Netz-Initiative #NichtEgal - Google wird dein neuer Lehrer

Kisslers Konter: Eine Kampagne gegen Hass im Internet findet viel politischen Zuspruch. Dahinter steht ein Eigeninteresse von Google und YouTube. Minderjährige sollen in ihren Schulen für den Konzern gewonnen werden. Eine riskante Grenzüberschreitung

Gibt nicht mehr nur Schmink-, sondern jetzt auch Toleranztipps: „Dagi Bee“ / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wo Zeichen gesetzt werden sollen, sind Analphabeten nicht weit. So ist es auch bei einer Anfang dieser Woche vorgestellten Internet-Initiative, die dubiose Absichten unter hehren Worten verbirgt. Das Videoportal YouTube, Teil des weltumspannenden Google-Konzerns, will mit der Aktion #NichtEgal gegen „Hass im Netz“ vorgehen und „die positiven und toleranten Stimmen“ verstärken.

Schirmherrin ist die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), Unterstützerin die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) unter dem ehemaligen SPD-Politiker Thomas Krüger. Auch die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt und das SPD-Parteivorstandsmitglied Elke Ferner begrüßen das Unterfangen. Sie finden es demnach wunderbar, wenn der Staat die Kindererziehung an einen multinationalen Konzern abtritt, wenn Umsatzgier sich zur Weltenrettung aufhübscht und Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Darum geht es nämlich bei #NichtEgal.

Win-win-win-Situation für Google

Als am Montag im „Google Büro Berlin“ die BPB gemeinsam mit Google und „weiteren Partnern“ die, wie es die Bundeszentrale formulierte, „Initiative gegen Hassbotschaften im Netz und für Offenheit und Toleranz“ vorstellte, hätte die Wahl des Ortes stutzig machen können. #NichtEgal wurde initiiert und wird finanziert von Google beziehungsweise Alphabet, wie sich jener Konzern neuerdings nennt, der im abgelaufenen Jahr 75 Milliarden US-Dollar umsetzte und mehr als 16 Milliarden Gewinn erzielte.

Google, eine Cash-Cow mit schwankendem Image. Ist Tochter YouTube nicht auch Abspielstation für allerhand sinistres Zeug? Ja. Doch was haben die auf Renditemaximierung erpichten Unternehmensziele des Konzerns mit bundesdeutscher „Offenheit und Toleranz“ zu tun? Ganz einfach: Google kann durch #NichtEgal in einem Atemzug Whitewashing betreiben, den eigenen Ruf polieren und Kundenbindung, Kundenbindung und nochmals Kundenbindung dort generieren, wo Markenloyalität gedeiht, in der Adoleszenz. Für Google ist #NichtEgal ein Win-win-win, für die Gesellschaft und für die Bildungspolitik und für die Meinungsfreiheit eher ein Lose-lose-lose.

Der Staat öffnet die Schulen für den Konzern

Google will mit dem Segen der Bundesfamilienministerin und unter den erfreuten Augen der Bundeszentrale für politische Bildung die Klassenräume erobern. #NichtEgal markiert die Transformation von Google zum Bildungsanbieter. Der deutsche Staat soll für Google seine Schulen öffnen. Unter dem Schlagwort #NichtEgal will Google „in den kommenden Monaten 5.000 Schüler an 40 Schulen in ganz Deutschland zu Experten für digitale Kommunikation ausbilden“, Schüler und Schülerinnen der 9. und 10. Klassen.

Geschehen soll dies durch von Google finanzierte „Medienpädagogen“ und zwar „an deiner Schule“ und zusammen „mit deinem Team, euren Lehrern und der Schulleitung“ – schwadroniert man im kumpelhaften Google-Sound. Die Amerikaner stellen sich „zwischen Februar und April 2017 einen Aktionstag“ vor, ein „eintägiges kostenloses Training an deiner Schule“, an dessen Ende Neunt- und Zehntklässler über „die wichtigsten Fertigkeiten“ verfügen, um sich „im Netz für Toleranz, Respekt sowie eine offene Gesellschaft einzusetzen und diese Kenntnisse als Mentor an Mitschüler weiterzuvermitteln.“ Diese Weitergabe soll „in eintägigen Schülerworkshops an Schüler aus den 7. und 8. Klassen“ erfolgen. Auch von „einem weiteren halben Tag“ der Vorbereitung ist die Rede, alles mit von Google bereitgestellten „übersichtlich gestalteten Materialien und YouTube-Videos mit konkreten Tipps von YouTubern“.

Mit dabei: „Dagi Bee“, „Ossi Glossy“ und „Bullshit TV“

Im Klartext: Mindestens zweieinhalb Tage, die gewiss keine Sonntage sein werden, ist die Bundesfamilienministerin bereit, an Google zu verschenken. Der Konzern darf 5.000 Schüler indoktrinieren. Denn natürlich ist der tatsächliche oder vermeintliche Einsatz für Toleranz und Respekt auch eine Maßnahme im Kundenbindungsprogramm. Minderjährige, sollen in den Genuss Google-eigener Medienschulung kommen. Als Sahnehäubchen lockt die Beteiligung „erfolgreicher YouTube-Stars“. Und Frau Schwesig und Herr Krüger finden nichts dabei.

