Reform-Erklärung deutscher Katholiken - Der Synodale Weg – eine konstruktive Provokation

Der Synodale Weg ist ein Gesprächsformat innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, das sich als Reaktion auf Missbrauchsskandale gegründet hat. Nach der dritten Synodalversammlung in Frankfurt gaben die Initiatoren soeben eine „Frankfurter Erklärung“ heraus, die sich gegen Machtmissbrauch und Diskriminierung wendet. Rom und die Kirche weltweit sollten für diesen Impuls aus Deutschland offen sein.

Papst Franziskus den weltweiten synodalen Prozess eingeleitet / dpa
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Annette Schavan (68) war 25 Jahre in Politik und Diplomatie tätig, u.a. als Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005–2013) sowie als Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (2014–2018). Ihr neuestes Buch trägt den Titel: „geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums“, Patmos Verlag, 2. Auflage 2021. Foto Laurence Chaperon

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Eigentlich war es immer so: In Rom wird gefragt, was bei den Katholiken in Deutschland gerade wieder los ist. Wir sind das Land der Reformation. Der Augustinermönch Martin Luther aus Erfurt hat vor über 500 Jahren eine Reformation ausgelöst, die für die Weltkirche bis heute wie ein Beben wirkt. Vor dem Reformationsgedenken 2017 hat der Jesuit Giancarlo Pani in Rom erklärt: „Mir erscheint es schwerwiegend, dass die Kirche nicht mit ihm (Luther) gesprochen und ihm ihre Position erläutert hat.“ Auch Papst Franziskus fand, dass die Kirche, so wie sie damals war, „kein Modell zum Nachahmen“ gewesen sei. Die freundliche Atmosphäre des Jahres 2017 ändert nichts daran, dass es viele in der Weltkirche gibt, die skeptisch bleiben, wenn es um die Katholiken in Deutschland geht. Übrigens sind das nicht selten ausgerechnet Mitglieder des Klerus aus Deutschland in Rom.

Es gibt allerdings, weniger öffentlich beachtet, auch eine andere Seite der Beziehungen. Der Kirchenhistoriker Matthias Daufratshofer hat in seiner Dissertation den Einfluss deutscher Jesuiten auf die Inhalte lehramtlicher Dokumente beschrieben. Die aufschlussreiche Lektüre zeigt Franz Hürth SJ als „Holy Ghostwriter“, der aus dem Umfeld der damaligen Päpste Pius XI. und Pius XII. dann angesprochen und um Texte gebeten wurde, wenn es notwendig schien, die katholische Lehre glasklar vor dem Zeitgeist zu bewahren. Aus dem Land der Reformation kommen also durchaus auch besonders strenge Hüter der Glaubenslehre.

Was lässt sich aus der Ambivalenz für heute folgern?

Der Synodale Weg kann eine konstruktive Provokation sein. Da ist in den vergangenen Monaten und besonders in Frankfurt eine Bewegung entstanden, die bislang schwer vorstellbar war. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass die Lage der Katholischen Kirche in Deutschland so zugespitzt ist wie kaum je zuvor. Der Autoritätsverlust ist groß. Es wächst die Gefahr, in einer breiten Öffentlichkeit nicht mehr wahrzunehmen, wozu die Christenheit und die Kirchen in einer Gesellschaft wichtig sind, die mitten in Prozessen einer umfassenden Transformation steckt. Eine weitere Welle der Säkularisation ist eine große Aufgabe für die Weltkirche, zumal sie ja auch viel religiöse Heimatlosigkeit produziert. Das ist in Deutschland zu beobachten und an vielen anderen Orten der Welt ebenso.

