- „Hör' mir doch mal zu!“
Einander wieder mehr Zuhören – ein propagierter Trend, von dem sich insbesondere Politiker und Medien die Heilung einer gespaltenen Gesellschaft versprechen. Dabei hören wir einander zu wie nie zuvor. Es muss um etwas anderes gehen, schreiben nun zwei Historiker
Alle wollen sie inzwischen mehr zuhören. Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ging als Generalsekretärin 2018 auf Zuhör-Tour. Wirtschaftsminister Peter Altmaier besuchte bei seiner Netzausbaureise, samt dem schmissigen Hashtag #NetzeJetze, „Akteure vor Ort in Städten und Gemeinden“. Und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer will mit seinem „Sachsengesprächen“ auch 2019 alle zehn sächsischen Landkreise als auch die drei kreisfreien Städte besuchen, heißt es auf der Webseite der Staatsregierung. Auch Frank-Walter Steinmeier lässt inzwischen regelmäßig die „Kaffeetafel des Bundespräsidenten“ eindecken: Es gehe ihm um ein „Gespräch auf Augenhöhe, darum, die Meinungen und Argumente seines Gegenübers anzuhören und sich vielleicht sogar darauf einzulassen“. Auch „die SPD muss wieder mehr zuhören“, erkannte bereits 2017 der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).
Geholfen hat es insbesondere den Genossen bislang wenig. Aber im politischen Betrieb bestätigt man sich gerne selbst und klopft man sich gegenseitig dafür auf die Schulter, dass ja jetzt alle erkannt haben, wieder mehr zuhören zu müssen. „Aber woher kommt die Idee, dass die Demokratie „Zuhören“ verlangt – und was könnte daran falsch sein?“ – Das fragen sich in einem aktuellen Beitrag „#Zuhören. Die politischen Fallstricke einer schönen Idee“ die Historikerin Svenja Goltermann und der Historiker Philipp Sarasin. Das Zuhören sei ein Trend, der auch weit über die Politik hinausgehe. Auch die Medien wollen ihren Lesern mehr zuhören. Von Psychologie-Ratgebern bis Esoterik-Heftchen: Zuhören ist angesagt wie nie.
Wir hören zu wie nie zuvor
Das Zuhören, so die beiden Wissenschaftler, habe einen Ursprung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. „In der Nachkriegszeit hatten die westlichen Besatzungsmächte die „discussion“ als eine demokratische Technik propagiert, die von den Westdeutschen auch bereitwillig aufgenommen wurde.“ Diese neue Art der „Diskussionslust“ habe den Abstand zum Nationalsozialismus markieren und das neue, das demokratische Verständnis des miteinander Sprechens betonen sollen. Diese neue Form eines „partizipativen Verständnisses des Zuhörens“ habe darauf abgezielt, dem „Volk“, den „Armen” oder den „kleinen Leuten“ eine Stimme zu geben, ihnen zuzuhören – und sie nicht nur immer zuhören zu lassen, schreiben Goltermann und Sarasin. Selbst der Papst habe dazu Ende der Sechzigerjahre aufgerufen.
Neben der Partizipation sollte das Zuhören aber schlicht auch Empathie lehren und ermöglichen. Ein Über-sich-selbst-Sprechen mit einem, der einfach mal – und nur – zuhört wird bis heute auch als therapeutischer Ausweg aus einem seelischen Leiden beschworen. Übertragen auf die Gesellschaft boten lange Zeit Talkshows im Fernsehen und Zuschauersendungen im Radio und seit zwei Jahrzehnten in besonderem Maße die sozialen Netzwerke Möglichkeiten des einander Zuhörens (digital listening). Inzwischen wird also in einem Maße gesprochen und zugehört wie nie, konstatieren Goltermann und Sarasin. Darum mag es zunächst paradox erscheinen, dass zugleich beklagt wird wie nie, dass die Gesellschaften zerreißen und sich spalten, weil zu wenig zugehört werde.
Illusion von rundum harmonischer Anerkennung
Ein Problem liegt für Goltermann und Sarasin in einer Erwartungshaltung: Dass nämlich das, was im therapeutischen oder pädagogischen Rahmen zu einem Gefühl des Angenommen-Seins führen kann, ob nun bei Kindern oder Erwachsenen, nicht einfach so in den politischen oder medialen Bereich übertragen werden könne:
„Das aber erzeugt die Illusion, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen sich durch „Sprechen“ und „Zuhören“ versöhnen ließen [...] Wenn Kitsch, wie der Philosoph Burkhardt Schmidt einmal sagte, „der schnellste Weg zur Versöhnung“ ist, dann ist „Zuhören“ der hegemoniale Polit-Kitsch unserer Tage. Es ist der Traum davon, dass die Gesellschaft, wenn man sich nur gut zuhört, wenn jeder seine Wahrheit sagen und jeder und jede „anerkannt“ würde, letztlich „ganz“, „heil“ und ohne Konflikte sein könnte. Es ist der Traum einer „Revolution des Zuhörens“.“
Dass diese erzeugte Illusion keineswegs ein Problem sogenannter etablierter Parteien zeigen die Historiker auch. Ob Lutz Bachmann von Pegida, die AfD oder Marine Le Pen vom französischen Rassemblement national – es sei zwar keine exklusiv „rechte“ Strategie. Aber sie verfängt natürlich auch hier. Wenn „zuhören“ und „verstehen“ emphatisch aufgeladen würden, stelle das ein Partizipations- und Anerkennungsversprechen dar, das so gar nicht erfüllt werden kann.
Politiker müssen vermitteln, nicht anerkennen
Zurecht fragen Goltermann und Sarasin sinngemäß: Wo soll das enden, wenn es nicht enden kann? Denn es entstehe eine Spirale, die nie stoppt, da man sich schlicht nie ganz verstanden fühlen kann. Und sie warnen: „Wenn aber das auf Anerkennung schielende „Zuhören“ zur Essenz des Politischen wird, gerät Politik in die Spirale, nie genug zuhören zu können. Sie folgt dann einem Anspruch, den sie nicht erfüllen kann, weil sie nicht mehr versucht, konfligierende Interessen zu vermitteln, sondern die vielen Einzelnen, denen sie „zuhört“, anzuerkennen. Daran kann sie nur scheitern – und produziert deshalb, geradezu panisch, diese unerfüllbare Forderung ständig selbst.“
Ob Zuhör-Touren, Sachsen-Gespräche oder bundespräsidiale Kaffeetafeln – einander Zuhören, miteinander Sprechen ist zunächst kein falsches Signal. Daraus aber kann aber kein genereller Anspruch abgeleitet: Ich wurde gehört, warum handelt mein Gegenüber jetzt nicht so, wie ich es will. Kompromisse, aber auch Streit und Meinungsverschiedenheiten auszuhalten, ob mit oder ohne geballte Faust (in der Tasche!), dürfte die viel größere Herausforderung, insbesondere in von diversen digitalen Sprechzimmern durchzogenen Gesellschaften. Wir lesen, sehen und hören so viel nie. Und affektives Reagieren ist menschlich. Aber affektives Regieren ist nicht politisch.
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