Sturm „Harvey“ und die Klimawandel-Debatte - Da hilft auch der Eisbär nicht

Der Tropensturm Harvey hat für verheerende Überflutungen in Houston gesorgt. Die Beweislast, dass solche Katastrophen vom Menschen verursacht werden, ist erdrückend. Trotzdem spielt das Thema in der Politik keine große Rolle. Das liegt auch an der Strategie der Klima-Aktivisten

Eisbären sind bei Klima-Aktivisten wie Anton Hofreiter beliebt. Aber als Symbol taugt das Tier nur bedingt / picture alliance
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Andreas Sieber ist freier Journalist und schreibt vor allem zu Umwelt- und Klimaschutzthemen.

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47 Menschen sind tot. Bis zu 900 Liter Regen pro Quadratmeter brachte der Tropensturm Harvey und überflutete die Stadt Houston in Texas. Zynisch könnte man sagen: Die Einwohner sind es gewohnt. Denn es ist bereits die dritte verheerende Flut, welche die Stadt durchmachen muss in drei Jahren. Dass ein Zusammenhang zwischen dem diesjährigen Rekord-Sturm und dem Klimawandel besteht, bezweifelt kaum ein Wissenschaftler. „Das veränderte Klima bedeutet, dass bei einem Ereignis wie Harvey die Niederschlagsmengen höher ausfallen“, ließ etwa die World Meterological Association verlauten.  Allerdings gibt es, um einen Sturm wie Harvey historisch einordnen zu können, gar nicht genügend Wetterdaten. Wissenschaftler müssen vielmehr auf statistische Modelle zurückgreifen, weil solch eine Niederschlagsmenge bisher schlicht nicht auftrat.

Ein alljährliches Jahrhundertereignis 

Jene Modelle verraten, dass eine derartige Umweltkatastrophe unter normalen Umständen nur alle 500 bis 1000 Jahre auftreten würde. Bill McKibben, Gründer von 350.org und Träger des alternativen Nobelpreises, kritisiert deswegen das Konzept von 500-Jahres-Wetterereignissen: „Vielleicht sollten wir anfangen, von Jahres-Stürmen zu sprechen.“ Untersuchungen des Massachusetts Institute of Technology bestätigen seine Befürchtungen, dass mehr als nur „Natur“ in den Katastrophen steckt. 

Die Beweislast für einen folgenschweren Klimawandel ist also erdrückend. Aber gerade das scheint paradoxerweise nicht hilfreich zu sein. Warum nicht? Ein Grund: Es ist kompliziert. Wissenschaftler ertränken uns in einem Meer aus Zahlen und Fakten, wenn sie vor der globalen Erwärmung warnen. Man hört zum Beispiel, für jedes halbe Grad Erderwärmung steige die atmosphärische Feuchtigkeit um drei Prozent – das besagt die Clausius-Calpeyon-Gleichung. Aber wer ist schon in der Lage, den Grad atmosphärischer Festigkeit einzuordnen?

Der Präsident der USA offenbar nicht. Erst vor zwei Wochen strich Donald Trump per Dekret Gelder zum Schutz vor Überflutungen, die der Klimawandel verursacht. Dass es der US-Präsident nicht allzu genau nimmt mit den Fakten dürfte niemanden mehr überraschen. Aber während das Schicksal der Menschen in Houston die Amerikaner schockiert, spielt der Klimawandel dabei auch allgemein in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Warum?

Ideologie wichtiger als Zahlen und Fakten

Jamie Clarke ist geschäftsführender Direktor von Climate Outreach und forscht mit seinem Institut im britischen Oxford an genau solchen Fragen. „Der Diskurs über den Klimawandel ist dominiert von großen Zahlen und Einschüchterungs-Taktiken. Aber Wissen über den Klimawandel hat einen geringen Effekt auf das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Werte und politische Ideologien beeinflussen Ansichten über den Klimawandel viel stärker“, erläutert Clarke gegenüber Cicero. In reichen Industrieländern wie den USA sei die Öffentlichkeit bezüglich der globalen Erwärmung ideologisch gespalten, so Clarke weiter. Die politische Rechte glaube weniger an den Klimawandel und sorge sich weniger darum, auch in Europa.

