Erdgasvorkommen in Niedersachsen - Müssen wir unsere Einstellung zum Fracking überdenken?

Um sich aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien, könnte Deutschland auf eigene Erdgasvorkommen zurückgreifen, die sich vor allem unter Niedersachsen befinden. Diese müssten allerdings durch Fracking gewonnen werden - eine Technologie, die von Umweltschützern scharf abgelehnt wird. Mehrere Experten sind der Meinung, dass die Bedenken unbegründet sind.

Unter anderem vor der ostfriesischen Insel Borkum liegen große Erdgasvorkommen / dpa
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Nils Westerhaus hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert und war als Praktikant bei Cicero tätig.

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„Ich verfolge den Kant’schen Grundsatz“, sagt Werner Ressing. Seinen eigenen Verstand benutzend, kommt der ehemalige Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium zu dem Schluss, dass wir die naheliegendste Option auf der Suche nach Alternativen zu russischem Gas nutzen sollten. Gemeint sind Erdgasvorkommen in Deutschland. „Es ist, als säße man in der Wüste, und unter der Erde befände sich ein Wassertank.“ Um an die optimistisch geschätzten zwei Billionen Kubikmeter Erdgas zu kommen, die sich vor allem unter Niedersachsen befinden, müsste man sich allerding der Technik des Hydraulic Fracturing bedienen. Das sogenannte „Fracking“ erfreut sich in Deutschland keines großen Ansehens. Gegen das Verfahren gibt es Vorbehalte, weil einerseits horizontal und vertikal gebohrt und zudem Wasser unter Zusatz von Chemikalien in die Erde gedrückt wird. Die Erdgasvorkommen, von denen Ressing spricht, befinden sich nämlich nicht wie die konventionell zu fördernden Vorkommen in Sand- sondern in Schieferstein, der tiefer unter der Erde liegt und schwerer aufzubrechen ist.

 

155 kV AC gasisolierte Schaltanlage (GIS) im Inneren der Offshore-Konverterplattform DolWin kappa, die auf der Werft von Dragados Offshore in Cadiz gebaut wird. Die Offshore-Plattform von DolWin6 wird im Sommer dann von Cadiz aus Richtung Nordsee verschifft und nördlich von Borkum, Niedersachsen, errichtet.
picture alliance/dpa | Miguel A. Paez
Chemische Bindungsenergie der organischen, kohlenstoffhaltigen Substanzen kann sehr leicht durch Verbrennen in thermische Energie überführt werden. Energieverbände warnen vor einer Verschlechterung der Gasversorgung.
picture alliance / Kirchner-Media | Christopher Neundorf
Fracking-Technologie: ein Kran als Ausrüstung für Bohrungen in der Erde. Um das gelöste Gas optimal zu fördern, werden von einem Bohransatzpunkt mehrere in der Tiefe oft nahezu horizontal, in jedem Fall jedoch innerhalb der Zielformation geführte Bohrungen niedergebracht.
picture alliance / PantherMedia
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil steht auf dem Hubschrauberlandeplatz einer Konverterplattform des Offshore-Windparks Borkum Riffgrund 2. Wie hoch sind Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Umwelt, marine Ökosysteme und die von ihnen abhängigen Gemeinden beim Offshore Fracking?
picture alliance/dpa/Niedersächsische Staatskanzlei | Mohssen Assanimoghaddam
Wasserpumpe im Wasserbau und in der Wasserversorgung - Hydraulic Fracturing ist ein Bohrverfahren, das zur Gewinnung von Erdöl oder Erdgas aus tiefen Erdschichten eingesetzt wird.
picture alliance / PantherMedia | Elmar Gubisch
Zahlreiche Strandkörbe stehen bei Sonnenschein am Strand von Borkum. Die Insel ist nahezu vollständig vom Tourismus abhängig. Seit April 2021 ist es Touristen möglich, die Insel einmal vollständig zu umrunden.
picture alliance/dpa | Sina Schuldt

 

„In vier Monaten könnten wir das erste Gas aus der Erde geholt haben“, sagt Hans-Joachim Kümpel. Der Geophysiker war neun Jahre lang Leiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Er plädiert aus mehreren Gründen für das „Fracken“ deutscher Erdgasvorkommen. Zunächst hätten Importe von Flüssiggas, das zum Teil auch „gefrackt“ würde, einen Verlust von 25 Prozent zu verzeichnen, was kompensiert werden müsste, also durch mehr Importe. Außerdem werde zur Produktion von Flüssiggas viel Energie verbraucht, denn das Gas muss zum Transport in den flüssigen Zustand gekühlt und angekommen wiederum in den gasförmigen Zustand erwärmt werden. Die gesteigerte Förderung von inländischem Gas wäre laut Kümpel also nicht nur umweltfreundlicher, darüber hinaus wäre sie auch eine einheimische Wertschöpfung.

Keine Technik von gestern

Und was ist mit den Chemikalien, wie gefährlich sind sie für das Grundwasser? „Die Frack-Flüssigkeit trägt die Wassergefährdungsstufe 1. Genauso wie Milch. Außerdem ist das Wasser in der Tiefe von 2000 bis 5000 Meter durch natürlich enthaltene Mineralien belasteter als jenes, das wir hinunterpumpen würden, und das Trinkwasser liegt 100 Meter unter der Erde. Die Flüssigkeit wird viel tiefer freigesetzt“, sagt Kümpel. Dem Wasser, das beim Fracken durch das Rohr geschossen wird, das den Bohrer umgibt, wird Quarzsand hinzugegeben, der verhindert, dass die millimeterkleinen Löcher im Schieferstein sich unmittelbar schließen. Damit die Sandkörner nicht verklumpen, kommt ein Verdickungsmittel hinzu. Damit an der Stahlwand keine Reibungsverluste entstehen, wird der Frack-Flüssigkeit Spülmittel und gegen Rost Korrosionsschutz beigesetzt, genauso wie Tenside, die sonst in Waschmittel verwendet werden und vor Bakterienwachstum schützen sollen. An diesem Cocktail entfacht sich die Kritik, gegen die Kümpel einwendet: „Sie glauben doch nicht, das irgendwo gebohrt würde, wenn dadurch die Landschaft Schaden nehmen würde. Wir haben das ja schon einmal 20 Jahre gemacht.“

Ist das „Fracken“ eine Technik von gestern?  „Nein“, sagt Werner Ressing. „Fracking ist heute Hightech, und unsere Standards sind umweltfreundlicher als die in den Ländern, aus denen wir Gas importieren.“ 2010 habe er als Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium in Kooperation mit dem Umweltministerium ein Konzept zum „Fracken“ erstellt. Drei Prämissen hätten sie damals herausgearbeitet, so Ressing. „Erstens: absoluter Schutz des Grundwassers. Zweitens: kein Fracking in Wasserschutzgebieten. Drittens: Minimierung der Chemikalien.“ 2017 gab es dann unter Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ein strenges Gesetz gegen die  Technik. Ressing sieht darin einen Fehler: „Wir haben uns dadurch zu sehr von Nord Stream 1 und 2 abhängig gemacht, und es dauert noch, bis die Erneuerbaren unseren Bedarf decken können.“  Deswegen macht er mit Blick auf das mögliche Ausbleiben russischen Gases klar: „Jeder Tag ist ein verlorener Tag, bei dem Potential, auf dem wir sitzen.“ Zu politischen Entscheidungsträgern dringen Kümpel und Ressing mit ihrem Plädoyer für das „Fracking“ bisher indes nicht durch.

 

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