Ultras gegen DFB - Grindels Angst

Heute beginnt die Bundesliga. Wieder geht es um Tore, Punkte und Millionen. Aber es geht auch um die Zukunft des Fußballs. Denn der Streit zwischen dem DFB und den Fans zieht weite Kreise

Ultras verbrennen Pyros beim DFB-Pokalspiel Hansa Rostock gegen Hertha BSC / picture alliance
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Ingo Petz ist freier Journalist und publiziert seit über 20 Jahren zu Belarus.

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Heute beginnt die Fußball-Bundesliga. Wer wird Meister? Wer steigt ab? Wer schafft es ins Millionen-Spiel der Champions League? Welcher Trainer wird als erster gefeuert? Das sind die Fragen, die den Betrieb zu Beginn einer jeden Spielzeit umtreiben. Normalerweise.

Nun aber ist Reinhard Grindel, DFB-Präsident, bereits am vergangenen Mittwoch vor die Kameras der Republik getreten. Mit einem Statement setzte er das Thema, das die kommende 55. Saison nach Einführung der Bundesliga bestimmen könnte. „Es ist Zeit zum Innehalten“, so Grindel. „Es ist Zeit zum Umdenken.“

Der weltweit größte Fußballverband streckt die Hand aus nach seinen schärfsten Kritikern in den deutschen Fußballstadien, die in aller Welt mittlerweile für ihre lebendige und kreative Fankultur bewundert und beneidet werden. Eine Kultur, die den Marktwert der Bundesliga entsprechend attraktiver gemacht hat. Ein Dialog soll helfen, ein Band zu kitten, das vielen in der aktiven Fanszene des Landes als zerrissen gilt. Kollektivstrafen wie die Sperrung einer kompletten Tribüne will der DFB vorerst aussetzen. Ohnehin hätten die vor einer staatlichen Gerichtsbarkeit keinen Bestand und würden vornehmlich unschuldige Fans treffen. Damit kommt man einer Forderung der aktiven Fanszene nach. Aber wird das ausreichen?

Längst nicht mehr nur ein Spiel

„Scheiß DFB“, hallt es seit vielen Jahren durch die Stadien. Die Beziehung zwischen aktiven Fans auf der einen Seite und Verbänden auf der anderen Seite ist äußerst angespannt. Und nicht erst seit dem martialischen Auftritt der Fans von Dynamo Dresden im vergangenen Mai beim Zweitligaspiel in Karlsruhe, als die Tarn-Klamotten tragenden Dynamos dem DFB mit Bengalos, Bannern und Rauchtöpfen den Krieg erklärten. Ein Auftritt, der aufgrund seiner beispiellosen Humorlosigkeit und seines dumpfen Militarismus zurecht kritisiert wurde. Doch die Idee, klare Kante gegen den DFB zu beziehen, wird von vielen Fanszenen vereinsübergreifend geteilt. Entsprechend solidarisierten sich viele Ultra-Szenen mit den Dresdnern und stimmten in den Chor der Wut ein.

Man kann das leicht als pubertierendes Getue einer Szene abtun, die sich ohnehin viel zu ernst nimmt. Schließlich ist Fußball doch nur ein Spiel. Allerdings sind alle, die Fußball schauen, die überteuerte Trikots kaufen, die zu den neuesten Millionen-Transfers twittern und damit das globale Milliarden-Geschäft des Fußballs befeuern, dafür verantwortlich, dass der Fußball längst nicht mehr nur ein Spiel ist. . Er ist ein globales Mega-Event geworden, das durch die Überhöhung von Glücks- und Heilsversprechen in wirtschaftliche, aber auch in gesellschaftliche und politische Bereiche hineinstrahlt – mit allen seinen positiven und negativen Effekten.

