Zum Tod von Leonard Cohen - Der Gott der Liebe geht

Leonard Cohen holte die Liebe, ihre Euphorie und ihren Schmerz, immer wieder aus dem Innersten an die Oberfläche. Zum Glück haben wir ihn gehabt

Leonard Cohen: „Mein Ruf als Herzensbrecher war ein Witz, der mich bitter lachen ließ“ / picture alliance
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Die Komponistin und Sängerin Suzanne Vega erzählte kürzlich dem Chefredakteur des Magazins The New Yorker, David Remnick, wie sie einmal Leonard Cohen in seinem Hotel besuchte. Sie trafen sich am Pool. Cohen fragte sie, ob sie sich sein neues Lied anhören wolle. „Als ich ihm zuhörte, bemerkte ich, wie sich eine Frau nach der anderen, alle im Bikini, auf die Stühle um ihn herum setzten. Als er fertig war, fragte ich ihn, ‚Leonard, hast du all die Frauen wahr genommen?‘ Er antwortete ohne mit der Wimper zu zucken, ‚es funktioniert jedes Mal‘.“ Leonard Cohen war ein homme a femme, das ist jedem klar, der einmal ein Konzert von ihm besucht und in die Augen der versammelten Damenwelt geschaut hat. Natürlich hatte das mit seinem guten Aussehen, seiner grabestiefen Stimme zu tun. Und damit, wie er über sexuelles Erleben und über Frauenkörper schrieb und sang.

Mit ihm kehrte man ins Innere zurück

Aber was ihn über den Status eines Herzensbrechers hinweghob, und ihm schließlich doch die Herzen von Frauen und Männern gleichermaßen zufliegen ließ, war, dass sein Werk gleichermaßen von der Abwesenheit von Liebe und dem Leiden darunter geprägt war. Während Bob Dylan, der andere große Rockpoet, einen mitnahm zu den Endpunkten eines sich immer vergrößernden Universums, kehrte man sich mit Leonard Cohen ins Innere zurück. Und wie es dort aussah, konnte kaum einer besser beschreiben als er.

Denn auch bei ihm war die Liebe, das Leben, zersetzt mit der körperlichen Mangelhaftigkeit, den sexuellen Entbehrungen, der Einsamkeit und der Unsicherheit, die wir alle kennen. Noch 2006 schrieb er in seinem Gedichtband Buch der Sehnsucht: „Mein Ruf als Herzensbrecher war ein Witz/ der mich bitter lachen ließ/durch die zehntausend Nächte hindurch/die ich allein verbrachte.“ Die Erfahrung der Zurückweisung beschränkte sich nicht auf das Körperliche. Erst im Alter von gut 30 Jahren begann die Karriere des Sängers Leonard Cohen, hauptsächlich aus Geldmangel, weil ihm der Durchbruch als Schriftsteller nie gelungen war. Dennoch ist sie wohl ausschlaggebend für seine Kenntnis und Erkenntnis der Intimität. Denn erst der Mangel führt zur Wertschätzung und Wertschätzung zu Wert. Das macht Sex zu mehr als einer körperlichen Funktion.

Sex als Schlüssel der Emotionen

So hat auch Cohen immer wieder religiöse und spirituelle Themen mit den Ekstasen des Fleisches verwoben. Sex war für ihn nicht ein angenehmer Zeitvertreib, sondern ein spirituelles Abenteuer, der Schlüssel für Emotionen, die das Leben bestimmen. Wie bei Lawrence Breavman, der Hauptfigur des Cohen-Romans Das Lieblingsspiel. Als dessen Versuche, beim anderen Geschlecht zu landen, endlich erfolgreich sind, dreht er fast durch vor Freude. „Er jubelte, als er nach Hause ging, das neueste Mitglied im Klub der Erwachsenen. Warum hingen nicht alle Schläfer ihre Köpfe aus dem Fenster, um ihm zu applaudieren?“ Es ist nicht nur der sexuelle Akt, den Breavman feiert. Es ist die Herrlichkeit des Lebens.

