Körpersprache von Politikern - „Die Merkel-Raute ist ein Auslaufmodell“

US-Präsident Donald Trump wird gern vorgeworfen, er benehme sich wie ein Alpha-Gorilla, Angela Merkel treibt andere mit ihrer Regungslosigkeit zur Verzweiflung. Stefan Verra hat die Körpersprache von Politikern analysiert. Was lässt sich daraus ableiten? Schauen Sie in unsere Bildergalerie

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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Stefan Verra ist einer der bekanntesten europäischen Körpersprachen-Experten. Für Zeitungen analysiert er regelmäßig die wichtigsten Wahlkämpfe. 

Herr Verra, Donald Trump ist nicht gerade das, was man eine Schönheit nennt. Sie aber finden, er sei „ein echter Hingucker.“ Wie meinen Sie das? 
Wenn es um Schönheit ginge, wären viele Politiker nicht meine erste Wahl. Donald Trump ist aber körpersprachlich wahnsinnig attraktiv. Er legt großen Ausdruck in seine Mimik und in seine Gestik. Und das hinterlässt großen Eindruck. So jemand zieht die Blicke eher an als jemand, der die Merkel-Raute macht.

Was meinen Sie mit „großem Ausdruck“?
Wenn Donald Trump auf den Tisch haut, dann macht er es mit großer Amplitude. Die Wege seiner Hand sind sehr weit. Die Hand haut einen halben Meter rauf und runter. Wenn er das Gesicht zu einer Schnute verzieht, dann macht er das unheimlich deutlich. Das ist aber nur der erste Hingucker.

Und der zweite?
Er, der eigentlich am männlichsten wirken will, sendet die weiblichsten Signale von allen.

Was meinen Sie damit? Was einem auffällt, ist doch sein breitbeiniger Gang. 
Sie haben Recht, daran ist nichts weiblich. Aber seine Handhaltung ist es. Wenn Donald Trump auf den Tisch haut, macht er das zwar mit der Faust – allerdings mit der verkappten Faust.

Wie sieht die aus?
Er bildet einen Ring aus Daumen und dem Zeigefinger. Das unterscheidet ihn noch nicht von einem Emmanuel Macron oder einem Sebastian Kurz. Was Trump dabei allerdings macht: Er klappt dabei das Handgelenk nach hinten. Es entsteht ein Knick im Handgelenk. Sowas würden Männer normalerweise nicht machen. Die halten das Handgelenk besonders gerade. Das verspricht nämlich Kraft.

Was will Trump mit der abgeklappten Hand signalisieren?
Gute Frage. Der Travestie-Künstler Tom Neuwirth alias Conchita Wurst hat das auch gemacht. Er wollte damit signalisieren: Ich bin eine Frau. Bei Trump dürfte es dagegen unbewusst ablaufen.

Woraus schließen Sie das?
Er macht das schon seit Jahrzehnten so. Und das, obwohl er deswegen durch den Kakao gezogen wird. Dass er es noch nicht geändert hat, liegt wohl an seiner mangelnden Selbstwahrnehmung. Das merkt man auch daran, wie er anderen die Hände schüttelt.

Wie denn?
Eigentlich beginnt er sehr sympathisch. Er zeigt die offene Handfläche. Dann beginnt er zu schütteln und reißt sein Gegenüber so heftig an sich heran, dass der fast aus den Schuhen fällt. 

Trotzdem wurde Trump von 60 Millionen Amerikanern gewählt. Stößt die seine Körpersprache gar nicht ab?
Nein, absurderweise verschafft ihm die Körpersprache zusammen mit seiner mangelnden Selbstwahrnehmung sogar Vorteile. Nach einer Umfrage von BBC ABC und Wall Street Journal wird Donald Trump als glaubwürdiger eingeschätzt als zum Beispiel Hillary Clinton.

Was schließen Sie daraus?
Glaubwürdigkeit hat nichts mit Sympathie zu tun. Die Wähler haben bei Trump sofort den Eindruck: Der spielt nichts vor. 

