Greta Thunberg zu Gast bei „Anne Will“  - Auf dem Sofa die Welt retten?

Greta Thunberg, die 16-jährige Anführerin der Bewegung „Fridays for Future“, war der Stargast bei „Anne Will“. Doch die Sendung enttäuscht. Denn Thunberg nahm gar nicht Teil an der Diskussion. Und die Politiker machten das Thema Klimawandel zum Kasperle-Theater

Am Samstag gab Greta Thunberg noch Autogramme bei „Der goldenen Kamera“, am Sonntag war sie bei Anne Will / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Achtung, diese Ausgabe der Talkshow von Anne Will enthält zu 75 Prozent dicke Luft! Ihr Ausstoß an Phrasen erreichte ein Level, das man als bedenklich, wenn nicht gar als gesundheitsgefährend einstufen muss. Gäbe es eine Art Rauchmelder, der über einer bestimmten Schwelle Alarm auslöst, man hätte kein Wort mehr verstanden – die Sendung wäre im Piep, Piep, Piep untergegangen. Aber das lässt sich offenbar nicht vermeiden, wenn es um ein Thema geht, das die Deutschen derzeit so bewegt wie kaum ein anderes – den Klimawandel.

Greta Thunberg, 16, war bei Anne Will. Zwar nicht live-haftig, aber im Einspieler eines vorab aufgezeichneten Interviews. Das Mädchen mit den Pippi-Langstrumpf-Zöpfen, das an einem Freitag im August 2018 die Schule schwänzte, um sich vor das Parlament in ihrer Heimatstadt Stockholm zu setzen und für die Rettung des Klimas zu protestieren. So will es die Legende. Eine Geschichte, fast zu schön, um wahr zu sein. Anne Will hakt im Interview kritisch nach, aber sie stellt die Legende nicht in Frage.

Hinter Thunberg stehen mehrere Leute

Nein, sie werde nicht manipuliert, versichert Greta im geschliffenem Englisch, und ihr Blick geht ins Leere. Ja, sie schreibe ihre Reden selber. Sie suche aber Rat bei Wissenschaftlern. Nein, ihre Eltern würden es nicht gutheißen, dass sie dafür die Schule schwänze. Ihre Antworten sind messerscharf, aber sie klingen wie auswendig gelernt. Vielleicht liegt das an dem Asperger-Syndrom, mit dem Greta zur Welt kam. Sie sagt, diese Form des Autismus führe bei ihr dazu, dass sie die Welt schwarz-weiß sehe. „Entweder man lebt nachhaltig – oder nicht.“ 

Redet so eine Ikone? Oder ein Mädchen, das von den Eltern, der Vater Drehbuchautor und Schauspieler, die Mutter Opernsängerin, gemanagt wird? Hinter Greta steht ein Stab. Sollte es daran noch irgendeinen Zweifel gegeben haben, dann hat ihn dieser Auftritt ausgeräumt. Es wird Wasser auf die Mühlen derer sein, die die 16-jährige als Jeanne d‘Arc der Umweltbewegung verspotten und die leugnen, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Aber nimmt ihr das auch schon die Glaubwürdigkeit?

Inzwischen ist Greta nicht mehr allein. Jeden Freitag machen es ihr 1,5 Millionen Schüler auf der ganzen Welt nach – auch in Deutschland. Was hierzulande die Frage aufgeworfen hat, ob die das dürfen. „Streiken statt pauken – ändert die Generation Greta die Politik?“

Habeck als Kasper, Haseloff als Krokodil

Nach dem Kasperle-Theater in dieser Sendung muss man sagen: Sie müssen es sogar. Denn von der Politik ist derzeit keine Unterstützung zu erwarten. Neben Robert Habeck, dem Chef der Grünen, war auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) da, der den für 2038 angepeilten Kohle-Ausstieg als Mitglied der Kohle-Kommission mitzuverantworten hat. Der Kasper und das Krokodil. Habeck hat naturgemäß kein Problem damit, dass die Schüler den Unterricht schwänzen. Die Schule solle Kinder schließlich zu mündigen Bürgern erziehen, sagt er. „Und wenn Friday for Future nicht mündig ist, was dann?“ Die Bundesregierung müsse die Forderungen der Schüler einfach nur erfüllen, zack, hätte sich das Problem mit dem Streik erledigt.

