Bienensterben - Lob des Honigs

Kolumne: Morgens um halb sechs. Während die Diskussion um Neonicotinoide und Glyphosat landesweit den Siedepunkt erreicht hat, wird auf die marktwirtschaftlichen Chancen von Bienenprodukten kaum geachtet. Damit verpasst Deutschland einen wichtigen Wirtschaftssektor

Spaziergänger genießen das Summen der Bienen und den Duft der Blüten – oder registrieren deren schmerzliches Fehlen / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Ich habe mir ein Glas Honig gekauft. Nicht ein Glas, jeweils ein Glas von jeder Sorte: Waldhonig, Lindenhonig, Akazienhonig und Rapshonig. Bald folgen Kastanienhonig, Thymianhonig, Fenchelhonig, Lavendelhonig und viele weitere Kostbarkeiten. Einen Tresor habe ich dem Honig noch nicht gebaut. Aber eines ist klar: Ab jetzt ist der Honig König. Die Gläser leuchten wie Goldbarren auf meinem schmalen Küchenwandbrett. Bald werden Honighändler aus Hongkong an meiner Wohnungstür kratzen, doch die wimmle ich locker ab. Ich klebe dann einen kritzeligen Zettel an die Klinke: Honig für immer unverkäuflich.

Unbezahlbar ist die Existenz der Bienenvölker. Dennoch haben wir es soweit kommen lassen, dass in Deutschland 80 Prozent der Bienenvölker weggestorben sind. Da Deutschland inzwischen ein rein wirtschaftlich handelndes Land geworden ist, hilft zur Bewahrung der letzten lebenden Bienen keine liebevolle Naturbeschreibung. Man muss andere Hebel in Bewegung setzen. Zwei Kernmärkte könnten in diesem Zusammenhang relevant sein: China und die Medizin.

Der Honig-Markt in China expandiert

Dass die Nachfrage nach Honig gerade in China hoch ist und weiter steigen wird, liegt, wie das fehlende Summen der Bienen, in der Luft. China ist mit einem Marktanteil von 26 Prozent der weltweit größte Honigproduzent. Dennoch ist unter Chinesen der eigene Honig nicht sonderlich beliebt, da er oft mit Reissirup gestreckt wird. Auch gibt es in China keine Honigverordnung, die, wie in Deutschland, einen maximalen Wasseranteil von 18 bis 20 Prozent vorschreibt. Jede Honigproduktion braucht Zeit. In China wird der Honig mit einem Wassergehalt von bis zu 30 Prozent geerntet, maschinell getrocknet und gefiltert. Die Gärungsprozesse sind daher nicht abgeschlossen und sowohl der Geschmack als auch die Inhaltsstoffe bleiben aus. Die wohlhabende chinesische Mittelschicht kauft daher lieber deutschen Honig. Im Gegenzug ist Deutschland ein großer Abnehmer des industriell geschleuderten chinesischen Honigs, der nach Angaben der Jinan Times angeblich zum großen Teil gepanscht sein soll. Allein 2015 wurden 7500 Tonnen Honig aus China nach Deutschland importiert. Die chinesischen Honigimporte in die Europäische Union sind laut Auskunft der Dachorganisation der EU-Landwirte in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen.

Ohne Frage: Honig ist ein Millionengeschäft. Das erkannte bereits der Firmengründer des Hamburger Unternehmens Langnese (chinesisch: lang-ni-si), das seit vielen Jahren erfolgreich Honig nach China exportiert. Das wabenförmige Glas wird gerne in schöner Verpackung zum chinesischen Neujahr verschenkt. China ist nicht nur ein großer Honigproduzent, sondern auch der weltgrößte Honigkonsument. Mit dem zunehmenden Butterkonsum dürfte die Nachfrage nach Honig weiter steigen, falls man auf die Idee kommt, Butter aufs Brot zu streichen, ist der Weg zum Honig nicht weit. In der chinesischen Küche wird Honig bislang als Würzmittel, zur Konservierung von Früchten oder zur Herstellung von Honigwein gebraucht. Doch woher nimmt man die vielen Bienen? Für 150 Gramm Honig sind rund 20.000 Bienenflüge nötig. Eine Biene bräuchte pro Tag circa 40 Ausflüge auf 4000 zu besuchende Blüten. Welche Blüten?

Da nun die Erlaubnis für den Gebrauch von Glyphosat verlängert wurde, wird auf deutschen Feldern weiterhin alles ungewollte Kraut, das blühen könnte, flächendeckend vernichtet werden. Vernichtung ist bequem und erspart Arbeit. Das wiederum senkt die Produktionskosten. Deutschland wird, wenn es so weiter geht, bald vom chinesischen Honig abhängig sein. Das ist bei einem durchschnittlichem Pro-Kopf Honigkonsum von 1200 bis 1300 Gramm pro Jahr (Deutschland ist Spitzenreiter im Pro-Kopf-Honigkonsum) und 82,8 Millionen Menschen ein vielversprechendes Geschäft für die Chinesen.

