„Tristan und Isolde“ in Berlin - Heiteres Sterberaten

Die Oper „Tristan und Isolde“ wurde in Berlin neu inszeniert. Daniel Barenboim dirigierte, zwei Sänger triumphierten, ein Regisseur stellte Fragen: spannend, hoch interessant und mit etwas GroKo

Die Sänger Andreas Schager und Anja Kampe hinter einem transparenten Vorhang, auf dem Videobilder zu sehen sind / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ist es das Traumschiff oder die MS GroKo? Hier herrscht gute Laune unter wichtigen Leuten. Der Geck im schwarzen Smoking, der Käsehäppchen und Champagner herein trägt – ist es Sascha Hehn oder der liebeskranke, todessehnsüchtige Tristan? Die Dame im bodenlangen Abendkleid, der er die Spezereien kredenzt und mit der er sich übermütig abklatscht – ist es Krystle Carrington oder die todessehnsüchtigere Isolde? Die Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Berlin wirft Fragen auf.

Eine Antwort gab das Publikum, als sich nach der Premiere am gestrigen Sonntag um 21.37 Uhr ein Orkan erhob, der den frisch auferstandenen Prachtbau „Unter den Linden“ bequem zu füllen wusste. Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov wurde mit preußischer Ausdauer ausgebuht. Beklatscht wurde er auch, doch die Ablehnung war lauter. Man kann es verstehen, legt man Tcherniakovs komplett missratenen Berliner „Parsifal“ oder die ebenso schlimmen Münchner „Gespräche der Karmelitinnen“ zugrunde. Tcherniakov wird überschätzt. Doch Schimpf und Schande diesem „Tristan“?

Der Raub als lustige Dampferfahrt

Das „zeltartige Gemach auf dem Vorderdeck eines Seeschiffes“ während der Fahrt vor Irland nach Kornwall zeigt sich auf der Berliner Bühne (ebenfalls von Tcherniakov) als Casino auf der Luxusjacht. Der Raub Isoldes durch Tristan im Auftrag seines Königs Marke ist eine lustige Dampferfahrt. Im zweiten Akt wird aus dem „Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes“ der Salon einer Jagdgesellschaft. In beiden Fällen ist viel Volk dabei, Schiffs- und Tafelgäste. Man plaudert? Man plaudert! Und lacht. Tristan ist ein Gaudibursch, wodurch der österreichische Tenor Schager an seinen Siegfried vor gerade einmal viereinhalb Jahren im legendären Ludwigshafener Rhein-„Ring“ von Hansgünther Heyme und Karl-Heinz Steffens erinnert. Dort und damit ging Schagers Stern am Himmel der Heldentenöre auf. Siegfried wird „heiterer Held“ genannt, Tristan ruft gegen Ende immerhin ein „Hahei der Freude“ aus, vom Fieber umnachtet. Ansonsten stellt das Publikum sich zu Recht auf Melancholie ein, auf den berühmten Tristan-Akkord und ein quälend langes, berückend schönes Enden: „Isolde kam, mit Tristan treu zu sterben!“

Schaut man ins Libretto und wirft die Zählmaschine an, lautet der Befund: Vierzehnmal wird gelacht oder ist vom Lachen die Rede; „Sterben“  kommt zwanzigmal vor. Mit einer gewissen Berechtigung darf inszenatorisch einmal der Pfad des Lachens beschritten werden. Nicht ohne Verluste, versteht sich. Dass Tristan ein mittelalterlicher Krieger ist, der Isoldes Gemahl tötete, dass Isolde Kriegsbeute bleibt für Marke, dass eine ekstatische Liebesnacht ebenso besungen wie vollzogen wird: Davon will Tcherniakov nichts wissen, der seinem Ruf als Entmanner gerecht wird. Er macht aus Helden Figürchen, aus Transzendenz Materie, auch hier.

Lachen und Weinen und Sterben

Dennoch ist dieser „Tristan“ eine spannende, hoch interessante Versuchsanordnung, konsequent bis in den dritten Akt, bei Wagner ein verwilderter „Burggarten“, bei Tcherniakov eine heruntergekommene Altbauwohnung, in der Tristan dem Tod entgegen dämmert. Selbst da aber singt er von „Lachen und Weinen“ und beglaubigt Tcherniakovs Konzept. Generell ist die Frage, die der Regisseur stellt, nicht läppisch: Was lässt uns lachen, welche Arten des Lachens gibt es? Führt eine Brücke vom Gelächter in den Tod? Isolde ist bereit, ihres „Lebens Licht lachend (…) zu löschen“. Die Liebesnacht lachte beiden.

Andreas Schager und Anja Kampe sind ein wagnerianisches Sangespaar, wie man es sich nur wünschen kann: mal kraftvoll strahlend, mal lyrisch zart, verständlich fast immer, wenngleich sie ihr Duett im zweiten Akt („O sink hernieder, Nacht der Liebe“) fast in den Sand gesetzt hätten. Schager, der gerade noch den Siegfried bei Christian Thielemann in Dresden gab, bald wieder zum Berliner Parsifal mutieren und diesen Tristan bis März weitere sechsmal singen wird, übernimmt sich hoffentlich nicht. 

Daniel Barenboim dirigierte seine siebte „Tristan“-Produktion, und nichts geriet routiniert oder hohl. Zwischentöne regieren, Tempi sind klug gesetzt, Streicher satt, nicht fett. Die Staatskapelle Berlin schwingt sich im neuen Orchesterraum zu alten Höhen auf: Wagner, wie er klingen soll, farbenreich, als wären wir in Frankreich, vorwärtstreibend, als wäre es Italien, in sich versunken, wie es an den Grenzen deutscher Romantik sein muss. Am Ende steht, wie bei jeder Wagner-Oper, die strahlende Tonart. Das heitere C-Dur schlägt in Wellen über Tristan hinweg, und Tristan ist tot. Doch Isolde löscht das Licht.

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