Womit wir beim zweiten Kainsmal von #NichtEgal wären. Was der Konzern „YouTube-Stars“ nennt und die Bundeszentrale für politische Bildung in Verkennung der Sachlage „YouTube-Künstler“ sind jene meist junge Menschen, die aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht haben. „YouTuber werden“ zählt zu den beliebten Berufszielen bei Minderjährigen – jener schulpflichtigen Klientel, die nun 5.000-fach beglückt werden soll. Ein kommerziell besonders erfolgreicher weiblicher „YouTube-Star“ nennt sich „Dagi Bee“, gibt Schmink- und Lebenstipps und kann knapp drei Millionen Abonnenten seines YouTube-Kanals aufweisen. „Dagi Bee“ ist ebenso wie „Diana zur Löwen“ (mehr als 500.000 Abonnenten) oder „Ossi Glossy“ (knapp 200.000 Abonnenten) und die Jungs von „Bullshit TV“ (rund 1,5 Millionen Abonnenten) Teil des Imagefilmchens zur #NichtEgal-Kampagne.

Konsumieren ist immer richtig

„Dagi Bee“ sagt, „mit Freundlichkeit kommt man immer weiter als mit Hass“, ein vollbärtiger Mann von „Bullshit TV“ weiß, „es wird sehr viel gehatet im Netz“, der heillos überschminkte Junge, der sich „Ossi Glossy“ nennt, erklärt wie das ganze Leben auch #NichtEgal zur Stilfrage – „es kommt immer darauf an, wie man seine Meinung kommuniziert“. Das Motto erklärt derweil „Diana zur Löwen“, angeblich 20-jährig und aus Köln: „#NichtEgal heißt, dass man auch gegen was vorgeht, dass man zeigt, dass es nicht richtig ist.“ Offenbar nimmt YouTube uns die philosophisch wie politisch heikle Aufgabe ab, das Richtige vom Falschen zu scheiden und letzteres zu bekämpfen.

„Diana zur Löwen“ lässt auf ihrem YouTube-Kanal keinen Zweifel daran, was immer richtig ist: Konsumieren, bis der Arzt kommt. In einem sechsminütigen Video, das sie nicht umsonst gedreht haben dürfte, zeigt sie einem gewiss minderjährigen weiblichen Publikum, dass wahres Glück im Kaufen besteht. „Diana zur Löwen“ bietet Teleshopping für die Generation Internet, plump und offensiv.

Sie preist eine „echt spannende“ Mascarabürste an und „echt niedliche T-Shirts“ und „ein süßes Armband“ und „Bettwäsche mit Kakteenmuster, die mag ich super gern,“ und „flauschige Pantoffeln“ in Violett, „die sind wirklich kuschelig“, und „Wirsing-Chips“ aus der Drogerie, „probiert die echt mal aus, die sind so crispy“, und einen mit Katzenohren verzierten „Kaffeebecher, echt perfekt für Coffee to go“, und „Fake-Tattoos, ein ganz cooler Eyecatcher, megaschön,“ und einen „Lazy Arm“, mit dem man das Smartphone zum YouTube-Gucken am Nachttisch befestigen kann –  „da bin ich echt ein bisschen besessen davon“ –  und eine Creme mit „kühlender Kugel, ich hab‘ echt das Gefühl, dass damit die Augenringe so ein bisschen verschwinden.“ Soviel unechte Künstlichkeit schmerzt.

Arme Diana, was tat man dir, was tust du uns an? Es ist ein Produkteporno der traurigsten Art. Bei #NichtEgal taucht „Diana zur Löwen“ nun als Vorkämpferin auf gegen „Hass“ und gegen die „Verrohung der politischen Diskussionen“, wie Thomas Krüger von der BPB es nennt.

Demokratie als Produkt

Was, drittens, ist dieser „Hass“ überhaupt? Er ist etwas, das verschwinden soll. Viel genauer wird es nicht. Hass, zur Globalchiffre „Hate“ umgebogen, aufgeblasen, ausgeschüttet, gehört sich nicht. Und wer hasst, der verdient nicht, ein Mensch zu sein. Am 21. September schrieb die  #NichtEgal unterstützende Denkfabrik Betterplace Lab, man müsse „die vielen Hater aus ihren Löchern holen“. Darum geht es letztlich: den Internetnutzern, die von der Firma YouTube als „Hater“ identifiziert werden, den Kommunikationssaft abzudrehen. In diese Richtung weist das neueste Pferd im Entwicklerstall von YouTube, die digitale Eingreiftruppe der „YouTube Heroes“. Ihnen darf angehören, wer „negativen Inhalt“ meldet. Wer es oft genug getan hat, steigt in der YouTube-Hierarchie auf, bis er Seite an Seite mit den Entwicklern neue – das heißt: auf neue Weise geldwerte – Tools nutzen und bewerten darf.

So wird ein Schuh draus: YouTube will die, wie es im #NichtEgal-Video selbstbewusst heißt, „größte Community“ noch größer und noch wertvoller machen, indem es in noch früherem Stadium noch mehr Nutzer an sich bindet und unter dem Vorwand der Demokratiepflege lebenslange Loyalitäten schafft. „Positive und tolerante Stimmen“ sind dann jene, die nicht aufmucken und die nicht zu konkurrierenden Anbietern wechseln. Konsum und Moral fallen endlich zusammen. Der gute Mensch beginnt beim Kunden, Demokratie ist ein Produkt. Deutsche Politiker nehmen derlei Aushöhlung der zivilbürgerlichen Fundamente in Kauf, solange die Richtigen aussortiert werden. So also fängt das an.

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