Ultras nicht per se gewaltgeil

Fans, die Wochenende für Wochenende ins Stadion pilgern, die tausende Kilometer zu Auswärtsspielen zurücklegen, die große Teile ihres Einkommens und ihrer Zeit auf die Unterstützung ihres Vereins verwenden, die sich für faire Ticketpreise und Anstoßzeiten einsetzen, haben ein Recht, ernst genommen und nicht nur als Konsumenten und damit als Zuträger einer Wirtschaftsbranche verstanden zu werden.

Es sind vor allem die sogenannten Ultras, die sich im vergangenen Jahrzehnt als Kritiker der Kommerzialisierung und des Ausverkaufs hervorgetan haben. Dabei nutzen Ultras die durch die Kommerzialisierung gesteigerte Hyper-Aufmerksamkeit auch als Plattform für ihre Choreographien und ihre Botschaften. Sie sind das Kind einer Dynamik, die sie selbst kritisieren.

Für Außenstehende mag diese nach Außen hermetisch abgeschottete Jugendkultur befremdlich und martialisch wirken. Aber es ist ein Missverständnis, dass Ultras per se gewaltgeile und asoziale Volltrottel sind – so wie dies sinngemäß in einer Kampagne behauptet wird, die die Bild-Zeitung seit geraumer Zeitung gegen Ultras fährt. Es kommt immer wieder zu Randalen in Stadien. Ganz wird sich dies wohl nie ausmerzen lassen. Das soll keine Rechtfertigung sein. Aber wer in den Achtzigern in West-Deutschland Fußball-sozialisiert wurde, als Hooligans und Nazis die Ränge zu äußerst unangenehmen Orten machten, weiß, dass das sogenannte „Stadionerlebenis“ heute sicherer als je zuvor ist.

Soziales Engagement innerhalb der Vereine

Die Ultras sind keine homogene Gruppe. Die Szenen unterscheiden sich von Verein zu Verein vehement. Und auch innerhalb der Vereine gibt es Gruppierungen, die sich unterscheiden. Manche sind links, manche rechts, manche bezeichnen sich als unpolitisch oder als basisdemokratisch. Manche Gruppen sind Gewalt-affiner und haben eine engere Verbindung zu Hooligans. Im Großen und Ganzen sind Ultras zwar keine Pazifisten, aber sie lehnen Gewalt in den meisten Fällen ab.

Viele Ultra-Gruppen organisieren im Umfeld ihrer Vereine (denen sie im Übrigen ebenso kritisch gegenüberstehen wie dem DFB und der DFL) soziale Projekte, setzen sich für eine progressive Erinnerungskultur ein, engagieren sich gegen Rassismus und Diskriminierung und nutzen den Fußball als Vehikel für gesellschaftspolitisch relevante Fragen. Dieses häufig an Selbstausbeutung grenzende Engagement geschieht im Wesentlichen abseits der medialen Aufmerksamkeit. Eine Reduzierung der Ultras auf Gewalt ist damit nicht nur falsch, sondern auch fatal.

Die Tribüne als letzter Abenteuerspielplatz

Die Attraktivität der Ultra-Kultur liegt auch darin, dass junge Männer einen Raum in Stadien gestalten können. Ein Raum, in dem es selbstredend wilder zugeht als in einer Gesellschaft, in der Körperlichkeit, verbale und emotionale Ausfälle kaum noch geduldet werden – und die als Mittel dagegen nur Restritktion, Kontrolle und Empörung kennt. Vielen Jugendlichen gilt der Fußball deswegen als letzter Abenteuerspielplatz.

Ultras lernen dabei nicht nur, aufwändige Choreos zu basteln oder kreative Gesänge zu intonieren, sondern auch, wie Gruppen organisiert und verwaltet werden, wie man Kompromisse mit Vereinen oder eben Verbänden erreicht, wie man sich für seine Belange einsetzt. Manch einer würde sich wundern, wie rhetorisch geschult viele Ultras (und auch andere Fanvertreter) sind. In diesem Sinne sind Fußballtribünen in den vergangenen Jahrzehnten auch politischer und intelligenter geworden – und zu Räumen, in denen zivilgesellschaftliche Prozesse erlernt werden können, die für eine Demokratie unabdingbar sind.

