Rechtsextreme Hetz-Seite - Facebook gefällt das

Die Medienkolumne: Eine Taskforce der Bundesregierung sollte Hassbotschaften im Netz eigentlich eindämmen. Doch wer bei Facebook rechtswidrige Nazi-Inhalte meldet, erfährt: Das verstößt nicht gegen die Richtlinien. Petra Sorge machte den Selbstversuch

„Deutsche Jungs“ verstoßen bei Facebook nicht gegen Gemeinschaftsstandards / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Anzeige

Soldaten mit Stahlhelm, ein schwarz-weiß-rotes Wappen, versteckte Nazi-Symbole: Als ich die Facebook-Seite der „Deutschen Jungs“ öffnete, war ich schockiert. Ein empörter Freund hatte mir diesen Link geschickt.

Das Profilfoto zeigt zwei junge Männer im Stil der Hitler-Jugend. 474 Leuten gefällt das. Das Motto dieser „politischen Organisation“ lautet: „Komm auch DU zu uns! Auf zur Deutschen Revolution“. Es ist sicher kein Zufall, dass man unweigerlich an den Slogan aus dem Dritten Reich denken muss: „Auch DU gehörst dem Führer“.

Unmissverständliche Slogans

Auf den Grafiken, die hier gepostet werden, sind die NS-Symbole meist verschwommen oder unkenntlich gemacht. Die Slogans sind aber unmissverständlich: „Dem Eid, des Blutes verpflichtet“ oder: „Warum ich Braun bin? Weil es mir hier zu BUNT wird!“ Immer wieder tauchen Grafiken auf, die zur Gewalt aufrufen, die Prügelszenen zeigen, Sprüche wie „Weg mit dem Linkenpack!“

Besonders schlimm ist ein bearbeitetes Bild, das eine Szene aus Steven Spielbergs Holocaust-Epos „Schindlers Liste“ zeigt. Darin steht der Schlächter und SS-Hauptsturmführer Amon Göth, gespielt von Ralph Fiennes, mit Präzisionsgewehr und nacktem Oberkörper auf einem Balkon, von dem aus er das Lager überblicken kann. Immer wieder Film zielt er mit seiner Waffe in die Menge und erschießt wahllos Häftlinge. Göths Skrupellosigkeit und Mordlust war legendär: Er folterte und tötete Tausende Menschen und wurde nach dem Krieg wegen Massenmordes verurteilt und gehängt. Die „Deutschen Jungs“ haben Göths Foto am 11. Mai veröffentlicht, laut Timeline der Tag, an dem die Seite eröffnet wurde. Das Hetzmotiv ist ergänzt um ein Logo: „Good night left side“ und den roten Lettern: „Anti-Antifa“.

Mein Bekannter meldete die Seite anonym bei Facebook. Am 27. Juli erhielt er die Nachricht: „Danke für dein Feedback“. Aber: „Wir haben die von dir im Hinblick auf wegen Hassbotschaften gemeldete Seite geprüft und festgestellt, dass sie nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt.“

Wie bitte? Was muss man eigentlich noch posten, um Facebook-Regeln zu brechen? Ist das nicht klar Volksverhetzung? Die „Gemeinschaftsstandards“ sehen vor, dass Hassrede, Terrorismus, bestimmte Gewaltandrohungen und Mobbing verboten sind.

Meine Beschwerde wird abgelehnt

Ich probiere es ebenfalls aus und melde die Seite. Zwei Tage später die Antwort: abgelehnt. Facebook empfiehlt, statt ganzer Seiten einzelne Einträge oder Fotos zu melden. Ich probiere das mit dem KZ-Bild. Aber auch hier: Meine Beschwerde wird abgelehnt.

Der Inhaber „Deutsche Jungs“ hatte am 21. Juli von „einem kleinen Problem mit Facebook“ berichtet. Demnach sei die Seite „auf begrenzten Zeitraum gesperrt“ worden. Irgendjemand, der bei Facebook arbeitet, muss also mindestens einmal diese rassistischen und antisemitischen Inhalte gesichtet haben – und hat sie trotzdem wieder zugelassen.

