Karfreitag und Ostern - Hoppeln oder Hoffen

Das höchste Fest der Christenheit ist zum Hasenfest geworden. Immer weniger Menschen glauben an die Auferstehung. Dabei wäre Ostern eine gute Gelegenheit, sich die zentrale Frage unseres Daseins zu stellen

Vielerorts sind bis zur Osternacht die Kruzifixe verhüllt, um die Menschen an das Leiden und Sterben Jesu zu erinnern / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Ergebnisse solcher Umfragen sind bekannt, ehe man sie veröffentlicht: Nur eine Minderheit der Deutschen geht an Ostern in die Kirche, und eine noch kleinere Minderheit glaubt an die Wahrheit der christlichen Ostergeschichte; zuletzt waren es noch 18 Prozent. Die Christen sind längst zur qualifizierten Minderheit geworden. Im allgemeinen Bewusstsein ist Ostern ein Familienfest, ein Hasenfest, ein Frühlingsfest. An Ostern wird relaxt, geschlemmt und gehoppelt – und warum auch nicht? Für Glaubensweitergabe wie Glaubensabbruch sind die Christen selbst verantwortlich, und dass da vieles im Argen liegt, gerade in hiesigen Kirchensteuergraden: Wer mag es bestreiten?

Geschichten, die man nicht erzählt, werden vergessen. Das gilt für wahre ebenso wie für erfundene Geschichten. Das Christentum ist in besonderer Weise darauf angewiesen, dass es seine Erzählungen frisch hält, ist es doch beides: eine Geschichts- und eine Geschichtenreligion. Die Zählweise der Welt richtet sich noch immer „nach Christi Geburt“. Vor rund 2000 Jahren, heißt das, geschah im Heiligen Land Umstürzendes, Einmaliges: ein Gott wurde geboren. Dass Jesus freilich in den Augen seiner Anhänger wirklich ein Gott war, sollte sich erst 33 Jahre später zeigen, am ersten Ostern der Weltgeschichte, zwischen Abendmahlssaal, Golgatha und leerem Grab, durch Abschied und Kreuzigung hindurch zu jener Auferstehung, die heute in Deutschland und den angrenzenden Ländern kaum jemandem einleuchten will.

Erinnerung an den Schmerz

Wie aber soll man glauben, wovon nicht erzählt wird? Wie soll man sein Leben an einer Wahrheitsmelodie ausrichten, die nur mit ironischem Generalbass oder im Modus persönlicher Nostalgie erklingt? Geschichten werden esoterisch, wenn sie aus dem Forum ins Hinterzimmer wandern. Und überlagert wird heute die Ostergeschichte – auch im Raum der Kirche – von soziologischen Herleitungen der „Sache Jesu“, von politischen Lektionen und tagestauglichen Verzweckungen im Scheinwerferlicht. Die Ostergeschichte hat ihren Reiz eingebüßt, weil es ihr an begabten, leidenschaftlichen, wissenden Erzählern mangelt. Und nicht deshalb, weil ihr Kern, die Auferstehung, eine größere denkerische Zumutung wäre als vor 1000 oder 500 Jahren. Viele Menschen glauben heute viel unglaublichere Dinge. Die Aussicht auf ein irdisches Leben ohne Schmerz und ohne Leid, auf die Mars-Besiedlung oder den Totalersatz des Menschen durch Robotik und künstliche Intelligenz verstört niemanden.

Karfreitag erinnert an den Schmerz, den Menschen einander bereiten können, wenn sie sich unbedingt im Recht wähnen. „Kreuziget ihn!“ wurde zum Schlachtruf der Unduldsamen bis heute, der zornigen Reinen, die auf den Tod nicht mit sich reden lassen. Eine Idee davon hat sich bemerkenswerterweise Radio Eins vom RBB bewahrt, das witzig und ganz unblasphemisch für Karfreitag einen Themenschwerpunkt „Schmerz“ lanciert. Karsamstag (nicht mit Ostersamstag eine Woche später zu verwechseln) ist die Grabesruhe, das Dazwischen, das Schweigen Gottes, die Dunkelheit des Irdischen – ist Nietzsches ewiger Tag, Künstlers Aufgang, die Ahnung, dass wir Hoffnungen leichter begraben als nähren, Überlieferung schneller zerstören als befragen.

Was reichen wir weiter?

An der Osternacht scheiden sich die Geister – und das müssen sie auch. Das „Lumen Christi“ scheint nicht jedem, eine leibliche Auferstehung bleibt jenseits der Diskurse. Man kann den biblischen Zeugen glauben oder skeptisch bleiben, man kann Trug wittern oder ein Wunder ins eigene Kalkül ziehen. All das ist individueller Freiheit anheimgestellt, glücklicherweise. Doch vor der Frage, ob der Welt mehr Christentum guttäte, dürfen österlich Erhellte nicht zurückweichen: so wie überzeugte Muslime der Welt mehr Islam gönnen, leidenschaftliche Buddhisten ihr mehr Buddhismus. Wer als Christ mehr Welt fordert, der kennt nicht die Welt und traut nicht seinem Glauben.

Ostern fordert heraus, jedoch auf andere Weise, als es in manch floskelhafter Predigt behauptet wird. Die Frage, die Ostern stellt, lautet: Welche Geschichten sind der Überlieferung wert? Geschichten des Heils oder Szenarien des Unheils? Geschichten, die im Hier beginnen und im Jetzt enden, oder Geschichten mit weitem Horizont, bis zum Himmel hoch? Geschichten, die wir erfinden, oder Geschichten, die wir vorfinden? Geschichten aus der Ich-Perspektive oder Geschichten, die Raum lassen für Unerwartete und Unerwartetes? Was reichen wir weiter, anderen und Künftigen, ein „Kreuziget ihn!“ oder ein „Halleluja“? Eine Hoffnung oder einen Groll? Ostern kann die Stunde sein, da wir uns von uns selbst überraschen lassen.

 

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