Was Satire nicht darf - Langweilig sein

Lieblos zusammengekehrte Merkel-Cartoons, schale Satiren und langweilige Kommentare – die deutsche Ausgabe der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ist eine Enttäuschung. Humorgehalt und Erkenntnisgewinn sind gleich null

Aus der Witze-Werkstatt: die Titelseite der deutschen Charlie-Hebdo-Ausgabe
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Fangen wir hinten an. Auf der letzten Seite versammeln sich Entwürfe von „Titelseiten“, vor denen der Leser „verschont“ (so heißt es dort wörtlich) geblieben ist, die deren Macher dann aber offenbar doch für zu lustig hielten, um sie nicht abzudrucken. Also zum Beispiel eine Porträtzeichnung von Frauke Petry mit dem Bildtext „Den Scheitel hat sie schon. Fehlt nur noch das Bärtchen!“ Das entspricht ungefähr dem Witzigkeitsniveau von Wahlplakaten, auf denen dem Kandidaten ein Hitlerbärtchen angekritzelt wurde.

Gleich neben den „Titelseiten“, vor denen man leider doch nicht „verschont“ wurde, stehen ein paar Witze, die besser auch nochmal einem Stresstest hätten unterzogen werden sollen. „Vaterland“ heißt einer davon, und er geht so: „Deutschland will die Verteidigungsausgaben erhöhen. Bald werden das Landungsboot ,Angela Merkel‘ und der Minenräumer ,Wolfgang Schäuble‘ gebaut.“ Ende. Vielleicht folgt die Pointe aber auch erst in der nächsten Ausgabe des seit heute auf Deutsch erhältlichen Charlie Hebdo.

Und das war alles?

Mit Sicherheit hätte es ohne die mörderischen Attentate auf die Pariser Redaktion der Satirezeitschrift einen deutschen Ableger von Charlie Hebdo nie gegeben. So steht es auch im Editorial, das sich an die „chers amis allemands“ richtet: „Sie können sie von nun an kennenlernen: die Zeitung, von der Sie seit zwei Jahren so viel gehört haben.“ Das Unangenehme an diesem Experiment ist allerdings weniger die unverhohlene Zumarktetragung eines Verbrechens mit elf Toten. Sondern die Tatsache, dass die Leser des deutschen Charlie Hebdo sich nach Lektüre der 16 Zeitungsseiten fragen müssen: Und das war alles?

Der größte Witz an dem Satireblatt besteht darin, dass ein paar lieblos zusammengekehrte Merkel-Cartoons („Wählt Mutti, sonst ab in die Ecke!“), schale Satiren und langweilige Kommentare zur politischen Situation Frankreichs auf schlechtem Papier vier Euro kosten sollen. Vielleicht muss man den Kauf der deutschen Charlie Hebdo-Ausgabe ja als eine Art Solidaritätsaktion verstehen, als ein Signal dafür, dass „Satire alles darf“. Ob Satire tatsächlich alles dürfen sollte, ist nach den Terrorattacken auf das französische Mutterblatt rauf und runter diskutiert worden. Nach der Lektüre des deutschen Ablegers steht jetzt jedenfalls fest, was Satire nicht darf: langweilig sein. Langweilig und so bemüht wie der Cartoon, der es dann tatsächlich auf die Titelseite gebracht hat: Angela Merkel auf einer Hebebühne, unter ihr ein VW-Arbeiter mit dem Spruch: „Ein neuer Auspuff, und es geht noch vier Jahre weiter.“

Moralinsäuerliche Artikel und gähnende Langweile

Die meisten politischen Beiträge wurden aus dem Original übernommen – was hilfreich sein könnte, um unser Nachbarland aus französischer Perspektive kennenzulernen anstatt durch die Brille deutscher Auslandskorrespondenten. Leider ist der Erkenntnisgewinn dennoch gleich null. Ein an den Haaren herbeigezogener Vergleich des republikanischen Präsidentschaftsanwärters François Fillon mit dem kubanischen Revolutionsführer („Fillon ist ein rückwärtsgerichteter Fidel Castro“) oder ein schülerzeitungshafter Artikel über die französische Atomlobby: Nichts davon ist auch nur ansatzweise informativ, originell oder wenigstens halbwegs überraschend. Und der Satiregehalt entspricht durchgehend dem Merkel-Cartoon mit der gealterten Bundeskanzlerin im Rollstuhl, die sich ihren nächsten vier Regierungsjahren mit dem Spruch „Das schaffen wir auch noch!“ entgegenschiebt.

Neben moralinsäuerlichen Artikeln und Interviews von gähnender Langweile, etwa über postmortales Einfrieren oder über eine ökologisch vorbildhafte Kommune in Schweden, haben die Macher der deutschen Erstausgabe unter der Überschrift „Rabenmutti und Vaterstaat“ ein Deutschlandspecial ins Blatt gehoben, damit das Ganze ein bisschen mehr nach Eigengewächs duftet. Es handelt sich allerdings um nicht mehr und nicht weniger als eine Art gezeichnete Straßenumfrage, bei der „Jan, Antifa-Aktivist aus Dresden“ oder „Udo, 58, Tankwagenfahrer für Shell“ ihre aktuellen Befindlichkeiten zum Besten geben: „Was ich mir an Deutschland wünsche? Einen sozialeren Staat und dass die Armen nicht immer ärmer werden“, teilt Udo uns mit. Gut, dass wir drüber geredet haben. Gesine Schwan kommt übrigens auch noch zu Wort.

Dem Legendenimage nicht gerecht geworden

Man ist schnell durch mit dem Blatt, es bleibt nichts hängen. Und das ist auch besser so. Die einzige Frage, die sich nach Durchsicht der erschütternd banalen Deutschlandausgabe von Charlie Hebdo stellt, ist folgende: Wie konnte dieses Heft jemals zur Legende werden? In Frankreich jedenfalls haben dafür schon vor dem Terrorangriff mittelmäßig witzige Mohammed-Cartoons mit maximalem Provokationsfaktor gereicht. Mit lahmen Merkel-Witzen wird dieser Effekt in Deutschland kaum zu wiederholen sein. Auch das ist vielleicht besser so.

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