Palästinensische Schulbücher - „Diese Bücher sind keine Basis für Frieden“

Der Westen finanziert teilweise Schulbücher, mit denen Kinder in der muslimischen Welt lernen. Warum das mitunter kontraproduktiv ist, beschreibt Constantin Schreiber in seinem neuen Buch „Kinder des Koran“. Ein Auszug über palästinensische Schulbücher

Palästinensische Schülerinnen und Schüler in einer Schule in Dubai / picture alliance
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Autoreninfo

Constantin Schreiber ist Moderator der ARD-Tagesschau und des Magazins „Zapp“ im NDR. Er spricht Arabisch und berichtete unter anderem für n-tv aus dem Nahen Osten. Für die n-tv-Sendung „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ erhielt er 2016 den Grimme-Preis.

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Ich habe mir zahlreiche palästinensische Schulbücher aus Gaza und dem Westjordanland besorgt, die im Schuljahr 2017/18 in Verwendung waren. Sie alle wurden vom palästinensischen Bildungsministerium herausgegeben und autorisiert. „Staat Palästina“ steht auf ihren Titelseiten, darüber prangt das Wappen der Palästinensischen Autonomiegebiete, der Adler Saladins. Auch in den UNRWA-Schulen werden diese Bücher benutzt. Die UNRWA-Mitarbeiter fügen lediglich eigene Materialien hinzu, „um sicherzustellen, dass in UNRWA-Schulen die Prinzipien und Werte der Vereinten Nationen vermittelt werden“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage. Die Werte, um die es dabei laut Bundesregierung geht: Neutralität, Menschenrechte, Toleranz, Gleichheit, keine Diskriminierung in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion.

Genauer betrachten möchte ich ein Lehrbuch für das Fach „Arabische Sprache“. [...] Schon beim ersten Durchblättern des Buches stelle ich fest, dass die Texte sehr politisch sind. Das wundert mich ein wenig. Ich hätte im Sprachunterricht eher klassische arabische Texte erwartet, denn üblicherweise geht es im Arabisch-Unterricht darum, den Schülern klassisches Hocharabisch beizubringen. In den verschiedenen Ländern der arabischen Welt sprechen die Menschen im Alltag ganz unterschiedliche Dialekte. Sie sind zum Teil in Wortschatz und Grammatik so verschieden, dass es sich eigentlich um verschiedene Sprachen handelt.

Ein Syrer und ein Marokkaner zum Beispiel haben große Probleme, sich in ihrer jeweiligen „Landessprache“, dem syrischen und dem marokkanischen Arabisch, zu verständigen. Daneben gibt es das klassische Hocharabisch, Fusha genannt. Es ist die Sprache, in der Zeitungen verfasst, Bücher gedruckt und Reden gehalten werden und die in mehr oder weniger konsequenter Form im Fernsehen verwendet wird. Fusha lernen arabische Schüler für gewöhnlich in der Schule, meist anhand klassischer Erzählungen und literarischer Texte.

Das palästinensische Buch ist sehr umfangreich, was es unmöglich macht, es hier komplett wiederzugeben. Ich habe mir deshalb einige Teile herausgegriffen. Eines vorweg: Der Name „Israel“ fällt im gesamten Buch nicht ein einziges Mal.

„Das Massaker von Tantura“

Eine der ersten großen Erzählungen in dem Lehrbuch trägt den Titel „Das Massaker von Tantura“. Bebildert wird die Geschichte mit demselben Foto, das sich auch auf dem Titel des Buches befindet: ein kleines Fischerdorf am Mittelmeer. In dem Text wird Israel vorgeworfen, 1948 ein Massaker an den arabischen Bewohnern des Dorfes zwischen Tel Aviv und Haifa begangen zu haben. Die Rede ist von der „zionistischen Besatzungsarmee“, „zionistischen Banden“, „zionistischer Politik“, „zionistischen Angreifern“. Israel wird als feige dargestellt, zum Beispiel so:

„Die Erzählungen rund um dieses tragische Ereignis stimmen darin überein, dass die Führungskräfte der zionistischen Armee sich für den Angriff auf dieses Dorf entschieden, weil es das schwächste Glied in der Region südlich von Haifa war.“ Das Vorgehen der paramilitärischen Untergrundorganisation Haganah wird als völkerrechtswidrig und brutal eingestuft: „Dies ist im Einklang mit der zionistischen Politik zu betrachten, die auf ethnische Säuberung und Vertreibung der Palästinenser aus deren Städten und Dörfern fußt.“

Der Autor lässt einen Überlebenden zu Wort kommen, der sich emotional eindrucksvoll an das Massaker erinnert: „Dann nahmen sie sie, ein Dutzend nach dem anderen, und erschossen sie nahe der Kaktusbüsche, während sie lauthals lachten.“ Israels heutigen Umgang mit Tantura nennt das Buch „Ironie, die die zionistische Verachtung aller menschlichen Werte verdeutlicht“. Das Massengrab, das „Dutzende Dorfbewohner verschlang“, sei heute „zu einer touristischen Anlage mit Pkw-Parkplatz und einem erholsamen Strand am Mittelmeer“ umfunktioniert worden.