Kritik wird auch von normalen Fans geteilt

Den Ultra gibt es also nicht (genauso wenig wie es den Fußball-Fan gibt). Und damit fängt das ganze Problem an. Die Strafverfolgungstechniken, die seit Anfang der neunziger  Jahre für Hooligans entwickelt wurden, werden fast Eins zu Eins auf Ultras angewendet. Vertreter der sozial-pädagogischen Fanprojekte, die sich seit Mitte der Achtziger als effektive Organisationen im Kampf gegen Gewalt und Extremismus hervorgetan haben, weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, Hysterie in Diskussionen um Fußballgewalt zu vermeiden. Diese Hoffnung auf Differenziertheit wiederum wirkt bei der Strahlkraft des Fußballs, die auch die Politik im Wahlkampf für sich nutzt, fast wie ein Pfeifen im Walde. Dennoch wäre ein Maßhalten vonnöten.

Ultras werden aufgrund ihrer enervierenden Dominanz oder ihrem moralischen Überlegenheitsgefühl zurecht kritisiert. Aber die Kritik am Ausverkauf und an der Eventisierung des Fußballs hat sich längst auch außerhalb der Ultra-Gruppen und der aktiven Fanszenen breit gemacht. Das konnte man beim DFB-Pokalfinale in Berlin beobachten, als eben nicht nur die Fans in den beiden Kurven, sondern auch eher unverdächtige Fans im Olympiastadion die Schlagersängerin Helene Fischer (als Symbol der Eventisierung) in der Halbzeitpause auspfiffen. Wer Woche für Woche ins Stadion geht, wird hören, wie auch normale Fans in den „Scheiß DFB“-Chor einstimmen.

Einigung bleibt fraglich

Und hier liegt die Erklärung für Grindels doch panikartiges Vorpreschen so kurz vor dem Ligastart. Denn auch ein 220 Millionen Euro-Transfer von Neymar, die Anbandelung des DFB mit China in Sachen Fußball, die Aufweichung der 50-plus-1-Regel, Wettbewerbsvorteile für die Reals und Bayerns dieser Welt, die die nationalen Ligen die sportliche Spannung nehmen, oder die fragwürdigen WM-Vergaben nähren die Kritik. Die Kritik an einem Fußball, der satt und fett geworden ist und der immer mehr seine Basis aus den Augen lässt und sich als aufgeblähtes Happening feiert. Auch die zum Wohle des Marktes zerstückelten Spieltage nähren Wut und Kritik unter den normalen Fans. Premier League oder Fußball als sozialdemokratisches Vorzeigemodell? Das ist also die Frage.

Was ist von Grindels Angebot zu erwarten? Fanorganisationen wie ProFans begrüßten das Dialogangebot des DFB, dennoch bleibt man skeptisch. Denn den Dialog zwischen DFB und aktiver Fanszene hat es bereits gegeben. Bis 2011 wurde beispielsweise über das kontrollierte Abbrennen von Pyros verhandelt. 2012 kam dann das sogenannte Sicherheitspapier, das der DFB ohne Abstimmung mit Fanvertretern auf den Weg brachte und das bundsweit Protestaktionen nach sich zog. Seitdem stehen die Fronten.

Die aktive Fanszene – die auch an ihrer Kompromissfähigkeit arbeiten muss – wird sich bundesweit künftig weiter vernetzen und Möglichkeiten zum Protest in den Stadien suchen. Das sind TV-Bilder, die DFB und DFL ganz sicher nicht in den Kram passen. Ob es dem DFB aber gelingt, eine über Jahrzehnte mündig gewordene Fanszene tatsächlich mit akzeptablen Kompromissangeboten zu begegnen – und zwar auf Augenhöhe? Im Moment kaum denkbar.

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