Fondsmanager über Bayer und Monsanto - „Unsere Bedenken über die Reputations- und Rechtsrisiken wurden links liegengelassen“

Hat Bayer sich bei der Übernahme des Agrarkonzerns Monsanto verzockt und sich Gift ins eigene Haus geholt? Ingo Speich, Fondsmanager beim Bayer-Investor Deka Investment, kritisiert die Konzernführung. Man habe nicht nur die Rechtsrisiken falsch eingeschätzt, sondern auch wie Menschen heute investieren

Ingo Speich sagt, Bayer habe die miserable Reputation des Glyphosat-Herstellers Monsanto unterschätzt / picture alliance
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Ingo Speich leitet seit April 2019 den Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Governance beim Fonds Deka Investment. Zuvor war er seit 2004 bei Union Investment als Senior Portfoliomanager tätig und leitete zuletzt die Gruppe „ESG Capital Markets & Stewardship“.

Herr Speich, Deka Investment hält etwa 1,1 Prozent der Anteile an Bayer. Die Aktie befindet sich seit der Übernahme des Agrarkonzerns Monsanto auf Talfahrt. Gerade wurde Monsanto verurteilt, einem Ehepaar zwei Milliarden US-Dollar-Schadensersatz zu zahlen. Die Eheleute führen ihr Krebsleiden auf einen langjährigen Umgang mit Monsantos glyphosathaltigem Ackergift „Roundup“ zurück. Mindestens 10.000 Klagen können noch folgen. Fürchten Sie um Ihre Anteile?
Durch die Monsanto-Prozesse dominieren die Rechtsrisiken gerade den Unternehmensalltag bei Bayer. Das bringt Unruhe in den gesamten Konzern, das Management muss sich verstärkt damit auseinandersetzen. Man kann nur hoffen, dass dadurch das operative Geschäft nicht zu sehr leidet. Aus der Sicht des Kapitalmarkts muss man sagen: Wir wissen nicht, wie lange das Thema Bayer verfolgen wird, wir können nicht sagen, welche Summen der Konzern final zur Beilegung aufbringen muss. Das verunsichert die Investoren, und deswegen springen viele von der Aktie ab. 
 
Hat sich Bayer bei der Übernahme von Monsanto verzockt?
Ich bin mir sicher, dass das Management bei der Monsanto-Übernahme in gutem Glauben gehandelt hat. Auf dem Papier gab es auch eine verblüffend starke industrielle Logik für den Schritt. 
 
Aber eben nur auf dem Papier. Hat Bayer die miserable Reputation von Monsanto unterschätzt?
Eindeutig ja. Das und die Rechtsrisiken, die man sich mit Monsanto aufgeladen hat, verteuern die Übernahme im Nachhinein. Man hat 66 Milliarden US-Dollar für Monsanto gezahlt. Dazu kommen nun noch die möglichen Straf- und Schadensersatzzahlungen. Ob die Akquisition dann noch gewinnsteigernd ist, muss man abwarten. Diese Unsicherheit führt zu einem hohen Bewertungsabschlag. Das Management ist nun in den Fängen der Justiz und hat wenige Handlungsoptionen. 

Bayer ist ein Unternehmen, das stark wissenschaftlich geprägt ist. Liegt es in der Bayer-DNA begründet, dass man sich beim Kauf von Monsanto zu stark von wissenschaftlichen, also im engen Sinne betriebswirtschaftlichen Kriterien hat leiten lassen?
Durchaus. Das Management hat nicht gesehen, dass nicht nur einzelne Faktoren schwierig werden könnten, sondern dass das gesamte Geschäftsmodell von Monsanto bei vielen Menschen als sehr fragwürdig gilt. Erschwerend kommt für Bayer hinzu, dass Monsanto jetzt ein deutsches Unternehmen ist. Da scheuen sich US-amerikanische Gerichte vielleicht weniger, drastische Strafen zu verhängen, als das bei einem einheimischen Unternehmen der Fall wäre. 
 