Bewusste Romantisierungen und eine Drohung

Geht es aber um die palästinensischen Wurzeln des Ortes und seine Bewohner, dann wird die Sprache blumig, romantisierend. Im Lehrbuchtext heißt es: „Aus den verstreuten Steinen und den Überresten ihrer zerstörten Häuser steigen der Duft ihrer glorreichen Vergangenheit, die Schmerzen ihrer Gegenwart, die unter Pein, Katastrophen und Unglück stöhnt. Es ist Tantura, die Perle des Meeres, Sehnsuchtsort der bezaubernden Schönheit und des ruhigen Glaubens, Leuchtturm aller Leuchttürme und Tor der Zivilisationen, Spiegel der Geschichte und Zeuge der Authentizität, der Unverfälschtheit, der Zugehörigkeit zu ihrer Nation und der ruhmreichen Vergangenheit.“ Der ursprüngliche Ort Tantura wird als „bezaubernd“ beschrieben, die Umgebung voller „Harmonie“.

Der Text endet schließlich mit einer Drohung: „Während die Besatzung mittels ihrer rassistischen Gesetze weiterhin die Rückkehr der ursprünglichen Bewohner von Tantura und der übrigen 532 zerstörten Dörfer auf ihr Land und in ihre Häuser verhindert, so wird die Politik der Vernichtung und der Zerstörung doch nicht die erhofften Ergebnisse bringen! Diese Politik, mit der die zionistische Entität eine Tragödie über das Leben von Abertausenden Menschen unseres Volkes gebracht hat, wird ihr keine Sicherheit bringen.“

[...]

Gab es ein Massaker?

Woher stammt die Geschichte zu Tantura, was steckt dahinter? Die Ereignisse vom Mai 1948 lassen sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Klar ist, dass es dort am 22. und 23. Mai zu Kämpfen kam, in denen eine unbekannte Anzahl Dorfbewohner getötet wurden. Die angreifenden israelischen Einheiten verfolgten das Ziel, die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben. Einen großen Teil der verbliebenen Einwohner brachten die Israelis fort, sie gelangten in ein Flüchtlingslager im Westjordanland. Tantura wurde schließlich weitgehend planiert und in der Nähe das Kibbuz Nachscholim und der Moschaw Dor gegründet.

Kam es zu dem im Buch beschriebenen Massaker? Dass israelische Streitkräfte 1948 Massaker verübten – der israelische Historiker Benny Morris nennt rund zwei Dutzend mit ungefähr 800 Toten 7 –, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten. Fand auch eines in Tantura statt? Die bekannten zeitgenössischen Berichte erwähnen nichts Eindeutiges, erst viel später interessierten sich Historiker für den Ort. Ein israelischer Geschichtsstudent reichte im Jahr 1998 an der Universität Haifa eine Masterarbeit ein, für die er frühere Einwohner Tanturas befragt hatte. Sie berichteten von einem Massaker mit bis zu 250 Toten. Ehemalige Angehörige der Einheit, die Tantura erobert hatte, widersprachen energisch und verklagten den Studenten wegen Verleumdung. Sie beharrten darauf, dass in dem Massengrab vor Ort rund 75 Tote der Kämpfe lägen. Der Student zog seine Aussage, es habe ein Massaker gegeben, vor Gericht zurück, was er jedoch wenig später widerrief.

Ein Unterstützer des Holocaust als Nationalheld

Sehr wahrscheinlich kam es in Tantura zu widerrechtlichen Tötungen von Dorfbewohnern. Was ein umfassendes Massaker angeht, wie es das Schulbuch darstellt, stehen die Aussagen der israelischen Veteranen gegen die der arabischen Zeitzeugen. Der Fall Tantura zog in Israel weite Kreise an Hochschulen, vor Gericht und in der Presse. Von diesem Ringen um die Wahrheit findet sich im palästinensischen Schulbuch keine Spur. Stattdessen stellten die Autoren zwei drastische Zeitzeugenberichte als unzweifelhafte Tatsachen hin. Und sie erwähnen den Großmufti Amin al-Husseini als nationalen Helden – in Israel gilt er mit gutem Grund als Unterstützer des Holocaust.

„Absolut einseitig“, findet der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour die Darstellung. Die Perspektive schaffe seiner Meinung nach nichts außer Hass und ermögliche keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Mansour: „Man kann Hocharabisch mit allen möglichen Texten lernen, aber der über Tantura hat in einem Schulbuch nichts zu suchen.“ Von Mansour, der sich mit Radikalisierung von Jugendlichen beschäftigt, will ich wissen, was einText wie der vorliegende mit Teenagern macht. „Wer Texte wie den zu Tantura in der Schule liest, wird sich später wohl kaum für einen Friedensprozess mit Israel engagieren“, sagt Mansour. Die Frage, die für ihn über allem schwebt: Könnt ihr den anderen als euren Nachbarn annehmen? Nach einem Text wie diesem ist die Antwort für ihn: Niemals.

[...]

Dämonisierung des jüdischen Staates

Aus Schulbüchern können wir ableiten, welche Werte, welche Geschichtsauffassung und damit auch welche Zukunftsperspektiven nach staatlichem Willen an die nächste Generation weitergegeben werden soll. Beim Lesen der palästinensischen Schulbücher – nicht nur dem zur arabischen Sprache – wird mir schnell klar: Offenbar plant keiner der Autoren, dass die nächste Generation eine Straße zum Frieden, zur Lösung des Konfliktes baut. Den Schülern wird nicht beigebracht, sich konstruktiv mit der politischen Lage und der Geschichte auseinanderzusetzen und damit die Grundlagen für ihre Zukunft zu schaffen. Ich vermisse die Vermittlung von Toleranz, Verständnis, Gemeinsamkeiten. Diese Bücher sind keine Basis für Frieden, sie schüren Hass und Dämonisieren den jüdischen Staat.

 

Das Buch „Kinder des Koran“ ist erschienen im Ullstein-Verlag. Der hier veröffentlichte Text ist eine gekürzte Version des Kapitels „Kinder Palästinas“.

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