Geschenk der Aufklärung an uns, welches es der Vernunft erlaubt, die menschlichen Bedürfnisse zu bestimmen und der Wissenschaft, sie zu realisieren. Es ist immer einfacher, vermeintliche Bedürfnisse zu erfinden und sie zu erfüllen, als in die Tiefe zu schauen und Dinge zu entdecken, die der Mensch an einem bestimmten Punkt der Geschichte wirklich haben muss. Außerdem lässt sich damit mehr Geld verdienen.

Die Effizienz vertrauter Dinge

Edison, Ford, Rockefeller – sie wussten, was Elektrizität, Autos und Öl bewirken würden. Ford wusste es so gut, dass er mit seinem Ausspruch berühmt wurde, die Kunden könnten ein Auto in jeder Farbe kaufen, solange es schwarz sei. Edison blieb bei einer Sache, der Elektrizität, und erschuf damit eine neue Welt. Rockefeller wusste, dass Kohle nicht genug war. Blackberry hingegen verstand nicht, dass E-Mail nicht genug war. Steve Jobs wiederum hatte antizipiert, was möglich war. Das von ihm gegründete Unternehmen erkannte, was die spätere Autoindustrie nicht vermochte – dass nämlich Dinge, die alt und vertraut sind, durchaus nützlich und effizient und sogar beruhigend sein können.

Beim Besuch im Apple-Store kann man eine Menge lernen, und es gibt vieles, was ich beim Erfolgsrezept von Apple übersehen habe. Aber ich besaß mal einen Plymouth Valiant, der dasselbe tat, was mein Lexus jetzt für viel weniger Geld kann. Es war ein tolles Auto, und ich würde es (der Illusion meiner Jugend wegen) sofort wieder anschaffen. Aber Chrysler stellte die Produktion ein und ersetzte das Modell durch nichts Besonderes.

Die Zukunft anzustreben und gleichzeitig die Vergangenheit zu bewahren, ist eine Fähigkeit, die den meisten neuen Unternehmern fehlt. Sie versuchen, die Vergangenheit zu überwinden, ohne die Tugenden zu erkennen, die darin liegen, das Alte neben dem Neuen zu verkaufen.

Es gibt viele Dinge, die bei Apple falsch sind, und viele Dinge, die richtig sind. Ich weiß nicht genug über Apple, um eine Meinung über das Ganze zu haben. Aber dieser Aspekt hat mich beeindruckt. Ich sah dort eine Schlauheit am Werke.

Ich besitze keine Aktien von Apple. Ich hatte mal welche, habe sie aber verkauft, weil ich dachte, dass sie ihren Zenit überschritten hätten. Ich dachte auch, dass die Kamera im Handy ein verzweifelter Versuch war, eine untergehende Industrie wiederzubeleben. Bei solchen Themen sollte man mich also weitgehend ignorieren. Aber wo die meisten Unternehmen die Vergangenheit überwinden wollen, sieht Apple deren Tugend und baut sie lediglich um. Und während die Vereinigten Staaten vorwärts gehen, sollte dies im Hinterkopf behalten werden.

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