Ich frage bei der Facebook-Pressestelle an: Warum wurde die Seite nicht gesperrt? Warum wurde sie nach dieser kurzen Prüfung wieder freigegeben?

Eine Sprecherin teilt per E-Mail mit, der richtige Umgang mit fremdenfeindlichen Inhalten beschäftige das Unternehmen seit geraumer Zeit. „Wir wissen um unsere Verantwortung und nehmen diese bedingungslos an.“

Vielleicht war es ein Versehen, vielleicht fehlte dem Team einfach nur die Zeit, die Einträge wirklich zu sichten? Bei einem Netzwerk, das 1,6 Milliarden Mitglieder hat, wäre das ja noch entschuldbar.

Doch die Sprecherin teilt auch mit: „Wir wollen das beste Prüfteam haben, das mit deutschen Sprachkenntnissen schnell und gewissenhaft reagiert – täglich, 24 Stunden.“ Das „Facebook Community Operations Team“ überprüfe gemeldete Inhalte und werde dabei von dem Dienstleister Arvato unterstützt. Als Mark Zuckerberg im Februar Berlin besuchte, sagte er: Allein in Berlin arbeiten derzeit 200 Personen.

Ich frage mich: Was hat die Taskforce überhaupt bewirkt?

Meine Presse-Antwort enthält enorm viel Text, vermutlich ist sie aus einer Vorlage kopiert. Auf meine Fragen geht die Sprecherin aber überhaupt nicht ein, schon gar nicht auf die konkrete Seite. Stattdessen verweist sie auf „Aktivitäten und Initiativen, die wir angestoßen haben bzw. an denen Facebook aktiv teilnimmt“, darunter die Taskforce des Bundesjustizministerium.

In der Taskforce ist unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung aktiv, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Ich frage dort nach. Die Stiftung lässt per E-Mail mitteilen, dass man da machtlos sei: „Wir setzen uns für eine demokratische Netzkultur ein, können selbst aber nicht Seiten löschen.“ Man habe auch keinen „engeren“ Draht zur Facebook-Meldestelle, als jeder andere Facebook-User auch.

Inzwischen sind seit meiner Meldung drei Wochen vergangen. Die rechtsextremen „Deutschen Jungs“ hetzen noch immer. Für Facebook scheint der Fall abgehakt. Ich rufe beim Bundesjustizministerium an.

Der Sprecher für Digitales, Philip Scholz, betont, dass weder die Taskforce noch das Bundesjustizministerium Einzelfälle prüfen würden. Sie seien laut der Vereinbarung auch gar nicht für die Entfernung rechtswidriger Inhalte zuständig. „Dies obliegt einzig den Social-Media-Plattformen in eigener Zuständigkeit und Verantwortung.“

Innenministerium ist mit Facebook und Co unzufrieden

Scholz räumt ein: „Die Zusammenarbeit mit Facebook ist bislang nicht zufriedenstellend.“ Er verweist auf einen Brandbrief des Justizministers Heiko Maas. Der hatte sich Mitte Juli bei Facebook beschwert, dass der Kampf gegen Hassbotschaften hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei: „Es wird noch immer zu wenig, zu langsam und zu oft auch das Falsche gelöscht.“ Maas drohte sogar mit rechtlichen Folgen auf EU-Ebene.

Facebook juckt das offensichtlich herzlich wenig. Entweder – das ist die positive Interpretation – ist das Unternehmen mit solchen Meldungen völlig überfordert oder – das wäre der schlimmere Fall – es ignoriert sie ganz bewusst, um das Prinzip der „freien Rede und Gegenrede“ zu fördern. Aber seit wann bitteschön ist ein versteckter Mordaufruf vom Grundgesetz gedeckt?

Das Justizministerium fragt sich das offenbar auch: Es lässt gerade durch die länderübergreifende Stelle jugendschutz.net prüfen, inwieweit Facebook, Twitter und Google Youtube die vereinbarten Maßnahmen umsetzen. Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen. Am 26. September 2016 soll es dazu eine Veranstaltung „Gemeinsam gegen Hass im Netz“ geben.

Update am 20. August

Anzeige