Rassismus-Debatte im Netz - Guter Hass, böser Hass

Die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah hat mit einem Beitrag die Rassismus-Debatte erneut entfacht. Denn obwohl darin von der deutschen „Dreckskultur“ die Rede ist, sah die No-Hate-Speech-Initiative offenbar keinen Handlungsbedarf. Wir lernen: Rassismus gegen Deutsche ist kein Rassismus

Deutsche pauschal als Kartoffeln bezeichnen? Geht völlig klar / picture alliance
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Autoreninfo

Elke Halefeldt ist freie Journalistin und Lektorin. Sie schreibt seit vielen Jahren für unterschiedliche Presseorgane und beschäftigt sich vor allem mit Medien, sozialwissenschaftlicher Forschung sowie psychologischen und politischen Fragestellungen.

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Es gibt Medienbeiträge, die man schnell wieder vergessen möchte, sagten sie nicht zugleich viel über den Zustand der Gesellschaft aus, der sich weniger leicht verdrängen lässt. Zu diesen Beiträgen gehört eine saloppe Kolumne der jungen Autorin Hengameh Yaghoobifarah in der linken Berliner taz, die im Netz für kontroverse Diskussionen sorgte.

Hengameh Yaghoobifarah sah sich mutmaßlich nicht als „Haterin“, als sie ihrem Text, im Kern wohl als Sympathiebeweis für die Idee eines islamischen Feiertags in Deutschland gedacht, den kecken Titel „Deutsche, schafft Euch ab!“ verpasste, die Deutschen als Kartoffel und Lauch darstellte und sich in spätpubertärem Ton darüber aufregte, dass offenbar nicht alle „Kartoffeln“ die Einführung eines solchen Feiertags gutheißen.

„Der deutsche Hass auf Muslim_innen und die Paranoia vor einer – was auch immer das sein soll – Islamisierung der deutschen (wortwörtlich) Dreckskultur“ – schrieb Yaghoobifarah – „hält Kartoffeln davon ab, ein schöneres Leben zu führen.“ „Lieber Bremsspuren in der Unterhose und ein erhöhtes Risiko für Geschlechtskrankheiten verteidigen“ – heißt es weiter – „als ein islamisches Klo im Kölner Bürgerhaus zulassen.“ Kartoffeln seien nicht strategisch klug, sie seien „ignorant, geschichtsverdrossen und besserwisserisch“. „Würden AfD-Wähler_innen zuhören, wüssten sie, dass die AfD einen Großteil von ihnen unter den Bus schmeißen würde, wäre sie an der Macht.“ Schlussendlich hofft die Autorin (geb. 1991 in Kiel, in Berlin lebend, nach eigenen Angaben Feministin, Aktivistin, geschlechts-fluide, mit Migrationshintergrund) darauf, dass die Deutschen sich abschaffen und sich bitte dabei „beeilen“ sollten.

Gewalt als legitimes Mittel

Fast zeitgleich meinte Sibylle Berg auf Spiegel Online, eine neue faschistische Bewegung kommen zu sehen und formulierte beherzt, die Zeit des Redens sei vorbei: „Vielleicht ist der Schwarze Block, die jungen Menschen der Antifa, die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen, die einzige Bewegung neben einem digital organisierten Widerstand, die eine Wirkung hat.“ Zwei Frauen, die ihr jeweils klares Welt- und Feindbild eint. Die eine unterstellt der AfD Mordabsichten („unter den Bus schmeißen“), die andere will ausgerechnet den „Schwarzen Block“ gegen „die Rechten“ aufmarschieren lassen. Demokratischer Diskurs ade.

Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer hat wiederum in seiner Kolumne denn auch sehr richtig erkannt: „Das Problem an solchen Texten ist, dass sie sich nur schwer mit den Empfehlungen der Anti-Hatespeech-Broschüren in Einklang bringen lassen, deren Produktion inzwischen eine ganze NGO-Industrie am Leben hält.“ Letzteres gilt allerdings nicht nur für Nicht-Regierungs-Organisationen, sondern ebenso für (über-)staatliche Einrichtungen und Stellen. Wie verhält es sich aber mit der taz-Kolumne?

„Irgendwie nicht so schlimm“

Die Initiative No Hate Speech DE hat auf eine Twitter-Nachfrage bezüglich des umstrittenen taz-Beitrags verkündet: „Wir sehen da keine Menschenfeindlichkeit, höchstens satirisch zugespitzte Kritik, ergo auch keinen Handlungsbedarf.“ Die Kampagne No Hate Speech, vom Europarat ins Leben gerufen, wird vom Bundesfamilienministerium unterstützt, das mit seinem Großprojekt „Demokratie leben“ vielen Formen von Fremdenfeindlichkeit beziehungsweise „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ zu Leibe rücken will – allerdings nicht explizit einer „Deutschen-Feindlichkeit“. Koordiniert wird das Projekt durch die Neuen Deutschen Medienmacher, die im Internet „Formulierungshilfen für KollegInnen“ bereitstellen.

