Wahlkampf-Strategien - So gewinnen Sie die nächste Bundestagswahl. Oder nicht

Ob Lindner-Show und Digital first bei der FDP. Ob ein CDU-Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Oder eine SPD mit Zeit für mehr Gerechtigkeit – richtige und falsche Wahlkampf-Strategien entscheiden über Macht und Ohnmacht. Sechs Tipps für Ihren nächsten Wahlkampf

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Autoreninfo

Lucas Gerrits ist politischer Berater, Campaigner und Konzepter bei der Squirrel & Nuts GmbH. Er entwickelt Strategien für Wahlkämpfe und berät Organisationen, Parteien und Verbände bei ihrer Kommunikation. Er ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen.

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Eine Wahl kann mehr verändern als oft geraunt wird: Erstmals zieht die AfD in den Bundestag. Die FDP schaffte ihre Rückkehr ins Parlament. Die Große Koalition ist höchstwahrscheinlich Geschichte. Die einst großen Volksparteien der Union und SPD verloren massiv. Doch wie es dazu kam, ist nicht dem Zufall geschuldet. Den Ausgang entschieden auch die Wahlkampf-Strategien der jeweiligen Parteien. Eine One-man-Show hier. Eine Macht der Gewohnheit dort. Was hat gut funktioniert? Was eher nicht? Diese Analyse sollten Parteien vor dem nächsten Wahlkampf gelesen haben.

1. Bleiben Sie beim geschlossenen Kurs wie die Grünen!

Beachten Sie nicht nur Umfragen! Entscheidend ist die zündende Gesamtstrategie.

Die Kampagne war erfolgreicher als die Umfrageinstitute erwartet hatten. Vor der Bundestagswahl lagen die Grünen konstant zwischen 6 und 8 Prozent. Am Ende gelang mit 8,9 Prozent das zweitbeste Ergebnis der Grünen bei einer Bundestagswahl.

Ein Grund für die schlechten Umfragen: Die Grünen sprachen als Opposition im Bund und als regierende Partei in einigen Ländern etwa zur Flüchtlingspolitik oder zum Ende des Verbrennungsmotors häufig nicht mit einer Stimme. Ihre einheitliche Erzählung von Haltung, also was „richtig” und was „falsch” ist, zerfiel oft in öffentlichen Widersprüchen.

Im entscheidenden Moment der Wahlentscheidung – besonders bei Unentschlossenen – zündete die Kampagne aber. Die entscheidenden Faktoren dafür sind: das Spitzenpersonal, Alleinstellungsmerkmale, Relevanz in aktuellen, öffentlichen Diskursen und die möglichen Machtoptionen.

Im Gegensatz zu 2013 verhedderten die Grünen sich nicht in einer Rechtfertigungsspirale aus „Verbotspartei“, „Veggie-Day“ und Steuererhöhungen. Sie waren geschlossen, fokussierten sich auf Klima- und Umweltpolitik und einen kulturellen Gegenentwurf zu der die Debatte weitgehend dominierenden AfD. Der Dieselskandal und die Tropenstürme zeigten die Relevanz grüner Programmatik. Im Endspurt halfen dann noch die Machtoptionen: 26 Prozent entschieden sich aufgrund von koalitionstaktischen Gründen für die Grünen, um Schwarz-Gelb oder eine Groko zu verhindern und um die Ökopartei in der Regierung zu sehen. 12 Prozent der Spätentscheidenden gaben ihre Stimme den Grünen.

Wenn es so gut lief, warum trotzdem nur 8,9 Prozent? Es ließe sich diskutieren, ob man junge, digital affine Menschen mit stärkerem Fokus auf Digitalisierung und Fortschritt hätte besser mobilisieren können. Das hätte der FDP Stimmen gekostet. Auf der anderen Seiten wären auch progressivere Slogans, gerade in den Großstädten, möglich gewesen. Die Linkspartei hat den Grünen hier viele Stimmen abgejagt. Angesicht starker Ergebnisse der „Baden-Württemberg-Realos“ und des verteidigten Direktmandats in Friedrichshain-Kreuzberg hat der ideologische Spagat offenbar funktioniert. Die Zahlen verdeutlichen noch etwas: Viele Stimmen kommen von dort, wo sich eine Partei langfristig dank Regierungsverantwortung verankern kann.