Aber reicht das schon? Schauen seine Wähler gar nicht in sein Programm?
Wir können nur danach entscheiden, was uns das Hirn vorgibt. Wenn wir einen Barack Obama sehen, fühlen sich ganz viele Menschen von ihm angesprochen, weil seine Körpersprache Sympathie, Lockerheit und Kompetenz verspricht. Dabei hat Obama in seiner Amtszeit relativ wenig zu Ende gebracht. Eigentlich müsste man sagen, er ist ein Looser. Trotzdem ist es so, dass ihn Leute, die ihn einmal ins Herz geschlossen haben, immer noch verteidigen.

Und was strahlt Trumps Körpersprache aus?
Letzten Endes ist es Angst. Und genau darin erkennen sich viele Amerikaner wieder.

Trump tritt doch eher aggressiv auf.
Aber diese Aggressivität ist Ausdruck von Angst. Stellen Sie sich einen Arbeiter vor, der jahrzehntelang in der Stahlproduktion gearbeitet hat. Und dann werden immer mehr Jobs nach Indien und China verlegt. Dieser Mensch bekommt Angst. Und wie zeigt er sie? Indem er in der Kneipe auf den Tisch haut. Indem er herumbrüllt. Donald Trump hat die Körpersprache dieser Menschen einfach 1:1 widergespiegelt.

Die Wähler suchen Alpha-Gorillas, in denen sie sich wiedererkennen?
Ja, denen vermittelt er das Gefühl: Ich versteh Eure Sorgen. Ich bin der Alpha-Gorilla, der Euch warnt, wenn die Säbelzahntiger um die Ecke kommen. Rationale Argumente aus dem Neokortex kommen gegen dieses Gefühl nicht an.

 

Stefan Verra / Severin Schweiger

Aber es gibt doch bestimmt auch Trump-Wählerinnen, die es eher abstößt, dass er Frauen angrapscht?
Er geht mit Frauen teilweise wirklich wahnsinnig despektierlich um. Aber auch sie werden Opfer ihrer Intuition. Da passiert etwas Spannendes auf der Stamm- und Mittelhirnebene. Wenn uns dort jemand gewonnen hat, suchen wir Argumente, warum es okay ist, wenn er etwas macht, was nicht dem Bild entspricht, das wir uns einmal von einmal von ihm gemacht haben.

Er hat einen Freifahrtschein?
Könnte man fast sagen. Wie sonst ist es zu erklären, dass von Trumps Wählern niemand protestiert hat, als er die Gesundheitsreform seines Vorgängers Obama zurückgenommen hat?

Zählt gute Politik gar nichts?
Doch, aber sie alleine reicht nicht. Ich muss die Leute erst gefühlsmäßig erreichen – und dann kommt die Politik.

Dann ist Ihr Buch Werbung in eigener Sache – ein Appell an die Politiker, sich von einem Körpersprachen-Experten coachen zu lassen?
Nein, ganz und gar nicht. Aber die Politik ist gut beraten, jene Leute nach oben zu lassen, die von Natur aus eine gewinnende Körpersprache haben. Wie man es nicht macht, hat die CDU gerade gezeigt, als sie das Rennen um die Nachfolge des Parteivorsitzes veranstaltet hat. Weder Jens Spahn noch Friedrich Merz oder Annegret Kramp-Karrenbauer sind körpersprachlich massentauglich.

Und warum hat AKK dann gewonnen?
Ganz einfach, der Wunsch nach nahtloser Fortführung an der CDU Spitze. Sie hat eine auffallend ähnlichen körpersprachlichen Ausdruck wie Angela Merkel. Und die hat eine tolle Körpersprache.

Hat sie überhaupt eine?
Doch, hat sie  – und zwar eine sehr stabile. Auch wenn sie „angeschossen“ wird von einem Putin oder einem Seehofer, bleibt Merkel nahezu unbewegt. Das lässt sie souverän erscheinen.

Welche Rolle spielt die Merkel-Raute?
Die Kanzlerin hält ihre Arme bei dieser Geste etwas höher als in den neunziger Jahren. Sie muss in diese Haltung mehr Energie investieren. Sie wirkt dadurch energetischer.