Die Frage, die sich aufdrängt, lautet: Ist aus dem Urteil von No Hate Speech, in der Rede von der deutschen „Dreckskultur“ stecke „keine Menschenfeindlichkeit, höchstens satirisch zugespitzte Kritik“, zu schließen, dass der Europarat, das Bundesfamilienministerium und die Medienmacher-Vereinigung meinen, „Deutsche“ schlechtzureden, sei irgendwie nicht so schlimm? – Nicht auszudenken nämlich, eine rechtslastige Publikation hätte „Muslime [Ausländer], schafft Euch mit Eurer Dreckskultur möglichst schnell ab!“ getextet. Dann wären mit Sicherheit sofort Sondersitzungen der Amadeu Antonio Stiftung fällig gewesen, und emotional aufgewühlte Demonstranten zögen durch bundesdeutsche Großstädte.

Grundsätzlich zu klären wäre, ob Rassismus in den Augen vieler „Antirassisten“ die Gesamtheit der „Deutschen“ genuin weniger treffen kann als Minderheiten jedweder Art. Dazu passt, dass nach Meinung der Staatsanwaltschaft Hamburg die Beleidigung „aller Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft“ – in diesem Fall als „Köterrasse“ –, wie unter anderem die Tageszeitung Die Welt berichtete, nicht den Strafbestand der „Volksverhetzung“ erfüllt, da es sich nicht um einen „hinsichtlich der Individualität seiner Mitglieder fassbaren Kreis von Menschen handelt“.

Der Grat ist schmal

Die Satire ist wie die Volksverhetzung ein Minenfeld. So gab es einiges Unverständnis in der Öffentlichkeit darüber, dass die AfD-Politikerin Alice Weidel laut Beschluss des Landgerichts Hamburg vom Mai 2017 in der NDR-Satiresendung „extra 3“ als „Nazi-Schlampe“ bezeichnet werden durfte. Das Gericht führte dazu im O-Ton aus, es „liegt ... für den Zuschauer auf der Hand, dass die Bezeichnung nur gewählt wurde, weil die Antragstellerin eine Frau ist, die Äußerung aber keinerlei Wahrheitsgehalt aufweist, sondern allein die Forderung [der Antragstellerin], die politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, Anlass für ihre Verbreitung war.“ Wobei man darüber streiten kann, ob eine politisch nicht korrekte Äußerung und eine Beleidigung ohne Wahrheitsgehalt wirklich dasselbe sind. Der Zuschauer, so heißt es im Urteil, „nimmt... nicht an, dass die Antragstellerin etwa Anhängerin der Nazi-Ideologie wäre, sondern begreift es als grobe Übertreibung, die an die Wahl der Antragstellerin zur Spitzenkandidatin der A. anknüpft.“ In Zeiten, in denen politische Gegner die AfD „Nazi-Partei“ nennen, könnte man diese Einschätzung allerdings bezweifeln.

Generell ist offen, ob allein „zugespitzte Kritik“ im Sinne von No Hate Speech, also vom Leser und User als solche begriffene Übertreibung und Pauschalisierung, ausreicht, um Formulierungen vom Verdacht zu befreien, Hassrede zu sein. Wenn dem so wäre, müsste der Logik nach ein Großteil gemeinhin als extrem und radikal klassifizierter Meinungsäußerungen als „Ist bloß Satire“ („klingt so schräg“) durchgehen. Die Grenze zwischen zum Ausdruck gebrachtem Hass und nicht wirklich aggressiv gemeinter, legitimer und legaler Kritik und Verspottung scheint schwer zu ziehen – weswegen sich damit ja auch oft Juristen auseinandersetzen. Das liegt schlicht daran, dass jede Aussage unabhängig von einer objektiven (inter-subjektiven) Analyse ihres Inhalts vom Sender, Empfänger/Betroffenen und unbeteiligte Beobachtern anders verstanden und gewertet werden kann. Die Definition von Hassrede: „Wenn Menschen abgewertet und angegriffen werden oder wenn zu Hass oder Gewalt gegen sie aufgerufen wird“ (Zitat von No Hate Speech De) lässt eben immer noch einen großen Interpretationsspielraum offen.

Die stellvertretende taz-Chefredakteurin Katrin Gottschalk sieht jedenfalls ihre Kolumnistin eindeutig als Opfer, nicht als Hassredende, wohl frei nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung: „Die Autorin macht sich lustig. ... Manche unserer Leser*innen fühlen sich von ihrem aktuellen Text persönlich beleidigt, sehen ihn als Diffamierung Deutscher oder gar als Rassismus von links. Diese Polemik hat mit Rassismus allerdings nichts zu tun. Rassismus ist, wenn unsere norddeutsche Autorin Yaghoobifarah jetzt massiv in rechten Foren als Ausländerin beschimpft wird, die sich ‚selbst entsorgen‘ solle. So etwas wird Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland bis heute entgegengeschleudert.“ Letzeres ist sicher nicht in Ordnung, wie wäre es aber mal mit der selbstkritischen Analyse, ob es wirklich nur „lustig“ war, was die forsche Kolumnistin ihren Mitbürgern ohne Migrationshintergrund entgegengeschleudert hat?

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