2. Machen Sie nicht die Fehler der SPD!

Wer mit Alleinstellungsmerkmalen punkten will, muss sie zeitgemäß vermitteln.  

Die SPD konnte ihren „Zeit für mehr Gerechtigkeit“-Wahlkampf trotz einer richtigen Personalentscheidung für Martin Schulz nicht verständlich ausformulieren. „Gerechtigkeit“, was ist das? Warum ist dafür Zeit? Irgendwas mit Würselen, Krankenpflegerin und böser Manager. Das hörte sich die letzten 20 Jahre immer ähnlich an. 15 Jahre wurde mitregiert. Es war eine vergebene Chance, dass der große Europäer Schulz plötzlich so redete wie die andere Sozi-Männer vor ihm. Dabei hatte er anders als Steinmeier und Steinbrück nicht mit Merkel regiert.

Um die 80 Prozent der Menschen in Deutschland schätzten ihre wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein. „Nur” 18 Prozent der SPD-Anhänger fühlen sich wirtschaftlich abgehängt. Die Arbeitslosigkeit beträgt 5,7 Prozent. Wie kann man davon ausgehen, dass „mehr Gerechtigkeit“ das Gewinnerthema der Wahl sein wird? Eine ähnliche SPD-Kampagne versuchte 2016 Nils Schmid im starken Wirtschaftsland Baden-Württemberg. Er fiel von 23,1 Prozent aus der Regierung auf 12,7 Prozent in die Opposition.

Dass die SPD Schulz gegen Ende nur noch als „Kanzlerformat“ beschrieb, wirkte verzweifelt, thematisch und machtpolitisch verloren. Die Rechtfertigungsspirale drehte sich nur noch um den fast komisch wirkenden Anspruch, Kanzler mit der Politikerfahrung aus Würselen zu werden.

Dabei waren die Themen da: Ähnlich wie Schröder 1998 hätte es ein Wahlkampf für den Fortschritt und die Sicherung der Zukunft werden können. Kompetent hätte die SPD als Auto-Partei 2.0 die Umgestaltung der Automobilindustrie thematisieren können. Nichts verändert sich in der digitalisierten und globalisierten Welt so wie die Arbeit – das Kernthema der SPD. Bei diesen Themen hätte Grünen und FDP das Wasser abgegraben werden können. Durch ein Infrastrukturprogramm für strukturschwache Regionen hätte man der AfD entgegentreten können. An sie hat die SPD ihre meisten Stimmen verloren.

Stattdessen stilisierte sich die SPD in sozialen Netzwerken zur neuen „Abrüstungspartei“, die Atomwaffen aus Deutschland verbannen möchte. Das Nein zum 2-Prozent-Ziel der NATO-Aufrüstung setzte sie mit dem Schröder-Nein zum Irak-Krieg gleich. Dass über Abrüstung wirklich niemand in Deutschland redete – sei's drum. Erinnert sich dagegen noch jemand an den Inhalt des Renten- oder Steuerkonzepts? Oder an das „Chancenkonto“? Genau.

Wer in der Gegenwart ankommen und Zukunft gestalten will, darf nicht ständig von Vergangenheit reden. Also weg von der ewigen „Seit 156 Jahren“-, „Willy-Brandt-Hurra“-, „die arme Krankenpflegerin und der böse Manager“-Rhetorik! Der Sozialstaat der Zukunft (Grundeinkommen?), der Wandel der Arbeitswelt und ein zukünftiges Europa, wie dies Macron gerade anstößt, liefern genügend Anknüpfungspunkte für zukünftige Vorstöße der SPD.

3. Seien Sie ideenreicher und origineller als die CDU und CSU!

Ein Weiter-so braucht Gründe. Wer rechte Positionen imitiert, stärkt das Original.   

Thomas Strerath, dessen Agentur Jung von Matt die Kampagne der CDU verantwortete, brachte das Ergebnis der Union in einem Beitrag auf Horizont auf den Punkt: „Wir könnten enttäuschter nicht sein. Merkel hat gewonnen, wir sind gescheitert.“ Dabei war die Kampagne gestalterisch ziemlich schick. Auch das begehbare Wahlprogramm war eine starke Idee.