Nein, man hat sich nicht verhört. Er hat das wirklich gesagt. Reiner Haseloff muss da als Konservativer naturgemäß widersprechen. Er sagt, er rate seinen Enkelkindern, lieber Physik zu pauken, „damit ihr was auf den Weg bringt.“ Aber für einen Zoff reicht das noch nicht. Und ein bisschen Comedy kann bei dem Thema auch nicht schaden. Deshalb hat die Redaktion neben dem aus dem Fernsehen bekannten Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch („Leschs Kosmos“) noch den stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki gecastet. Zwei grumpy old men, die den Schulstreik als Waldorf & Statler von ihrer Loge aus kommentieren, der eine mit gerecktem Daumen, der andere mit gesenktem Daumen.

Lesch gefällt sich in der Rolle als ökologisches Gewissen der Nation. Er fordert, es müssten noch viel mehr Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen, so dramatisch sei die Lage. Belegen kann er das nicht, aber dies ist ja auch eine Talk-Show, kein UN-Klimagipfel. Und deshalb darf er sich darüber echauffieren, dass „wir uns hier über so eine Formalität wie die Schulpflicht“ unterhalten müssen, statt sich den eigentlichen Problemen zu widmen, der Erderwärmung und dem steigenden CO2-Ausstoß. „Wir reden übers Mäuschen in der Küche, wollen aber nicht über den Elefanten reden.“

Kubicki gibt den Nörgler der Nation

Da schnauft Wolfgang Kubicki, ob vor Wut oder vor heimlicher Freude über den schärfer werdenden Ton, kann man nur erahnen. Anders als Haseloff, der sich in seiner Rolle als Watschen-Mann für die Bundesregierung wacker schlägt und am Ende sogar Kritik an dem Eiertanz von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Dieselskandal äußert, macht Kubicki keine gute Figur in dieser Runde. Kubicki spielt Kubicki, den Nörgler der Nation. Auch er sei als Jugendlicher auf die Straße gegangen, sagt er. Allerdings gegen die Kernenergie und allerdings nicht während der Schulzeit. Hat er eigentlich zugehört, als die einzige Frau in der Runde – Therese, 21, von der Bewegung #FridayforFuture – versichert hat, verantwortungsvolle Klimaschützer würden nicht jeden Freitag demonstrieren. Klausuren ausfallen zu lassen, sei ein No-Go? Bei Kubicki weiß man das nicht so genau. Bei seinen Worten runzelt Therese die Stirn. Opa erzählt vom Krieg.

Eine konstruktive Diskussion sieht anders aus. Aber war die überhaupt gewollt? Wer die Schulpflicht gegen das Engagement für den Klimaschutz schon im Titel der Sendung gegeneinander ausspielt, darf sich nicht wundern, wenn sich der Talk in einem Austausch sattsam bekannter Phrasen erschöpft. Die Show steuerte auf ihren Höhepunkt zu, als Anne Will Harald „das ökölogische Gewissen der Nation“ Lesch fragte, welche Opfer er denn für den Klimaschutz bringe. Ob er genauso radikal wie Greta Thunberg lebe, die sich vegan ernähre, keine neuen Klamotten kaufe und grundsätzlich mit der Bahn verreise, aber niemals mit dem Flugzeug.

Der „Energie-Sabbat“

„Nein“, schwurbelt der Experte da, „aber ich schaffe es, radikale Brüche in meinen Alltag einzubauen.“ Wie das gehe? Zum Beispiel, indem er sich überhaupt nicht bewege. „Energie-Sabbat“  so nennt Lesch das. Eine Stunde lang einfach mal nichts tun. Das wirke Wunder.

Auf dem Sofa sitzen als Mittel, um die Welt zu retten? Da frohlockt die  Moderatorin. Da lacht sogar Robert Habeck. Nur Therese findet das alles überhaupt nicht witzig. Sie fühle sich nicht ernstgenommen von der Politik, klagt sie. Und ja, na klar, sie werde weiterhin demonstrieren. Die Sendung dürfte sie und die anderen Jugendlichen darin bestätigt haben. Aber war nicht genau das auch ihr Ziel?

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