Honig als Heilmittel

Ein zweiter, nicht zu unterschätzender Faktor, ist die Bedeutung der Bienenprodukte für die Medizin. Honig hilft nicht nur bei Erkältung, er entzieht den Bakterien Zellwasser, sodass diese im Zellkern schrumpfen und schließlich absterben. Propolis zählt zu den wirksamsten natürlichen Antibiotika. Es wirkt antibakteriell, antiviral und fungizid. Der Bienen-Baustoff und Dichtungskitt sorgt bereits im Bienenstock für Schutz vor Infektionen. Kein Wunder – bei 40.000 bis 60.000 auf engstem Raum zusammenlebenden Bienen muss Propolis ein hochwirksamer Stoff sein.

Im alten Ägypten wurde Propolis zur Mumifizierung eingesetzt. Bei den Griechen galten Nektar und Ambrosia als Nahrung der Götter. Selbst im Zweiten Weltkrieg wurde Propolis als keimhemmendes Wundheilmittel verwendet. Seit zahlreiche Antibiotika immer weniger wirken, wird Propolis für die Forschung wieder interessant. In dem hochkomplexen Stoff, der aus 270 kombinierten Inhaltsstoffen besteht, stecken viele Millionen Jahre Evolutionserfahrung. Gegen Propolis gibt es keine Resistenzen. Propolis bindet Schwermetalle, stärkt Blutgefäße und Zellmembranen, bekämpft freie Radikale, hemmt den Schmerz, wirkt Entzündungsreaktionen entgegen, schützt die Haut und die Schleimhäute, wirkt antidepressiv, festigt die Zähne und soll die Nebenwirkungen einer Chemotherapie lindern. In Deutschland ist Propolis apothekenpflichtig. Imker dürfen es nicht einfach frei verkaufen. Gleichzeitig darf auf der Verpackung des apothekenpflichtigen Produkts auf keine spezifische Heilwirkung von Propolis hingewiesen werden. Eine komplizierte Geschichte, die sich die Deutschen mit dem Bienenstoff aufbrummen.

Kommen wir zu weiteren Bienenprodukten: Gélée Royal, die lebenslange Königinnenspeise, regt beim Menschen den Stoffwechsel an, fördert die Bildung von neuen gesunden Zellen (selbst im Knochenmark), stimuliert innersekretorische Drüsen und kann in der Tumortherapie eingesetzt werden. Dann gibt es noch das Bienengift, das im Stachel sitzt. Es wirkt durchblutungsfördernd, blutverdünnend, zytostatisch, cholesterinsenkend, schmerzlindernd, fördert die körpereigene Cortisolbildung und wirkt positiv auf das Nerven- und Hormonsystem.

Ein Gewinn für die Pharmaindustrie

Liest man die Liste der Wirkungsfelder, bekommt man den Eindruck, dass fast alle Zivilisationskrankheiten mit Hilfe der Bienen zumindest teilweise gelindert werden könnten. Selbst bei der Bekämpfung von multiresistenten Bakterienstämmen und schwer heilenden Wunden könnten Bienenprodukte an Relevanz gewinnen. Eine sachgerechte Einschätzung der medizinischen Bedeutung der Bienen steht noch aus. Sobald nicht die Gesundheit im Vordergrund steht, sondern ein Markt gewittert wird, könnte es endlich zu einer Kehrtwende in der Landwirtschaft kommen. Nicht die Bienenfreunde, sondern die Pharma- und die Lebensmittelindustrie stünden mit einem Mal den Bauernverbänden gegenüber und würden um das Überleben der Bienenvölker ringen.

Der morgendlichen Spezies der Spaziergänger sind all solche Machtkonglomerate egal. Da aber der Spaziergänger selbst eine vom Aussterben bedrohte Art ist, gesellt er oder sie sich gerne auf die Seite der Bienen. Ein Frühling ohne Bienen ist schmerzhaft, wird vielerorts jedoch nicht einmal bemerkt. Die meisten Menschen schlafen lang und bleiben ununterbrochen in geschlossenen Räumen hocken. Wer joggt, läuft mit Knopf im Ohr. Nur der Spaziergänger, dieser alte Vagabund, genießt noch das Summen der Bienen, den Duft der Blüten und die Melodie der Singvögel – oder registriert deren schmerzliches Fehlen. Und dann gibt es Kolumnistinnen, die versuchen, ihre Liebe zu Bienen und den Bienenmarkt auf einem schmalen Berliner Küchenwandbrett zu verbinden.

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