Zwar gilt Merkel vielen Deutschen nach wie vor als stabiler Anker in unsicheren Zeiten. Aber dieses mal reichte ihr Charisma nicht aus, das programmatische und inzwischen auch personelle Loch von CDU und CSU zu stopfen. Warum auch soll man 40 Prozent der Stimmen nur dafür bekommen, wenn man „für ein Deutschland [ist], in dem wir gut und gerne leben“? Was waren Merkel’s Gründe für „Four more years“, wie es Obama bei seiner Kampagne zur Wiederwahl formulierte, um seine Politik weiterhin umsetzen und vollenden zu können?

Im letzten Wahlkampf 2013 reichte der CDU ein „Sie kennen mich“ von Merkel im Gegensatz zu einem Steinbrück, der sich von den Deutschen immer weiter entfremdete. Viele entschieden sich dieses Mal bei einer ohnehin gesetzten Kanzlerin nicht für die Union, sondern für die taktische Wahl der FDP (1.620.000), die Nicht-Wahl (1.610.000) oder die Protestwahl der AfD (1.040.000).

Schädlich war auch der jahrelange Streit zwischen CDU und CSU bei der Asylpolitik. Das Kalkül der CSU, sich als heimatdeutsches Korrektiv gegen Merkel zu positionieren, ging völlig in die Hose. Wie schon bei Guido Wolf in Baden-Württemberg und Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz führten rechte Positionen und die Abgrenzung von Merkel zum eigenen Verderben. Auch in anderen europäischen Ländern bestätigte sich die Regel: Wer Sprache und Politik des Populismus kopiert, verliert und stärkt das Original.

Die CSU bekam mit 38,8 Prozent und einem Verlust von -10,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949. Jetzt weiterhin nur mit Asylrechtsverschärfungen zu kommen, um die „rechte Flanke“ zu schließen, wiederholt diesen Fehler aufs Neue. Wer dem Rechtpopulismus entgegentreten will, darf gesellschaftliche Gruppen und sozial Benachteiligte nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss Antworten auf geschlossene Krankenhäuser und Jugendtreffs, auf verlorenes Vertrauen in den Staat und fehlende Teilhabe finden.

CDU und CSU brauchen zeitgemäße konservative Gesellschaftsentwürfe und Personen, um nach Merkel nicht auseinander zu fallen. Gesellschaftsentwurf heißt nicht nur „Obergrenze“ und innere Sicherheit, heißt nicht, sich weiter von der AfD “jagen” zu lassen. Sondern ein neues, christlich-demokratisches Leitbild für Deutschland zu entwickeln.

4. Bestimmen Sie die Agenda wie die AfD!

Wahlen gewinnt, wer hauptsächlich stattfindet und Polarisierung nutzen kann

Der Bundestagswahlkampf 2017 war der Wahlkampf der AfD. Die Partei hat es geschafft, innerhalb von drei Wochen von 8 Prozent auf fast 13 Prozent zu klettern. Ein Zuwachs von 5 Prozent in 21 Tagen. Drei Wochen meist kalkulierte Skandale, über die sich viele immer wieder aufgeregt und ihnen dafür den Raum gegeben haben. Die AfD durfte sich in den Talkshows für rechtsradikale Aussagen rechtfertigen oder sie wie Alice Weidel als Opfer (inszeniert) verlassen.

Die AfD war die hässlich-laute Stimme bei den kulturell-gesellschaftlichen Fragen gegen den (konstruierten) Block der anderen Parteien. Ihre Themen Asyl, Islam und innere Sicherheit überlagerten alles. Kaum eine Rolle spielten Rente, Steuern, Bildung, Soziales, Energie, Klima, Digitalisierung, Verkehr, Europa, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und vieles mehr. Die 97 Minuten TV-Duell zwischen Merkel und Schulz waren der eindrücklichste Beweis für die thematische Getriebenheit durch die AfD und ihre vielen Helferlein in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke.

Insgesamt wurde die AfD nur selten mit ihren Programmen zum sozialen Kahlschlag oder fehlenden Standpunkten zu Bildung oder Rente konfrontiert. Viele Medien werfen im Umgang mit der AfD nach wie vor Fragen auf, bei denen von den anderen Parteien keine grundlegend verschiedene Meinungen zu hören sind, schlicht aus dem Grund, weil das unserem (bisherigen) Grundkonsens widersprechen würde:

Aber: Was kann man gegen fast 1.000 Anschläge auf Geflüchtetenheime im Jahr 2016 und gegen Rechtsterrorismus unternehmen? Wie kann man die Situation in den Geflüchteten verbessern, damit die Menschen schneller Anschluss finden? Das war offensichtlich keine Fragen mehr wert.