 

Ingo Speich / Deka Investment

Warum kommen Sie und andere Analysten auf diese Probleme, aber im Bayer-Konzern offenbar niemand? An der Übernahme hat ja nicht nur der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann gearbeitet, sondern eine Heerschar von Managern, der Aufsichtsrat hat sie abgesegnet. Wie kann das bei einem Weltkonzern passieren, dass diese Risiken falsch eingeschätzt werden?
Für mich ist in der Tat der Aufsichtsrat mindestens genauso in der Verantwortung wie das Management. Offenbar war und ist dort nicht die nötige Expertise für ein US-Agrarunternehmen an Bord. Außerdem  ist eine Überlegung, ob es angesichts der Klagewelle in den USA nicht angemessen wäre, das Thema Rechtsexpertise im Aufsichtsrat, insbesondere mit Blick auf Nordamerika, zu stärken. Die Höhe und die Masse der Klagen stellen ja sicher, dass das Thema das Unternehmen noch lange beschäftigen wird. 
 
Bayer weist immer wieder daraufhin, dass die Rechtskultur in den USA mit den Sammelklagen eben ungünstig sei und viele Studien ein erhöhtes Krebsrisiko des Monsanto-Mittels Glyphosat nicht nachgewiesen haben. 
Aber mit dieser Rechtskultur hätte man doch rechnen müssen! Außerdem entscheiden in den USA meist Jurys die Prozesse. In diesen Jurys sitzen „Otto Normalverbraucher“ und keine Wissenschaftler, die die Risiken professionell bewerten und rational abwägen könnten. Bayer zieht sich immer auf die Position zurück, dass man erst einmal die zweite Instanz abwarte, da würden die Studien stärker miteinbezogen. Das mag sein. Aber bis dahin vergehen 18 Monate und das ist am Kapitalmarkt eine sehr lange Zeit. 
 
Auf der Hauptversammlung im April haben die Aktionäre den Vorstand nicht entlastet, ein wohl einmaliger Vorgang für ein Dax-30-Unternehmen in Deutschland. Sie selbst haben dort die Konzernführung um Werner Baumann scharf kritisiert.
Das war ein klares Misstrauensvotum, keine Frage. Was mich in der Folge noch mehr irritiert hat: Der Aufsichtsrat hat danach dem Vorstand vollumfänglich den Rücken gestärkt. Auf die Kritik der Aktionäre wurde aber zeitgleich gar nicht eingegangen. Das hat die Situation nicht unbedingt verbessert. Andere Konzerne haben bei niedrigeren Abstimmungsergebnissen in der Vergangenheit souveräner reagiert, SAP war da beispielhaft. 
 
Müsste die Führung bei Bayer also ausgetauscht werden?
Nein, das würde derzeit auch nichts bringen. Diese Mega-Akquisition muss immer noch integriert werden, allein die Einarbeitung eines neuen Vorsitzenden, der sicherlich von außen kommen müsste, würde viel zu viel Zeit benötigen. Das würde sicherlich ein halbes Jahr und mehr brauchen, und diese Zeit hat Bayer jetzt einfach nicht. Zudem muss das operative Geschäft weitergehen, die Mitarbeiter darf man schließlich auch nicht vergessen.
 
Das heißt, Sie entlasten den Vorstand nicht, entlassen werden aber soll er auch nicht. Ist das nicht inkonsequent?
Auf Außenstehende mag das so wirken. Aber die Aktionäre wollten vor allem ein Zeichen setzen und klar bekunden, dass es so nicht weitergehen kann. Wir wollen dem Vorstand aber auch eine Chance geben, die Sache wieder geradezuziehen, das gilt auch für das Verhältnis mit den Aktionären. 
 
Was ist da vorher schief gelaufen?
In der Vergangenheit wurde die Meinung der Aktionäre schlicht nicht gehört. Das kann man an mehreren Beispielen sehen. Vor der Monsanto-Übernahme hatte Bayer das Thema Übernahmen sehr zurückhaltend kommuniziert, der Kapitalmarkt wurde davon überrascht. Und er hatte zuvor auch nicht darauf gedrängt. Im Rahmen der Bekanntgabe der Akquisition ist der Bayer-Aktienkurs unter Druck geraten. Aktionäre stimmen mit den Füßen ab, und das war ein klares Votum: Diese Übernahme war nicht in ihrem Sinne. Danach gab es den Wunsch der Einbindung, konkret den Ruf nach einer außerordentlichen Hauptversammlung, um der Akquisition zuzustimmen. Diese Hauptversammlung gab es nie. Außerdem haben wir von Deka Investment, aber auch andere Investoren, immer wieder auf die Reputations- und Rechtsrisiken hingewiesen. Aber diese Bedenken wurden links liegengelassen. Das Resultat dieser Politik hat man dann bei der Hauptversammlung im April gesehen. 
 
