Olafur Eliassons EU-App - Ist das Kunst oder Steuerverschwendung?

Im Zentrum des Kulturprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft steht eine App von Olafur Eliasson. Während der darüber nachdenkt, ob es sich dabei tatsächlich um Kunst handelt, ist die Politik begeistert. Aber ist die App ihre sieben Millionen Euro wert?  

Sieben Millionen Euro für einen „Malkasten“: Olafur Eliasson / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Kunst ist eine Frage des Kontextes. Als etwa Cosimo de' Medici die Hauskapelle seines Palazzos mit Werken von Fra Filippo Lippi und anderen Großkünstlern seiner Epoche schmücken ließ, ging es dem florentinischen Bankier wohl eher um die Besänftigung seiner katholischen Höllenängste als um ungefilterten Kunstgenuss. Andererseits, es war auch nicht erst Marcel Duchamp, der mit seinen legendären Objet trouvés darauf verwies, dass sich das interesselose Wohlgefallen vor allem und zu allererst am Rahmen festmachen lässt.

Und so ein Kunstrahmen kann gerade heute mannigfaltig sein: ein Museum, eine Galerie, eine Autohauseröffnung... – seit vergangenem Mittwoch sogar eine Smartphone-App. Mit einer solchen nämlich haben jetzt besonders junge Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre ungezählten Sorgen in Sachen Klimaschutz und Zukunftsfragen in ihr Handy einzusprechen, um ihre Aufnahme anschließend bei lustig dreinschauenden Bäumen oder Blumen inmitten einer Augmented Reality zu vergraben. Später dann kann die kleine Message von anderen besorgten Kindern wieder aufgefunden und abgespielt werden. 

„Ist das jetzt Kunst oder nicht?“

Kunst als virtuelle Spielerei. Zugegeben, in der Renaissance wird das noch kein großes Thema unter Ästheten gewesen sein, für uns Heutige aber verspricht solch digitaler Budenzauber das nächste heiße Ding in der Kunst. Bei dem kleinen Tool mit Namen „Earth Speakr“ nämlich handelt es sich um nicht weniger als um den kulturellen Teil der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Und programmiert hat den bunten Erdlautsprecher der dänisch-deutsch-isländische Star-Künstler Olafur Eliasson. Der will seine App als eine Art Malkasten zum intereuropäischen „Mitdaddeln“ verstanden wissen: Kinder und Jugendliche hätten hier künstlerische und spielerische Möglichkeiten bekommen, um sich kreativ auszudrücken, so Eliasson in einem Interview mit der Zeitung Kunst und Politik. 

Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ist rundum begeistert: „Earth Speakr“, so die SPD-Politikerin in einem Beitrag für den Deutschen Kulturrat, stehe im Zentrum des Kulturprogramms der EU-Ratspräsidentschaft. Sie sähe in dem neuen Eliasson nicht weniger als „einen Blick in die Zukunft Europas und etwas davon, was Kunst beitragen kann, um einen europäischen Öffentlichkeits- und Kulturraum zu schaffen.“ Während sich die Politik selbst also mit Sprachgirlanden und Kuratorenprosa behängt, scheint der Künstler selbst noch Zweifel zu haben. Mit der endgültige Einordnung seines Werkes, so Eliasson, wolle er lieber noch warten: „Oft ist es bei mir so, dass ich bei Kunstwerken nicht genau weiß, ist das jetzt Kunst oder nicht.“

Hauptsache, es leuchtet und blinkt

Für den einen ist „Earth Speakr“ also vielleicht nur eine App, für den anderen Grundlage eines riesigen Kulturraums, wenn nicht gar das virtuell ausgelagerte Europa der Kinder. Gekostet hat das übrigens sieben Millionen Euro – und damit mehr als zwei Drittel des gesamten Kulturprogramm-Etats..Der Rest geht an Musik, Häppchen und stimmungsvolle Umrahmung. Bei den Kosten spricht also einiges dafür, dass es sich bei „Earth Speakr“ tatsächlich um echte Hochkultur handeln könnte.

Anders als zu den Zeiten der Mediceer muss die heute ja nicht notgedrungen erbauen oder ergreifen, oft reicht es schon, wenn es irgendwo leuchtet oder aufregend blinkt. Solange „Earth Speakr“ nicht zwischen Yoga- und Corona Warn-App im Google Play Store angeboten wird, ist selbst die Kontextfrage relativ sicher. Man möge es nicht falsch verstehen: Niemand will dem international angesehenen Post-Land-Art und Klimakünstler Olafur Eliasson den aufrechten Willen absprechen, mit Mitteln der Kunst auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren.

Ein Fall von Steuerverschwendung? 

Sein künstlerisches Sozialprojekt „Little Sun“ etwa, mit dem er seit einigen Jahren Solarlicht in jene Toten Winkel der Erde bringt, in denen es nicht erst nach Sonnenuntergang zapppenduster ist, ist noch immer eine beeindruckende Schnittstelle zwischen Kunst, Design und Engagement. Indes, sieben Millionen Euro Steuergeld für die fragwürdige App eines Künstlers, der seit Jahren den siebten Platz im Kunstkompass der Zeitschrift Capital belegt, hat in Zeiten des Corona-Notprogramms „Neustart Kultur“ für viele aus dem neuen Kunstprekariat ein Geschmäckle.

Auch wenn Außenminister Heiko Maas das Werk bereits im Oktober 2019 persönlich bei Eliasson in Auftrag gab, so wäre gerade jetzt ein vielstimmigeres Kulturprogramm wünschenswert gewesen. Keine Frage, einer wie Cosimo de' Medici – ein Pater patriae – hätte sich „Earth Speakr“ längst downgeloaded. In demokratischeren Kulturräumen indes darf es gerne auch mal weniger paternalistisch zugehen. Um das ökologische Bewusstsein unserer Kinder müssen wir uns vermutlich ohnehin keine Sorgen machen; unser eigener Wunsch indes, mit ein paar Apps alles wegzudaddeln, was selbst in nachchristlichen Zeiten noch Höllenängste bereiten kann, ist da beileibe weit bedenklicher.

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