Primaten und Politik - Wer sich aufbläht, verhext die Welt

Kolumne: Morgens um halb sechs. Politik-Alphatiere wie Donald Trump reißen in der Welt wieder mehr Macht an sich. Auch die gewalttätigen Demonstranten des G20-Gipfels legen ein bekanntes Primatenverhalten an den Tag. Wie kommt es, dass man damit wieder die Oberhand gewinnt?

Ein wenig erforschtes Phänomen: das Alphatier / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Gibt man das Wort „Alphatier“ in die Suchmaschinen ein, erscheint wenig Literatur. Schwarze Jogginghosen mit altdeutscher Schrift tauchen auf, Sadomasogroschenhefte, muskelbepackte Oberkörper und Wölfe. Ein wenig Managementliteratur. Versucht man es weiter mit dem Wort „Dominanz“, erscheinen ähnliche Angebote. Kaum zu glauben: ein Phänomen, das in jedem Betrieb, in jeder Freundschaft, in jeder Liebesbeziehung, in Ehen, zwischen Hunden, überall präsent ist, wird kaum untersucht.

Was hat es mit dem Alphatier auf sich und hat sich das Alphatierprinzip nicht längst überlebt? Inzwischen wissen wir, dass Wölfe soziale Tiere sind. Selbst in der modernen Hundeerziehung wurden viel effektivere und freudigere Erziehungsmethoden entwickelt. Auch dort gilt: Führung durch Vertrauen.

Trump das Alphatier

Wie kommt es nun, dass immer wieder das primitivste Primatenverhalten Oberhand gewinnt? Donald Trump beherrscht einfache Handtricks, schiebt sich physisch chronisch in den Vordergrund, prahlt und attackiert – und wurde gewählt. Wer sich aufbläht, verhext die Welt. Selbst wenn er nur heiße Luft anfacht – solange diese mit aggressiver Gestik unterstrichen wird, wird sie geglaubt.

Mit einem Mal taucht auf allen Seiten das Wort Trump auf. Verflixt ist das, bedenkt man, dass Trump selbst nur Texte lesen kann, in denen er selbst vorkommt. Er bräuchte sich nur auf das Lesen seines eigenen Namens in der Presse zu konzentrieren und hätte wahrscheinlich mehr gelesen als je in seinem Leben. Doch Zeitungen und Journalisten lehnt Trump ab. „I said No!“ erscheint in Trumps Rhetorik regelmäßig und die Verneinung steigert dabei seine Präsenz. Während des G20-Gipfels  kam Trump in der Elbphilharmonie klassisch zu spät, alle warteten auf ihn. Nur Wladimir Putin ließ sich noch etwas mehr Alphatierzeit.

Während sich in Hamburg die G20 auf dem elbphilharmonischen Rang trafen, griffen ohnmächtige Alphatiere auf der Straße zum Pflasterstein. Unter Schimpansen ist das ein legitimes Mittel, um sich nach oben zu arbeiten. Das Abreißen von Ästen, mit denen schreiend herumgefuchtelt wird, dient dazu, sich Respekt zu verschaffen. Steine werfen gehört ebenfalls zum klassischen Schimpansenverhalten. Der Machttrieb äußert sich in einfacher Gestik, anhand von Basismaterialien. Stock und Stein. Hand und Fuß. Vorne und hinten.

Dass wir anscheinend nicht weit entfernt von der Steinzeit leben, wusste schon Erich Fromm. Der vor kurzem verstorbene Theaterdichter Tankred Dorst wies in „Merlin oder Das Wüste Land“ darauf hin, dass Zivilisationen eine gefährdete Kruste auf einem archaischen Vulkan sind und bleiben. In Hamburg brach diese Schutzschicht für kurze Zeit auf und hinterließ schmerzhafte Spuren.

Der Mensch sollte statt Macht im Mittelpunkt stehen

Dabei können Alphatiere nicht führen, steht in einem dünnen Managementbuch von Bernd Bitzer. Der Autor bringt es mit einer klug ausgewählten Ansammlung aus Zitaten auf den Punkt: Alphatiere können nicht führen, da man ihnen nur aus Angst folgt. Reife Persönlichkeiten bilden über Jahre andere Führungsqualitäten. Sie führen durch Können, ihre Qualität kommt nicht von Qual. Vertrauen und Motivation haben nachhaltigere Wirkung als Unterdrückung. Nicht die Macht, sondern der Mensch sollte wieder im Mittelpunkt stehen.

Trump besuchte als Dreizehnjähriger eine Militärschule. Er musste sich seinem Vater wieder und wieder beweisen. Der Vater schärfte den Kindern ein, sie müssten „Killer“ sein. Als Konsequenz dieser Erziehung sieht Trump die Welt als gefährlich und böse an. Dass das Militär immer noch die Verhaltensweisen der Welt lenkt, ist ein modernes Trauerspiel. Selbst technische Erfindungen beruhen meist auf militärischem Ehrgeiz. Auf diese Weise bleibt das Militär unbewusst im täglichen Leben präsent. Eine Welt, die nicht paranoid funktioniert, ist nicht gewollt.

Unsicherheit fördert alte Muster

Nach den Vorfällen von Hamburg wird nun wieder aufgerüstet. Extremistendateien werden konzipiert, flächenübergreifende Videoüberwachung wird beschlossen. Die Primaten auf der Straße lassen sich jedoch nicht durch Videoüberwachung zur  Verhaltensbesserung bekehren. Die Frage nach den Vätern bleibt offen. Aus der vaterlosen Gesellschaft stammten teilweise die schlimmsten Alphatiere, da sie in ihrer Jugend keinen korrigierenden Gegenpart hatten. Wo Unsicherheit herrscht, werden alte Muster wiederholt.

Ob in schwarzen Jogginghosen oder in Luxuslimousinen – wo Primaten die Oberhand haben, wird das Bürgertum zur vom Aussterben bedrohten Spezies. Wer schützt den Bürger, wenn die innere Sicherheitslage von allen Seiten brüchig wird? Ein gesteigertes Schutzbedürfnis ruft wiederum nach alten oder neuen Alphatieren. Wer den größten Stein wirft, erhält die Macht über die Schimpansen.

Dass in der Elbphilharmonie parallel zu den Straßenkämpfen Beethovens Neunte gespielt wurde, bleibt ein hoffnungsvoller Widerspruch. Schiller wusste von der Bedeutung der Väter. In seiner Ode an die Freude, die ursprünglich an die Freiheit gerichtet war, heißt es: „Brüder - überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“. Lohnt sich doch, auf dem Rang eine Minute lang ins Programmheft zu gucken. Ein Satz kann reichen, um der Welt einen anderen Drive zu geben.

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