Unter Antisemitismusverdacht - Nun auch noch Bach

Die Werke historischer Künstler muss man immer im Kontext ihrer Zeit sehen, sagt Klaus-Rüdiger Mai. Die Forderung, antijudaistische Sequenzen aus den Werken von Johann Sebastian Bach zu streichen, sei deshalb völlig absurd

So wie vielen historischen Kulturschaffenden aus Deutschland wird auch Bach Antisemitismus vorgeworfen / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

Foto: Herder

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Eine unheimliche Epidemie geht durchs Land. Sie steckt nach und nach die Größen der deutschen Kultur an. Die evangelische Kirche beschuldigte Martin Luther, die Politikwissenschaftlerin Naika Foroutan rief den Vorwurf an Immanuel Kant, allerdings ohne Beleg, in den Blätterwald und in Eisenach führt uns gleich eine ganze Ausstellung Johann Sebastian Bachs Vergehen vor Augen: Sie alle waren Antisemiten. 

Antisemitsmus und Antijudaismus sind nicht das Gleiche

Wer wird demnächst von Kuratoren wie Jörg Hansen oder Journalisten wie Rainer Balcerowiak enttarnt? Gotthold Ephraim Lessing? Moses Mendelssohn gar? Dabei werden inzwischen die Begriffe Antisemitismus und Antijudaismus synonym gebraucht. Es ist bekannt, dass Martin Luther Antijudaist war, als Antisemiten, wozu ihn die EKD machen möchte, kann man ihn jedoch nicht bezeichnen. Auch in den schlimmen antijudaistischen Schriften des Reformators wird deutlich, dass er die Juden als Anhänger eines Glaubens, nicht aber als Angehörige eines Volkes ablehnt. Martin Luther hätte eine Edith Stein, die zum Christentum übertrat, als Schwester in Christo angenommen. Die Nationalsozialisten interessierten sich nicht für die Konversion, sie gingen von ihrer verbrecherischen Rassenideologie aus und töteten die Nonne und große Philosophin.

In Luthers und Bachs Zeiten sucht man vergeblich nach Toleranz anderen Religionen gegenüber. Keine monotheistische Religion tolerierte damals die Konkurrenz. Das Konzept der Toleranz ist ein Produkt der Aufklärung. Es gebietet die Redlichkeit, historische Persönlichkeiten in ihrer Zeit zu betrachten und aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Wenn man diese Mindestanforderung in der Beschäftigung mit der Geschichte missachtet, läuft man dem Anachronismus in die Arme, der im Geschichtsrevisionismus enden kann.

Es braucht keinen politisch korrekten Bach

Die Ausstellung im Bach-Haus zu Eisenach, „Bach, Luther – und die Juden“, inspirierte Rainer Balcerowiak zu der Frage, ob man die Matthäus-Passion und die Johannes-Passion wegen ihrer „antijudaischen Botschaften“ noch aufführen dürfe, ob sie nicht in den „Giftschrank“ gehören, oder ob man ihnen ein Informationsblatt beilegen sollte, einen Kommentar, oder ob man gar in die Werke „eingreifen“ müsse, „zum Beispiel durch neue Textfassungen einiger Arien“. Balcerowiak spricht hier von Texten des Neuen Testaments, von den Evangelien. Die Forderung, in Bachs Passions-Texte einzugreifen, ist die Forderung, in den Text des Neuen Testaments einzugreifen. Wer erwägt, die Bach-Arien zu verändern, der verlangt, dass die Evangelien politisch korrekt überarbeitet werden.

Es geht hier wohl weniger um historische Aufarbeitung, um die Auseinandersetzung mit einem dunklen Kapitel im Leben von Johann Sebastian Bach, sondern um tagespolitische Propaganda.

Johann Sebastian Bach hat sich als Thüringer und als Deutscher gesehen, ohne dass ihm dieses Selbstverständnis den Blick für die Leistungen der Komponisten in anderen Regionen und Ländern getrübt hätte, wie er als Lutheraner auch katholische Kirchenmusik geschrieben hatte. Den „Soundtrack zum Protestantismus“ hat er allerdings nicht geschaffen, ein Blick ins evangelische Liederbuch belegt das.

 

Klaus-Rüdiger Mai veröffentlichte 2014 das Buch Die Bachs - Eine deutsche Familie", List Verlag, 448 Seiten, gebunden 26,99 Euro

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