Tod von Oury Jalloh - Polizeigewalt braucht unabhängige Ermittler

Neue Erkenntnisse im Fall Oury Jalloh zeigen deutlich: Unser Rechtsstaat kann funktionieren. Aber man muss ihn unerbittlich drängen. Dafür braucht es endlich mehr als öffentliche Aufmerksamkeit

Das Verfahren um den grausamen Tod von Oury Jalloh könnte wieder aufgenommen werden / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Die Ermittlungen und zahlreichen Gerichtsverfahren in Sachsen-Anhalt im Fall des toten Flüchtlings Oury Jalloh waren und bleiben traumatisierend für all jene, die auf einen funktionierenden Rechtsstaat angewiesen sind. In erster Linie sind das die Angehörigen, aber auch wir übrigen Bürger, die darauf vertrauen wollen, dass Recht so gut es eben möglich ist, auch durchgesetzt werden kann.

Aufgrund der Beharrlichkeit viele Akteure ist der Fall Jalloh auch heute noch lange nicht abgeschlossen. Es zeigt sich so, dass der Rechtsstaat funktionieren kann, man muss ihn aber offensichtlich mühevoll und unter größtem Aufwand dazu drängen. Mehrere Gutachter, die sich mit Brandschutz, Medizin oder Chemie auskennen, kommen bezüglich Oury Jalloh laut aktuellen Recherchen des WDR-Magazins Monitor zu dem Schluss:

Der Mann aus Sierra Leone muss mit Brandbeschleuniger überschüttet worden sein und er war zu diesem Zeitpunkt wohl bereits tot oder handlungsunfähig. Er kann sich also nicht selbst angezündet haben. Letztere These wurde jahrelang verfolgt und ebenfalls nie schlüssig durch Beweise belegt. Was klar ist, Oury Jalloh verbrannte angekettet an einer Zellenwand auf einer Matratze vor mehr als 12 Jahren während er in Polizeigewahrsam war.

Erdrückende Indizien, aber wenig Beweise

Nach mehreren Verfahren reichten der Staatsanwaltschaft in Halle Indizien aber offensichtlich nicht aus für eine Anklage wegen Mordes. Sie stellte das Verfahren im Oktober dieses Jahres ein. Dabei wurde die Beweisaufnahme von Beginn an besonders behindert: Polizeibeamte konnten sich im Fall Jalloh nicht richtig erinnern, sie schwiegen, einige logen. Beweismittel wie eine Videoaufzeichnung verschwanden und viele weitere Ungereimtheiten kamen dazu.

Somit haben keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben, teilte die Haller Staatsanwaltschaft mit. Eine weitere Aufklärung sei nicht zu erwarten. Man habe zahlreiche Gutachten verschiedener Fachrichtungen ausgewertet  und komme zu dem Schluss, dass konkrete Ausbruch des Brandes, dessen Verlauf und auch das Verhalten von Oury Jalloh nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden können. Eine Vielzahl von Möglichkeiten bleibe denkbar.

Öffentliche Aufmerksamkeit, die nicht alle haben

Die Öffentlichkeit befasst sich mit dem Fall Oury Jalloh auch deshalb seit Jahren, weil er ein institutionelles Versagen offenlegt, dass vielen Opfern von Polizeigewalt widerfährt. Das Ausmaß der Berichterstattung war und ist deshalb erfreulicherweise groß. Selbst ein in Salzgitter spielender Tatort (Verbrannt) war 2014 angelehnt an die Vorfälle in Dessau entstanden. Das Erste zeigt ihn nun aus gegebenem Anlass aufs Neue. Solch mediale Aufmerksamkeit, solch beharrliches Drängen auf Klärung aber gibt es nicht für jedes Opfer. Trotz der Wachsamkeit ist zwar noch immer nicht eindeutig geklärt, was in dieser Zelle einst geschah. Aber das Zusammenspiel aus Medien, Politikern, Menschenrechtsgruppen und Opferanwälten garantiert, dass weiterhin keine Ruhe dort einkehrt, wo keine Ruhe angebracht ist.

Schwerfällige Ermittlungen gegen Staatsbeamte

In gewisser Weise zeigt der Fall Oury Jalloh, dass der Rechtsstaat zwar dahingehend funktioniert, als dass nun beispielsweise erneut Beschwerde eingelegt werden konnte von Seiten der Angehörigen. Die Ermittlungen können wieder aufgenommen werden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt zu dem Ergebnis kommt, dass dies gerechtfertigt ist. Der Rechtsstaat versagt nicht. Aber er erzeugt auf schreckliche Weise ein Gefühl eigenen Desinteresses, wenn es um Gewalt geht, die von seinen eigenen Beamten begangen worden sein könnte. Man muss unerbittlich drängen, braucht unzählige Verbündete, um sich dann trotzdem immer wieder aufs neue in ihm zu verstricken. Das ist eine erschreckende Feststellung und sollte nicht sein.

Man vermag es sich nicht vorzustellen, welche seelischen Schmerzen etwa Angehörige wie die Mutter von Jalloh seit mehr als einem Jahrzehnt durchleiden. Ein undurchdringlicher Justiz-Apparat raubt ihnen Ruhe, Lebenszeit und zumindest ein Gefühl von Genugtuung. Die sogenannten Mühlen der Justiz müssen langsam mahlen, ja. Wenn es darum geht, genau und nicht vorschnell zu urteilen, aber sie dürfen nicht jene zermürben, die ihm hilflos ausgesetzt sind, weil ihnen das Wissen fehlt, die finanzielle Sicherheit oder schlicht die psychische oder physische Kraft.

Gegen Polizeigewalt muss anders ermittelt werden

Der noch immer ungeklärte Tod von Oury Jalloh führt auf kaum zu ertragende Weise vor, wie dringend Deutschland seine Ermittlungen gegen Polizisten reformieren muss. Menschenrechtsgruppen, Vertreter von Opfern durch Polizistengewalt, Politiker und auch die Vereinten Nationen fordern dies seit Jahren. In anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien ermitteln nicht etwa Kollegen gegen Kollegen.

Sebastian Striegel, der rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen-Anhalt fordert deshalb zurecht: Die Einrichtung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle mit Ermittlungskompetenz ist notwendig. Und nicht erst, wenn ein Mensch in Polizeigewahrsam zu Tode kommt, sondern schon bei Körperverletzungen durch Polizisten müssen solche Ermittlungen institutionell unabhängig sein.

Viele Wissenschaftler, auch solche von Polizeiakademien forschen zu kriminellen Beamten und stellen fest, dass Polizisten bei Ermittlungen gegen sie selbst eine „Mauer des Schweigens“ errichten würden, um sich gegenseitig zu decken.

Auch weil gegen solche institutionellen Fehlkonstruktionen bislang nicht genügend getan wurde, braucht es leider die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft, braucht es Ausdauer und finanzielle Mittel umso mehr, um politischen Druck zu machen und juristische Wiederaufnahmen überhaupt zu ermöglichen. Das Resultat müsste ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sein und Sonderermittler, die keine direkten, sondern unabhängige Kollegen sind. Es geht um Oury Jalloh. Und es geht um viele andere.

 

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