Finden Sie? Man könnte auch sagen, sie strahlt eine Friedhofsruhe aus.
Sie schafft es, dass sich ihre Fingerspitzen nur ganz sanft berühren. Das lässt auf einen niedrigeren Stresshormon-Spiegel und damit Alpha-Qualitäten schließen. 

Warum?
Ein Alpha regt sich erst dann, wenn das große Ganze in Gefahr gerät. Deutschland geht es im Großen und Ganzen gut. Unbewusst suchen sich die Bürger ein „Rudeltier“, das für diese Stabilität steht. Annegret Kramp-Karrenbauer setzt diese Tradition fort. Solange es Deutschland weiterhin so gut geht, wird man mit ihr gut leben können. Aber wehe, es wird sozial unruhiger.

Was passiert dann?
Dann werden Politiker wie Donald Trump oder Matteo Salvini gewählt, die mit ihrer Körpersprache für Aggression und Rebellion stehen. Und das sind in der Regel Politiker, die weit links oder weit rechts stehen.

Ist die Merkel-Raute also ein Auslaufmodell?
Könnte man so sagen. Mittlerweile gibt es mit dieser Geste ein Problem. Sie lässt die Kanzlerin eindimensional erscheinen. Wenn sie abwechselnd die  Finger verschränkt und die Raute gemacht hätte, wäre diese Geste niemandem aufgefallen. Aber sie hat über zehn, elf, zwölf Jahre immer nur diese Raute gezeigt.

Weil ihr ein Coach dazu geraten hat? 
Das war definitiv so. Der Erfolg dieser Beratung war zuerst ganz gut, wenn man sie mit Fotos aus den neunziger Jahren vergleicht. Aber ihre Trainer hätten ihr im nächsten Schritt sagen müssen: Du musst die Hände auch mal ein bisschen variieren.

Warum sind solche Trainings für Politiker so wichtig?
Wir leben in einer Zeit, in der die Macht des Nonverbalen dramatisch zunimmt. Wer wie Politiker im Rampenlicht steht, muss sich mit seiner eigenen Wirkung zu beschäftigen. Der Inhalt wird dadurch nicht schlechter. Man wird nur mehr Menschen gewinnen, die einem wohlwollend zuhören.   

Wer bringt denn körpersprachlich gute Voraussetzungen mit, um die Nachfolge von Angela Merkel anzutreten?
Mittelfristig werden wir jemanden brauchen, der variabel in seiner Körpersprache ist.

Wie sieht es mit Talenten in der AfD aus?
In Deutschland hat die Stunde der Populisten noch nicht geschlagen. Weder Alice Weidel noch Alexander Gauland können die Emotionen der Ängstlichen und Frustrierten widerspiegeln. Die haben zwar bei der vergangenen Bundestagswahl über zwölf Prozent der Stimmen erreicht. Aber sobald da jemand kommt, der richtig auf den Tisch hauen kann, könnte die Partei auf 25 Prozent springen. Es könnte natürlich auch jemand von der SPD kommen.

Was ist mit SPD-Chefin Andrea Nahles? Fällt die körpersprachlich nicht in die Kategorie „Krawallschachtel“?
Das stimmt. Sie trifft aber offensichtlich nicht die Bedürfnisse ihrer Wähler. Sie erinnert mich ein bisschen an die demokratische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez. Das ist auch so eine Krawallschachtel. Ihre  Körpersprache ist aber vielfältiger.

Fällt Ihnen sonst noch jemand ein?
Ja, FDP-Chef Christian Lindner. Der hat allerdings ein anderes Problem: Ihm fehlt völlig die Selbstironie. Dem geht es wie US-Präsident Donald Trump. Er kann nicht über Witze über seine Person lachen.

Aber Trump hat das doch nicht geschadet?
Doch. Ihm gelingt es nicht, den Kreis seiner Wähler zu vergrößern. Er bleibt bei seinen 60 Millionen Wählern Anhängern – das sind weit weniger, als Obama hatte.

Stefan Verra, Leithammel sind auch nur Menschen, Die Körpersprache der Mächtigen, Ariston, 20 Euro. 

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