Ostern und Gewalt - Nicht an das Böse gewöhnen

Auch in diesem Jahr fällt das höchste christliche Fest in eine unruhige Zeit. Es wendet sich gegen die verdummende Kraft der Gewöhnung und fordert einen knochentrockenen Realismus. So könnte es einen Weg weisen aus den politischen Sackgassen der Gegenwart

Indifferenz nutzt nur den Bösen. Das lehrt kein Fest mehr als das nun bevorstehende Ostern / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Burgwedel war bisher bekannt als Sitz einer großen Drogeriemarktkette. Ulrich Tukur hat in der niedersächsischen Stadt sein Abitur gemacht. Nun wird Burgwedel in einem Atemzug mit dem pfälzischen Kandel genannt, denn in Burgwedel ist ein syrischer Flüchtling dringend verdächtig, eine junge Frau mit dem Messer lebensgefährlich verletzt zu haben. Zuvor erstach ein Asylbewerber aus Afghanistan in Flensburg ein minderjähriges Mädchen, womöglich seine deutsche Ex-Freundin. Haben wir uns an solche Nachrichten gewöhnt, stumpfen wir ab?

Diese Gefahr, die die jeweiligen Opfer noch einmal an den Rand stößt, ist sehr real. Das vergleichsweise geringe überregionale Interesse an den Schandtaten von Flensburg und Burgwedel spricht dafür. In den Städten selbst sind sie Anlass zu Trauer, Wut und Reflexion, denn „mit jeder Gewalttat dieser Art vergrößert sich die Kluft zwischen Einheimischen und Zuwanderern exponentiell“. Bundesweit jedoch werden die Attacken eher unter Vermischtes/ Panorama geschäftsmäßig abgehandelt. Dazu beitragen mag einerseits die für viele Köpfe noch immer ungewohnte Opfer-Täter-Umkehr – der „Schutzsuchende“ als Sicherheitsrisiko –, andererseits die Neigung, jede neue Schandtat an der Elle der vorherigen zu messen und so die Hürde für eine Berichterstattung stetig zu erhöhen. Beides ist falsch, beides fatal.

Linke und rechte Ungeheuerlichkeiten

Schleichende Gewöhnung und feige Lässigkeit verhindern auch beim Linksextremismus oft ein klares Benennen von Opfern und Tätern. Nur vereinzelt über die Stadtgrenzen von Berlin hinaus gelangte die Meldung, „Zündel-Chaoten“ hätten Teile der Stromversorgung von Charlottenburg lahmgelegt. Tatsächlich war es eine linksterroristische Attacke, deren Akteure sich im Internet stolz ihrer Straftaten brüsteten. Auch Angriffe auf Moscheen werden von Linksextremen begangen oder begrüßt, ohne dass diese ihren Status als ungehöriges Hätschelkind einer altlinken Elite verlieren. Und als in Kandel die Demonstration „Kandel ist überall“ auf die Gegendemonstration „Wir sind Kandel“ stieß, zeigte sich die Polizei hinterher überrascht „von der Aggressivität, die von der Antifa ausgegangen ist“. Dabei hat die sogenannte Antifa seit Jahren selten mehr im Gepäck als Aggressivität gegen Andersdenkende, gegen Andersmeinende, gegen Staat und Polizei und Recht und Gesetz. Auch daran hat sich eine desinteressierte Öffentlichkeit gewöhnt.

Und ist es – um ans andere Ende des politischen Spektrums zu schauen – etwa eine Petitesse, wenn die rechtsextremistische „Gruppe Freital“ offenbar mehr Unterstützer zählte, als bisher angenommen? Oder wenn im Internet illegal Schusswaffen gekauft werden konnten, um, wie es der nun gefasste ehemalige Betreiber einer solchen Seite behauptete, Migranten zu „erschrecken“? Auch hier ist ein Achselzucken keine Lösung, nützt Indifferenz nur dem Schlimmen, Bösen, Sinnwidrigen. Das lehrt kein Fest mehr als das nun bevorstehende Ostern.

Ostern als Veto gegen die Gewöhnung

Wie auch immer die Abfolge von Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Osternacht theologisch ausgedeutet werden mag, eines ist sie ganz gewiss: der stärkste Einspruch gegen die verdummende Kraft der Gewöhnung. Ostern besagt zunächst, dass es das Böse gibt und dass das Gute den Kürzeren ziehen kann. Sterben muss der unschuldigste aller Menschen, schändlich am Kreuz, den Feinden zum Hohn ausgesetzt. Mehr Realismus passt in kein religiöses Ereignis. 

Das Veto gegen die Gewöhnung an das Leid, an den ganzen schlimmen Lauf der Welt, folgt auf den Fuß und in der Nacht: die Auferstehung Christi. Nicht einmal das Allernormalste der Welt, heißt das, der Tod, verdient es, dass wir uns daran gewöhnen. Nicht einmal der darf uns in die Bande der Trägheit schlagen. Wer genau hinschaut auf das Böse und standhaft bleibt, der darf hoffen, dass das Gute kommt.

Insofern wäre die Osterbotschaft im Jahr 2018 genau dieses Ineinander von knochentrockenem Realismus – Täter sind Täter, Opfer sind Opfer, das Böse kann nicht entschuldigt werden – und standhafter Zuversicht. Wer diese nicht verspielen will, darf jenen nicht scheuen. Gewöhnung ist der Feind jeder Erkenntnis, und ohne Erkenntnis gibt es keine Wende zum Guten.

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