In dieser Situation hat Papst Franziskus den weltweiten synodalen Prozess eingeleitet. Das hätte er nicht getan, wenn er keinen Gesprächs- und Handlungsbedarf sehen würde. Der Einwand, der Papst denke an eine andere Erneuerung als die Katholiken in Deutschland, wirkt plausibel, ist es aber nicht. Verräterisch daran ist, wie früh manche meinen, das zu wissen. Es stimmt, Papst Franziskus ist kein Freund von Broschüren aus Deutschland, und er stellt immer und immer wieder die Frage, aus welchem Geist heraus wir die Erneuerung der Kirche angehen. Es ist noch nicht entschieden, was die grundlegenden Veränderungen der Weltkirche in diesem Pontifikat sein werden, die ihr Selbstverständnis und ihre innere Verfassung betreffen. Abschließende Einschätzungen, die bislang gegeben werden, haben mehr mit eigenen Interessen als mit dem Papst zu tun. Die einen wollen viel, die anderen wollen gar keine Veränderung. Der Ton zwischen den einen und den anderen wird schärfer.

Die Initiative mündet in einen weltweiten synodalen Prozess

Eine besonders interessante Etappe wird das Gespräch auf den kontinentalen Ebenen und dann zwischen den Kontinenten sein. Vielleicht lernen wir dann die Weltkirche noch einmal neu kennen. Auf diese Gespräche bereitet sich die Katholische Kirche in Deutschland mit dem Synodalen Weg vor. Andere Länder erbitten schon jetzt die Übersetzung der Dokumente in andere Sprachen. Das ist ein gutes Zeichen. So mündet die Initiative aus Deutschland in den weltweiten synodalen Prozess. Das wird ein wichtiger Schritt werden und eine große Chance, in der Weltkirche mehr voneinander zu erfahren und auch zu lernen.

Schon jetzt beginnt die Zeit, in der sichtbar werden muss, dass all das, was in der Katholischen Kirche in Deutschland an Erneuerung geleistet werden kann, auch tatsächlich geschieht. Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nur ein Beispiel. Ich nenne es, weil das schon bei der Würzburger Synode ein Thema war und seither immer wieder von engagierten katholischen Christen gefordert wurde. Die katholische Kirche in Deutschland könnte jenseits der weltkirchlich relevanten Themen deutlich weiter sein als sie es ist – im Umgang mit sexualisierter Gewalt ebenso wie bei vielen „weltlichen“ Themen, die die Arbeit der Institution, ihre Governance, ihr Selbstverständnis und ihren Umgang mit den Initiativen von Christen und Christinnen betrifft. Der Klerikalismus ist tief und fest verankert und behindert auch viele Priester und Ordensleute in ihrem Wirken, die ihrer Kirche schon weit voraus sind. Er verstößt manchmal auch gegen die eigene Doktrin, wenn etwa – entgegen der katholischen Soziallehre – der Vorrang der großen Einheit vor der kleinen Einheit Platz greift. Umgekehrt ist es der Politik immer geraten worden. Manches ist in den letzten Jahren auch deshalb nicht weitergegangen, weil die Prozesse der Konsensfindung bei den Bischöfen überaus langwierig sind.

Von Frankfurt führen viele Wege nach Rom. Dazu wird nicht zuletzt wichtig sein, dass mehr Deutsch in Rom und mehr Italienisch in Deutschland gesprochen wird. Wechselseitige Skepsis muss nicht hinderlich sein. Sie wird im besten Fall ergänzt durch die Überzeugung in Rom, dass Deutschland und Europa für die Weltkirche durchaus inspirierende und eben auch provozierende Regionen sind, und die Überzeugung in Deutschland, dass die Weltkirche interessante Anregungen für die Entwicklung der Katholischen Kirche in Deutschland geben kann. Papst Franziskus hat in einer Predigt davon gesprochen, zu dem weltweiten synodalen Weg gehöre, „sich vom Gesicht und von der Geschichte des anderen herausfordern zu lassen“ und die Erfahrung zu machen, es tun sich „neue Wege auf, die wir nicht für möglich gehalten hätten“. Weder die, die Reformen wünschen, noch jene, die sie verhindern wollen, sollten schon jetzt glauben zu wissen, wo die Weltkirche am Ende des Jahres 2023 stehen wird. Die Zeit bis dahin wird weltweit die Zeit nach einer Wende sein, die durch die Pandemie ausgelöst wurde. Es wird definitiv nicht einfach weitergehen wie bisher – auch nicht in der Weltkirche.

Die Frankfurter Erklärung „Für eine synodale Kirche“ vom 10. Februar 2022 lässt sich hier als PDF herunterladen.

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