Werner Baumann selbst hat zu dem einbrechenden Kurs gesagt, dass Aktionäre eben oft übertrieben reagieren. Was sagen Sie dazu?
Die Einschätzung würde ich teilen, wenn es sich um kurzfristige Schwankungen handeln würde. Aber angesichts der Höhe des Absturzes und wie lange er schon andauert, kann man da wohl kaum von einer Panikaktion sprechen.  
 
Die Übernahme von Monsanto durch Bayer erinnert stark an die „Hochzeit im Himmel“, die der Autokonzern Daimler mit dem US-amerikanischen Hersteller Chrysler eingegangen ist, und die im Desaster geendet ist. Werden deutsche Manager manchmal ein bisschen größenwahnsinnig, wenn sie über den Teich schauen?
Auslöser für den Kauf war sicherlich ein Streben nach Größe, das durchaus sinnvoll in diesem Geschäft ist. Aber die Schwierigkeiten, die Daimler-Chrysler hatte, sind harmlos gegenüber dieser Übernahme. Einfach weil Bayer mit Monsanto ein Multimilliarden-Rechtsrisiko mit sich herumschleppt. Das kommt zu den herkömmlichen Problemen bei der Integration noch dazu. Auch bei der viel kleineren Akquisition von Schering 2006 hat allein die Integration Jahre gedauert. Und da waren die Unternehmen im selben Land und im selben Sprachraum. Die Historie von transkontinentalen Zusammenschlüssen, die erfolgreich waren, ist überschaubar. 
 
Hat sich Bayer mit Monsanto also Gift ins eigene Haus geholt?
In gewissem Sinne schon. Bayer ist eine sehr starke Marke mit einer großen Reputation, die man sich über Jahrzehnte hart erarbeitet hat. Wenn jetzt aber Monsanto auch Bayer heißt, setzen die Menschen Bayer irgendwann mit Glyphosat, Roundup und Krebs gleich. Das kann die Marke stark beschädigen.  

Haben Sie sich eigentlich auch persönlich mit dem Mittel Roundup auseinandergesetzt?
Das habe ich allein schon deshalb getan, weil ich für nachhaltige Investments zuständig bin. Da wird einem schnell klar, dass Monsanto, um es vorsichtig zu formulieren, ein Unternehmen ist, dessen Praxis man hinterfragen muss. Bayer hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen. Der Markt für nachhaltige Anlagen wächst dreimal so stark wie der Gesamtmarkt. Bayer nahm und nimmt in Kauf, dass viele Anleger aufgrund des Monsanto-Geschäfts nicht mehr investiert sein wollen. Mit der Akquisition hat man auch viele zukünftige Investoren ausgeschlossen. 

Bayer hat also nicht nur die Risiken bei Monsanto falsch eingeschätzt, sondern auch, wie Menschen heute investieren?
Genau. Profiinvestoren nutzen Nachhaltigkeitsanalysen in der Unternehmensbewertung, um Risiken transparenter zu machen. Schneiden Unternehmen schlecht ab, führt dies zu einem negativeren Anlageurteil. Zudem ist vielen Anlegern das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig. In Fracking-Unternehmen oder Unternehmen, die Kohle fördern, möchten sie nicht investieren. Und auch nicht in ein Unternehmen wie Monsanto, das vielen als größter Umweltsünder überhaupt gilt. Das Problem für Bayer ist: Jetzt bekommt man Monsanto aus dem Unternehmen nicht mehr heraus.  
 
War die Monsanto-Übernahme der Anfang vom Ende eines deutschen Großkonzerns
?
Das kann ich mir dann doch nicht vorstellen. Schließlich ist das Management bei Bayer im operativen Geschäft sehr erfahren und dort herrscht auch eine starke Kontinuität. Wir sind ja auch noch bei Bayer investiert, aus guten Gründen. Die Frage ist, wie viel Geld man in die Hand nehmen muss, um auf die Monsanto-Klagen reagieren zu können. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle, beispielsweise für Innovationen. Bayer wird in jedem Fall langfristig stark geschwächt. Geschwächte Unternehmen sind allerdings auch anfällig, übernommen oder von Aktivisten angegriffen zu werden. Ich hoffe aber noch, dass die Schocks der Hauptversammlung und der Schadensersatzurteile heilsam sein könnten. Ein wichtiger Schritt wäre, dass Bayer stärker auf die Investoren zugeht und sich in Sachen Transparenz und Kommunikation gehörig verbessert. 

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