Peter Sloterdijk - „Sämtliche Differenzen der modernen Gesellschaft befinden sich in Aufruhr“

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, in was für nervösen Zeiten wir aktuell leben? Dann sollten Sie unbedingt die neuesten Äußerungen des Gegenwartsphilosophen Peter Sloterdijk lesen. Ein Fundstück

Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von „Irritabilität“ / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Peter Sloterdijk ist ein Phänomen. Wenn er denkt und dabei redet, dann entstehen einerseits Aphorismen, die man leicht wie Brocken aus dem angebotenen Gedankengebirge lösen kann. Wie etwa dieser: „Politik ist der Schmerz, der entsteht, wenn andere Leute anderes wollen.“ Anderseits lassen sich größere Komplexe nur im Zusammenhang begreifen, und ein Herauslösen einzelner Brocken würde dem Philosophen, seinem Esprit, seiner Weisheit und seiner Formulierkunst nicht gerecht werden. Deshalb nur noch ein Auszug aus dem aktuellen und äußerst lesenswerten Gespräch der Neuen Zürcher Zeitung mit einem der besten deutschsprachigen Diagnostiker der Gegenwart:

„Gesellschaften werden durch geteilten Stress gebildet. Ich bin sicher nicht der Einzige, der den Eindruck hat, wir hätten seit einigen Jahren einen veränderten Aggregatzustand der medieninduzierten Aufgeregtheit erreicht. Die Heftigkeit und Giftigkeit der Invektiven in Europa, ja im ganzen Westen und, wie man so sagt, im Rest der Welt hat zugenommen, und zwar in allen Richtungen: links gegen rechts, der rechte Rand gegen den linksliberalen Mainstream, oben gegen unten, Geschlecht gegen Geschlecht, Inländer gegen Ausländer, Alt gegen Jung. Identitätsprobleme sind virulent wie nie zuvor. Sämtliche Differenzen, aus denen eine moderne Gesellschaft zusammengewoben ist, befinden sich in Aufruhr. Alle stehenden Dichotomien sind in Bewegung geraten, alles ist im Fluss, aber anders, als Heraklit meinte. Ich hege den Verdacht, dass es einen Mechanismus gibt, der das ganze diskutierende System in eine erhöhte Nervosität hineintreibt – nennen wir ihn das Gesetz der wachsenden Irritabilität. Das Ich des modernen Menschen ist stark beansprucht – und kämpft um die Aufrechterhaltung eines minimalen Standards von Identität.“   

Jetzt aber Schluss mit der Häppchenkultur. Und das ganze Gespräch nachlesen. Es lohnt sich. Versprochen.

Mit unseren „Fundstücken“ wollen wir in loser Folge auf außergewöhnliche Standpunkte aus dem Netz und anderswo hinweisen.  

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