Bei den meisten von uns Normalsterblichen lässt diese Intensität nach dem ersten sexuellen Erleben immer weiter nach, wie bei allen anderen Dingen auch. Fast jeder erinnert sich an das erste Mal, an das erste Treffen mit einem neuen Menschen, aber wer kann schon eine Wiederholung von der anderen unterscheiden? Sogar Sex wird mit der Zeit oft langweilig, kaum noch bemerkenswert.

Kaum auszuhaltende Intensität

Bei Leonard Cohen schien das nie der Fall zu sein. Offenbar konnte er diese Wertschätzung immer bewahren. So sehr, dass er es kaum aushalten konnte. Sein Leben lang kämpfte er mit Depressionen, flüchtete in Drogen, in den Alkohol und sogar in ein buddhistisches Kloster, in dem er eine Zeit lang als Mönch lebte: mit kahl geschorenem Kopf, Schlafen auf dem Fußboden und allem, was dazugehörte. Diese gleichbleibende Intensität aber brachte ihn dazu, mit einer unheimlichen Wahrhaftigkeit über die Liebe schreiben zu können. Ob es nun das körperliche Verlangen (Take This Longing), die stille Traurigkeit eines vernünftigen Schlussstrichs (Hey, That’s No Way To Say Goodbye) oder die demütigende Endgültigkeit einer Trennung war (Alexandra Leaving).

Das letztere Lied, ein Spätwerk des 2001 veröffentlichen  Albums Ten New Songs, ist vielleicht mein Lieblingsstück von Cohen. Es nimmt ein Gedicht des Griechen Konstantinos Kavafis über den Tod von Marcos Antonius auf, der bei der Rückkehr nach Alexandria sich nach der falschen Nachricht von Kleopatras angeblichen Selbstmord in sein Schwert stürzte. Bei Cohen wurde es eine schmerzlich ehrliche Akzeptanz der Endgültigkeit der Liebe. Die Frau verlässt ihn, und mit ihr geht der Gott der Liebe.

Der „Krieg zwischen Mann und Frau“

Cohen ließ sich manchmal durch seine Ehrlichkeit zu extremen Aussagen verleiten, keine Frage. Seiner Ansicht nach gibt es sowohl einen „Krieg zwischen Mann und Frau“, als auch einen „zwischen denen, die sagen, dass es einen Krieg gibt und denen, die sagen, dass es ihn nicht gibt“ (There Is A War). Und er hat geschrieben, dass er erst wisse, ob er eine Frau kennengelernt habe, wenn er ihr Gesicht vom Orgasmus verzerrt gesehen habe, den er mit ihr gemeinsam erlebt hätte, „alles andere ist Fiktion“. Manchmal hört sich das, was er schreibt, an wie ein schmieriger Führer eines New-Age- Kults, der doch in Wahrheit nur ein Verführer ist, nach dem Motto: Öffne Deinen Körper und öffne Deine Seele.

Aber auf der anderen Seite, ist es nicht doch genau das, was wir fühlen, wenn wir lieben? Wer hat nicht schon alle Frauen oder alle Männer verflucht, wenn eine oder einer einen verlassen haben? Führt nicht tatsächlich erst der gemeinsame Orgasmus mit einem anderen Menschen zum wahren Kennen dieses Menschen? Und wer ist nicht schon euphorisch durch die Straßen getanzt nach einer besonders magischen Nacht?

Wir lernen mit der Zeit, diese Gefühle zu verbergen, wir müssen das tun, um in der Gesellschaft funktionieren zu können. Aber das heißt nicht, dass wir sie nicht mehr haben. Sie sind immer noch da, in uns drin, wir lassen sie nur nicht mehr an die Oberfläche. Zum Glück hatten wir Leonard Cohen, denn er holte die Liebe, ihre Euphorie und ihren Schmerz, immer wieder nach oben, bis zu seinem Lebensende mit 82 Jahren, bis zu seinem kurz vor seinem Tod veröffentlichten Album You want it darker. Wer ihn liest und ihm zuhört, für den ist es immer wieder und für immer das erste Mal. 

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