Auch hier ist der Grund für die Ablehnung der Theorie vom menschengemachten Klimawandel nur auf den ersten Blick einleuchtend. „Die übliche Erklärung lautet, dass sich ein Konflikt ergibt aus konservativen Werten – insbesondere Markt-Paradigmen und Maßnahmen zum Klimaschutz“, sagt Clarke.  Aber das sei nicht immer so gewesen. Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher etwa wäre eine frühe Verfechterin der Wichtigkeit des Klimaschutzes gewesen. Deswegen glaubt Clarke auch nicht, dass sich Klimaschutz und konservative Werte widersprächen. Vielmehr sei ein Teil des Problems, dass Klimaschutz seit den neunziger Jahren zunehmend von Aktivisten aus dem linken Spektrum vereinnahmt wurde. Konservative könnten sich seither schwerer damit identifizieren.

Auch in Deutschland kaum thematisiert

Dabei wäre es zum Beispiel urkonservativ, Geld sparen zu wollen, so Clarke. Die Kosten von Hurricane Harvey sind wohl höher als die von Hurricane Katrina und Sandy zusammen: bis zu 190 Milliarden soll der Schaden betragen – das entspricht mehr als einem Prozent des Bruttosozialprodukts der Vereinigten Staaten. Wenn selbst diese Kosten das Problem des Klimawandels in den Fokus richten können, zeigt sich: Ein Ereignis wie das in Houston könnte zwar dazu beitragen, die psychologische Distanz zum Klimawandel zu reduzieren. Am Kern des Problems würde das aber nichts ändern. Das zeigt auch der Blick nach Europa und Deutschland.

Hierzulande ist der menschengemachte Klimawandel als wissenschaftliche Tatsache anerkannt. Im Wahlkampf spielt er aber bisher kaum eine Rolle. Auch beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz ging es zwar ein bisschen um den Diesel-Skandal. Ansonsten aber wurde der Klimaschutz so gut wie gar nicht thematisiert.

Dabei scheinen die Bedingungen wie gemacht dafür, Klima- und Energiewende anzusprechen: Donald Trump ist aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen, und das bietet eine vermeintlich gute Gelegenheit, sich als moralischer und sachlicher Gegenpol zu positionieren. Merkel kann sich aber kaum mehr als glaubhafte Klimakanzlerin positionieren: Weil Deutschland nicht aus der Kohle aussteigt, stagnieren die Treibhausgas-Emissionen praktisch seit 2009.

Eisbären sind das falsche Beispiel

Aus internen Kreisen der Grünen war zu hören, dass man sich besonders nach Trumps Abkehr vom Pariser Klimavertrag erhoffe, von Klimaschützern Rückenwind zu erhalten und so aus dem Umfragetief zu kommen. Doch anders als beim Atomausstieg konnte die Partei mit dem Kohleausstieg bisher kaum punkten: Im Gegenteil, sie steckt bei 7 bis 8 Prozent fest.

Das Bewusstsein für den Klimawandel ist also hoch, auf der politischen Prioriätenliste aber steht er weit unten. Für Jamie Clarke hat das vor allem mit einer fehlenden emotionalen Bindung zu tun: „Die meisten Menschen haben bis heute noch keine Geschichte über den Klimawandel gehört, die sich für sie anhört, als sei sie für sie geschrieben worden,“ sagt er. Als Beispiel nennt er die Eisbären, die von Umweltorganisationen gern als Symbole benutzt werden. Die seien zwar süß, vermittelten aber gleichzeitig das Gefühl, der Klimawandel sei etwas entferntes und wenig dringendes. Klima aber müsse von einem wissenschaftlichen zu einem sozialen Thema werden, um als wirklich dringend wahrgenommen zu werden. Wenn globale Erwärmung erst nach Katastrophen wie der in Texas thematisiert wird, bliebe der Effekt gering. Gelegenheiten werden sich jedenfalls erneut bieten: Fluten wie die Houston wird es noch deutlich häufiger geben

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