Es ist Nacht, als ich mein Zelt verlasse. Die Luft ist klar und kalt. Ich schaue auf den Kompass, vergewissere mich, dass ich mich nach Osten ausgerichtet habe und warte gespannt auf den Sonnenaufgang. Allmählich setzt das Alpenglühen ein. Vor meinen Augen zeichnen sich die Konturen der Dolomiten ab. Ich stehe auf einem kargen Gipfel. Ein Schauder überkommt mich, denn meine letzten 24 Stunden haben begonnen.
Ich nehme Abschied von der Welt und der Natur. Als ich auf der ISS meine Bahnen um die Erde zog, entwickelte ich eine besondere Beziehung zu unserem Planeten, der mir wie mein Garten erschien. Wenn man die Oberfläche aus rund 400 Kilometern betrachtet mit all ihren Narben von Prozessen, die Hunderte von Millionen Jahre dauerten, wirkt vor diesem Hintergrund all das, was wir Menschen je erschaffen haben, wie ein Wimpernschlag.
Vertraute Gesellschaft von Freunden und Familie
Es ist Mai, und der Frühling entfaltet seine volle Kraft. Ich trete langsam den Abstieg an. Die Sonne beginnt am Horizont zu steigen und lässt den letzten Schnee funkeln. Auf dem Weg hinunter ins Tal sammle ich am Wegesrand Wildes Stiefmütterchen. Ich behalte meinen Tod für mich, doch ich werde meiner Familie und engen Freunden Abschiedsbriefe schreiben und jedem eine Blume in den Umschlag legen.
Ich bin kein Mensch, der sich nach Außergewöhnlichem sehnt. Das gibt dem Leben keinen tieferen Sinn. Ich möchte meinen letzten Tag in der vertrauten Gemeinschaft meiner Familie und Freunde verbringen und für sie ein Gartenfest ausrichten in Trentino, meiner Heimat.
Ich bin im katholischen Glauben erzogen worden. Doch als Teenager sah ich die Widersprüche zwischen dem, was gepredigt wird, und wie sich der Einzelne benimmt. Ich habe nichts gegen Religion und habe es mir nicht ausgesucht, nicht religiös zu sein, doch die von Rationalität geprägte erklärende Welt ist mir einfach vertrauter.
Ein letzter richtig guter Cappuccino
Mittlerweile ist es Abend, und ein Fest ist im vollen Gange. Wir erfreuen uns an einem ausgiebigen Essen mit dem Besten, was die italienische Küche zu bieten hat. Ich bin kein Mensch, der gerne tanzt, doch da mir nur wenige Stunden bleiben, möchte ich zur Musik von Paolo Conte tanzen. Das Lied „Bartali“ beschert mir gute Laune und lässt meine Lebenslust noch einmal aufblühen.
Ich trinke einen letzten richtig guten Cappuccino und betrachte das Firmament, das auch immer ein Blick in die Vergangenheit ist. Das Licht der Sterne ist teilweise so lange zu uns unterwegs, dass die Gestirne bereits erloschen sind. Ich frage mich, was nach dem Tod mit mir geschieht. Rational betrachtet müsste es das Ende sein, doch ich verbiete mir nicht, an dieser Auffassung auch zu zweifeln. Ich bin ein großer Fan von Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“. Darin gibt es den Ratschlag, dass ein Handtuch das Nützlichste ist, was ein interstellarer Anhalter besitzen kann. Anlässlich meiner ISS-Expedition mit der Nummer 42, bekanntlich die Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest, haben wir uns als Andenken ein Handtuch fertigen lassen. Ich halte dieses Handtuch nun in meinen Händen – für alle Fälle. „Macht’s gut und danke für den Fisch.“
Dieser Text ist in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.
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