Wenn Antwort auf die immer gleichen AfD-Tabu-Brüche bleibt, diese als ernstzunehmende Position zu diskutieren, verschiebt man die Grenze weiter ins rechte Nirvana. Damit treibt man tendenziell AfD-affine Menschen in die Arme der extremen Position: „Man wird das ja wohl noch sagen dürfen.” Auch, wenn sich die AfD-Positionen oft außerhalb unseres freiheitlich-demokratischen Grundkonsenses bewegen. In der Dynamik des öffentlichen Diskurses konnte die AfD die aktuelle, polarisierende Agenda mit ihrem Alleinstellungsmerkmal bestimmen und einen Pol besetzen. So gewinnen Parteien Wahlen.

5. Mut zu Design und konsequenter Zielgruppe wie die FDP!

Die Oberfläche ist entscheidend.  

Der Wahlkampf der FDP war ein Lindner-Wahlkampf. Das hat funktioniert und war damit richtig. Inhaltlich und personell ist es zum Großteil die Partei von 2013 mit einem 3-Tage-Bart-Spitzenkandidaten, der sehr gut reden und sich verkaufen kann. Ihre Standpunkte, darunter der befürwortete Austritts Griechenlands aus dem Euro-Raum, waren kaum ein Thema. Die Fragen zur FDP kreisten hauptsächlich darum, wie gut Lindner aussieht. Inhaltliche Auseinandersetzungen gab es kaum. Als brillanter Rhetoriker konnte er das überstrahlen.

Inhaltlich fokussierte sich die FDP auf Digitalisierung und Bildung – ein stark auf Zielgruppen verengter Wahlkampf mit Plakaten wie „Digital first. Bedenken second.“ Für viele ein großer Aufreger, Startup-Menschen gefällt’s. Auch Handykamera-Monologe von Lindner auf Facebook nach harter Arbeit im Auto waren ein Erfolgsrezept. Das hat auch schon in Nordrhein-Westfalen funktioniert. Die neue Oberfläche der FDP mit Magenta und dem neuen Namen als „Freie Demokraten“ ließ die missglückte Regierungszeit der damaligen Mövenpick-Partei von 2013 vergessen.

Am Ende entscheidet die Oberfläche. Das ist nicht negativ gemeint: Erst die Oberfläche durch Personen, Plakate, Symbole, Gesten und Slogans einer Partei schafft eine Identifikation und emotionale Bindung mit einer Partei und dessen Spitzenpersonal. Die FDP hat das in diesem Wahlkampf zur Perfektion getrieben. Vom Aufbau eines völlig neuen Images könnte gerade die SPD etwas lernen. Für die FDP war es eine phänomenale, lang vorbereitete Kampagne, welche die richtigen Kommunikationswege fand und sich am Ende auszahlte. Chapeau. Aber jetzt muss auch geliefert werden.

6. Formulieren Sie Machtoptionen, nicht wie Die Linke!

Wer alle Machtoptionen ausschließt, bleibt stehen.

Die Linke kam im Wahlkampf kaum vor. Dafür ist sie selbst verantwortlich. Ihre trashigen Plakate in Word-98-Ästhetik erreichten zwar ihre Zielgruppen von der hedonistisch geprägten Unter- und Mittelschicht bis hin zu innovationsaffinen, linken, jungen Menschen. Aber die Partei sollte allmählich klären, was sie will. Wer es sich als Oppositionsführerin zum Selbstzweck gemacht hat, gegen die SPD zu sein, gleichzeitig aber propagiert, Merkel abzulösen, liefert keine Alternative.

Ein linkes Regierungsprojekt aus SPD, Grünen und Linken rückte seit Beginn des Jahres ins vollkommen Unrealistische und machte Schulz’ Machtanspruch zur verzweifelten Komik. Am Ende erhielt eine mögliche Rot-Rot-Grüne Koalition nur 38,6 Prozent. 

Wenn Die Linke jemals regieren und einen echten Politikwechsel möchte, braucht es mehr als SPD-Verachtung und Daueropposition. Ein typisch, kulturell linkes Phänomen: Lieber kritisch sein als einen gesellschaftlichen Wandel in der Regierung herbeizuführen. Dass es anders gehen kann, zeigt der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen. Daran könnte sie sich ein Beispiel nehmen.

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