Seelsorge im Bundestag - „Abgeordnete sind auch nur Menschen“

Populismus, Terrorismusgefahr und Flüchtlingskrise: Die Stimmung im Land ist angespannt – auch bei den Abgeordneten im Bundestag. Prälat Martin Dutzmann sorgt für den Seelenfrieden der Volksvertreter, gleichzeitig vertritt er als Lobbyist die Interessen der Evangelischen Kirche in Berlin

In doppelter Mission unterwegs: Martin Dutzmann / picture alliance
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Lena Baseler hat Politikwissenschaft und Philosophie studiert.

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Kritik an Bundestagsabgeordneten wird heute oft und gerne geübt: Unterbeschäftigt und überbezahlt seien sie, heißt es dann. „Falsch“, sagt einer, der ganz nah an ihnen dran ist, denn er hört den Abgeordneten täglich zu.

Prälat Martin Dutzmann ist seit Oktober 2013 Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Übersetzt heißt das, dass er einerseits Chef-Seelsorger für die 631 Volksvertreter im Bundestag sowie für die Mitarbeiter der Ministerien ist, andererseits aber auch oberster Interessenvertreter der Evangelischen Kirche (EKD).

Direkter Draht zur Politik

Das bedeutet, dass er bei den Abgeordneten im politischen Berlin vor Ort ist und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht, währenddessen er zugleich Sprachrohr der EKD mit direktem Draht zur Politik ist. Zweimal die Woche wird im Andachtsraum des Bundestages ein protestantischer Gottesdienst abgehalten. Kirche und Staat sind in Deutschland nach wie vor eng beieinander.

In seinem Büro am Gendarmenmarkt, das dennoch nicht in unmittelbarer Nähe zum Bundestag liegt, empfängt Dutzmann die Abgeordneten zum Austausch. Krisengespräche sind das jedoch seltener. Eher werde über das aktuelle Politgeschehen debattiert, gegessen und – vorausgesetzt, die Zeit lässt dies im durchgetakteten Politikerleben zu – sogar gesungen, erzählt er.

Dutzmanns Büro ist protestantisch minimalistisch eingerichtet: kein Chi-Chi, ein paar Bilder, Teppichboden. Das schlichte Kreuz hängt hoch an der Wand, man übersieht es fast. Der Ausblick aus seinem Arbeitszimmer auf den französischen Dom ist dafür umso hübscher. Ab und zu schaut der Prälat für eine Weile aus dem Fenster, bevor er auf die Fragen eingeht. Seine Antworten sind stets bedacht. Das kleine silberne Ansteckkreuz am Revers reflektiert dabei gelegentlich das Licht. Man hört ihm gerne zu: Der 60-Jährige ist einer wie du und ich. Den Abgeordneten muss es wohl ähnlich gehen. 

Abi ohne Reli

Dutzmann wurde in Essen geboren, manchmal kommt der rheinische Akzent noch zum Vorschein. Zwar wurde er protestantisch erzogen, auf dem Gymnasium wählte er das Fach Religion aber ab. Abi ohne Reli – heute bekleidet er eines der wichtigsten Ämter der evangelischen Kirche in Deutschland. Während seines Wehrdienstes geriet er zum ersten Mal mit der Militärseelsorge in Berührung. Sein späterer Werdegang verlief reibungslos: Studium der Theologie mit anschließender Promotion in Marburg, Straßburg und Bonn. Danach predigte er 18 Jahre lang als Pfarrer und Superintendent in Remscheid-Lennep. Von 2005 bis 2013 war er Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche. 2008 wurde Dutzmann dann Militärbischof.

Als solcher reiste er durch etliche krisengeschüttelte Gebiete – vom Kosovo bis nach Afghanistan. Das Thema Frieden liegt ihm seitdem am Herzen. Die eigene Erfahrung, Not und Leiden aus nächster Nähe gesehen zu haben, ist für ihn der Ansporn, Gutes zu tun.

Anspannung bei den Abgeordneten

Auch mit den Mitgliedern des Bundestages konzentrierten sich die Gespräche seit zwei Jahren vor allem auf die Themen Asyl, Flucht und Migration. Die Stimmung sei angespannter, Meinungen würden kontroverser diskutiert, Sorgen hätten sich in Folge der zunehmend instabilen politischen Lage auch bei den Parlamentariern verstärkt. „Abgeordnete sind auch nur Menschen“, sagt Dutzmann.

Die Zwitterrolle kommt seiner seelsorgerischen Arbeit da schon mal in die Quere. Das Asylpaket II, das den Familiennachzug für Asylsuchende für zwei Jahre aussetzte, hat die EKD offen kritisiert. Wenn es um Themen wie die des ärztlich begleiteten Suizids geht, bezieht er eine deutlich EKD-konforme Position. So begrüßte er den Gesetzentwurf, die gewerbliche Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Den Begriff Lobbyist lehnt er aber ab.

Aktive Hilfe in der Flüchtlingsarbeit

Dutzmann versteht sich vielmehr als Vermittler zwischen den politischen Lagern, ebenso als aktiver Helfer in der Flüchtlingsarbeit. Dass Anschläge, wie jener am Breitscheidplatz im vergangenen Dezember, nicht für populistische Zwecke gegen Flüchtlinge instrumentalisiert werden dürften, steht für ihn außer Frage. Nichtsdestotrotz habe der 19. Dezember 2016 auch sein Sicherheitsbewusstsein ins Wanken gebracht, gesteht er.

Den Unmut in der Gesellschaft nimmt er genauso wahr. Die Kirche versuche den Bürgern Antworten auf ihre Sorgen und Fragen zu geben. Fraglich ist, ob die Menschen diese dort auch finden. Die Austrittszahlen der vergangenen Jahren sprechen eine andere Sprache, schrumpfen die Mitgliederzahlen sowohl in der evangelischen, als auch katholischen Kirche doch beständig.

Es sei bezeichnend für die Stimmung in Deutschland, dass sich so viele Menschen der AfD zuwendeten. Auch mit den Vertretern dieser Partei müssten die Kirchen sprechen, fordert er und kritisiert damit zugleich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das die AfD zum Katholikentag 2016 in Leipzig erst gar nicht einlud. Er schränkt aber ein: „Wenn jedoch die Grenze zum Rassismus überschritten wird, ist das für mich nicht verhandelbar.“

Streitthema AfD

Beim Thema AfD entzweien sich die Positionen der beiden großen Kirchen. Der Kontakt zu seinem katholischen Pendant Karl Jüsten – die katholische Kirche entsendet ihrerseits auch einen Prälaten in den Bundestag – beschreibt er jedoch als „ganz hervorragend“.

Schwieriger gestalte sich die Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde, weil es dort weniger Organisationsstrukturen auf staatlicher Ebene gebe. Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, sehe er aber trotzdem regelmäßig. Auf die Frage, ob das Religionsverfassungsrecht in Deutschland weit genug ist, um der islamischen Religion den gleichen Raum wie den Christen zu geben, erwidert Dutzmann: „Die beiden großen Kirchen antworten darauf mit einem klaren Ja.“

Dutzmann prophezeit, dass 2017 ein wichtiges Jahr werden wird, nicht nur weil wir mitten im Luther-Jahr stecken. Die Bundestagswahl im September wird entscheidend sein für den weiteren politischen Diskurs und die gesellschaftliche Stimmung in diesem Land, ist er sich sicher. Auch die Abgeordneten werden in den nächsten Monaten nicht auf ihn verzichten wollen. Dutzmann wird ihnen zuhören. Wenn sich Fronten verhärten, wird er zum Dialog aufrufen. So wie er das immer tut.

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