Solidarität und Nationalismus - Warum Europas Hoffnung Donald Trump heißt

Donald Trump wird die Welt verändern und nicht zum Guten, schreibt die Philosophin Susan Neiman, die aus den USA stammt und in Potsdam lebt. Um dem US-Präsidenten entgegen zu treten, sollte sich Europa auf seine Stärken besinnen

Angela Merkel und Donald Trump: „Man kann nur hoffen, dass andere Politiker sich ein Beispiel an ihr nehmen“ / picture alliance
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Susan Neiman ist eine US-amerikanische Philosophin und Direktorin am Einstein Forum in Potsdam. Foto: Bettina Volke

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Die Welt wird sich ändern, wenn jene Politik, die Donald Trump zum Präsidenten machte, zur Normalität erklärt wird. Der Hang zur Normalisierung ist verständlich: Wer will schon jeden Morgen mit dem Gedanken aufwachen, dass die Welt in eine wirkliche Krise geraten ist? Diesem Hang hat Kanzlerin Angela Merkel widerstanden, als sie am Tag nach den Wahlen in den USA eine beispiellos undiplomatische Rede hielt, in der sie Trump an alle Werte erinnerte, die er während seiner Kampagne mit Füßen trat. Man kann nur hoffen, dass andere Politiker den Mut finden, sich ein Beispiel an ihr zu nehmen. Es ist anstrengend, der Normalisierung stets zu widerstehen; es ist mühselig, immer vor Nationalisten zu warnen, die zum Beispiel die Leistungen der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung als Schande demontieren.

Orientierung von Orwell

Wer heute als Bürger Orientierung im Denken und Handeln sucht, mag als Erstes nicht Immanuel Kant lesen – eine wertvolle, aber langwierige Aufgabe –, sondern George Orwells kurzen Aufsatz Politik und die englische Sprache. Orwell schrieb zwar über die englische Sprache und die Politik Großbritanniens der vierziger Jahre, aber seine Worte sind brandaktuell. Es gibt bis heute keine bessere Beschreibung der Beziehung zwischen der Korruption der Sprache und der Korruption der Politik: Unsere Zivilisation ist dekadent, und auch unsere Sprache – so wird argumentiert – müsse notgedrungen Teil des allgemeinen Zerfalls sein. Daraus wird geschlossen, dass ein jeder Kampf gegen Sprachmissbrauch archaisch und sentimental sei, wie eine Präferenz für Kerzen gegenüber elektrischem Licht oder für Kutschen gegenüber Flugzeugen. Darunter liegt der halbbewusste Glaube, dass Sprache ein natürliches Gewächs sei – statt ein Instrument, das wir für unsere Ziele gestalten.

Deutsche Leser können auch Victor Klemperers LTI, die Tagebücher eines Philologen, nachschlagen. Diese akribische Analyse zeigt, wie die Nazis die deutsche Sprache veränderten, um das Volk leichtgläubiger für ihre Ideologie zu machen. Klemperers Verständnis von Sprachkritik als Notwehr hat auch heute noch viel zu bieten. Demokratie braucht Bürger, die in der Lage sind, ihre Wörter zu reflektieren. Wir schlucken oft Phrasen, ohne uns über deren Bedeutung bewusst zu werden. Mit Phrasen wie Verantwortung gegenüber unseren Aktionären verkleidet der Neoliberalismus seinen Grundsatz Gewinn über alles in schönen, moralischen Farben; wer will schon gegen Verantwortung klagen?

Solidarität statt Toleranz

Der wohlgemeinte Ruf nach Toleranz ignoriert die Tatsache, dass man im Alltag nicht nur jenes toleriert, was man nicht mag, sondern vielmehr das, wogegen man nichts tun kann: Schmerzen, Lärm, Gestank. Ein Rechtsnationalist, den man zur Toleranz ermahnt, wird nur an seine Machtlosigkeit erinnert. Viel stärker wirkt ein Appell an die Solidarität, mit einem Hinweis auf die Bereicherungen, die entstehen, wenn mehrere Kulturen zusammenkommen. Es ist bezeichnend, dass die Nationalisten in Städten, wo täglich mehrere Kulturen miteinander leben, die Minderheit stellen. Selbst in Ländern, wo die Anzahl der Rechtsnationalisten  wächst, werden Großstädte wie London, Paris oder Rotterdam von Bürgermeistern ausländischer Herkunft regiert.

Dies muss nicht zur Einheitskultur führen. Im Gegenteil: Wenn man andere Kulturen nicht nur toleriert, sondern genießt, wird es leichter, auch die eigene Kultur zu schätzen. Solidarität mit anderen Kulturen darf aber nicht nur ein Appell bleiben, sondern muss auch feste Unterstützung mit einschließen. Ein Zeichen setzte Präsident Barack Obama, als er bei seiner letzten Europareise erst Athen und dann Berlin besuchte. Europa kann ein Beispiel dafür geben, wie kulturelle Vielfalt mit politischer Einheit zusammenkommt – nämlich dann, wenn Europa seine eigenen Ideale (wieder)entdecken würde.

Europa als Hort der Ideale

Für viele Europäer ist Europa heute nur ein Binnenmarkt, betrieben von einer Bürokratie in Brüssel, die selbst wiederum von der neoliberalen Wirtschaft bestimmt wird. Zu einer Zeit, wo man täglich über das Ende der EU spekuliert, kann es tollkühn erscheinen, Europa zu preisen. Doch Außenseiter sehen manches deutlicher als die Europäer selbst. Für sie bleibt Europa trotz aller Schwierigkeiten nicht nur ein Ort, wo hundertjährige Kriege durch friedliche Verhandlungen ersetzt wurden, sondern auch ein Ort, wo die Ideale einer sozialen Solidarität lebendig praktiziert werden; wo medizinische Versorgung, Wohnen und Bildung nicht nur als Güter, sondern als Rechte verstanden werden. Für Menschen von Dakar bis Dallas ist Europa ein Ort, wo Rechtsstaatlichkeit in hohem Maß herrscht und Gleichheit vor dem Gesetz anerkannt wird.

Jeder, der Zeitung liest, weiß aber auch, wie oft Europa seine eigenen Ideale verletzt. Es liegt an den Bürgern Europas selbst, darauf zu bestehen, dass Europa seinen besten Qualitäten treu bleibt. Zunächst müssen die Bürger erkennen, dass kein anderer Ort der Welt so viel für demokratische, ja, sozialdemokratische Werte tut wie dieses oft so beschimpfte Europa. Identitäten werden auf Traditionen aufgebaut, die von Musik über Feste bis hin zu Idealen reichen. Europa darf nicht mehr verstanden werden als etwas, das wir nur ertragen, sondern als etwas, das wir aktiv anstreben.

Vor zwei Jahren kritisierte mich ein Politiker der Grünen, als ich behauptete, Europa sei ein Bollwerk der Demokratie gegen Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite – wobei ich erklärte, dass der uneingeschränkte Einfluss des Geldes auf die amerikanische Politik dabei sei, die Demokratie zu unterhöhlen. Jener Politiker ermahnte mich, ich solle nicht die Verhältnisse in Russland mit denen in den USA vergleichen. Heute, vermute ich, würde er anders reagieren. Wird Trump Europa dazu bringen, seine eigenen Tugenden neu schätzen zu lernen, und auch viele Europäer dazu bewegen, sich zivilgesellschaftlich dafür zu engagieren? Dies bleibt nicht nur für Europa die beste Hoffnung, die wir haben. 

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Widerstand der Vernunft - ein Manifest in postfaktischen Zeiten, erschienen im Ecowin-Verlag.

 

 

 

 

 

 

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