Literaturnobelpreis - „Bob Dylan ist der Polarstern“

BAP-Sänger Wolfgang Niedecken ist ein Kumpel vom Kumpel von Bob Dylan und hat seit 1978 keine Tournee des neuen Literaturnobelpreisträgers verpasst. Dabei hielt er die Musik zunächst für Lagerfeuer-Geklampfe

„Er hat allen gezeigt, wo der Hammer hängt“ / picture alliance
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Herr Niedecken, was haben Sie empfunden, als Sie die Nachricht vom Literaturnobelpreis für Bob Dylan erreichte?
Der Nobelpreis war überfällig. Seit 15 Jahren steckt er in der Lostrommel und jedes Mal  denkt man, warum denn schon wieder nicht. Ich mache mir aber ein bisschen Sorgen, ob er ihn überhaupt annimmt. Er ist halt … Bob Dylan: unberechenbar. Aber ich denke schon, dass er sich freut.

Glauben Sie, dass jetzt eine Diskussion aufkommt, ob ein Rockmusiker als Literat bewertet werden kann?
Das ist der Neid der Bildungsbürger. Es gib ja auch diese unsägliche Unterscheidung von E- und U-Musik. Das ist ja schon zu Tode diskutiert worden, da will man eigentlich nicht mehr mitmachen. Die Grenzen sind Gott sei Dank fließend. Bob Dylans Texte haben ein durchweg hohes Niveau und haben die ganze Rock’n Roll-Welt verändert. Die Beatles, die Rolling Stones oder Bruce Springsteen, die hätten wahrscheinlich ihr Leben lang  „Boy meets girl“-Texte geschrieben, wenn Dylan ihnen nicht gezeigt hätte, wo der Hammer hängt. Vor allem mit seinen drei Meisterwerken Bringing It All Back Home, Blonde On Blonde und Highway 61 Revisited. Die sind alle innerhalb von zwei Jahren erschienen und danach war nichts mehr wie vorher.

Wie war das für Sie, als sie zum ersten Mal einen Dylan-Song hörten?
Das war Blowin In The Wind und das habe ich ehrlich gesagt für Lagerfeuer-Geklampfe gehalten. Es war auch die Version von Peter Paul, and Mary. Als ich 15 war hat uns aber unser damaliger Sänger die Single Like A Rolling Stone vorgespielt. Das hat mich geflasht. Ich war bis dahin Bassist. Nachdem ich das Lied gehört hatte, habe ich gesagt, jemand anderes muss Bass spielen, ich will sowas wie der machen. Von da an habe ich Texte geschrieben. Mit den ersten von damals wäre ich heute vielleicht erpressbar. Aber ich hab‘s versucht.

Hat er Sie danach weiter beeinflusst als Texter und Musiker?
Immer wieder. Bob Dylan ist der Polarstern.

Wenn Sie vor dem Nobelpreiskomitee für Dylan hätten argumentieren müssen, was hätten Sie gesagt?
Er hat es geschafft, die Beat-Poeten Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs mit dem Rock‘n Roll zusammenzubringen, also mit Chuck Berry und Little Richard. Das muss man natürlich auch können, und er konnte das wie kein anderer. Und er hat sein Ding durchgezogen, obwohl er damals von den Vertretern der reinen Folkmusik-Lehre als „Judas“ beschimpft wurde.

Wolfgang Niedecken

Persönlich strahlt Dylan eine Unnahbarkeit aus. Sie haben ihn selbst getroffen. Wie wirkte er auf Sie?
Ich hatte das große Glück, dass ich ihn über Wim Wenders kennenlernte.  Das war bei einem Konzert in der Köln-Arena. Ich drehte gerade mit Wenders den Bap-Film Viel passiert. Und Wenders und Dylan sind befreundet. Dann hat mich der eine Kumpel dem anderen Kumpel vorgestellt und als Kumpel hat man natürlich einen anderen Zugang. Das war sehr angenehm, er war überhaupt nicht abweisend.

Blieb es bei diesem einen Treffen?
Nein, das zweite Mal war etwas kurios. Er hatte eine deutsche Firma damit beauftragt, eine Gitarre genau nach seinen Vorstellungen zu bauen. Als sie dann bei ihm ankam, war sie ihm aber zu schwer. Ich bekam dann zum 60. Geburtstag genau diese Gitarre geschenkt. Bei einem Konzert in Saarbrücken habe ich ihm eine andere Gitarre überreicht. Da hat er einen Riesenspaß gehabt. Als wäre er ein kleiner Junge, dem man eine Lok für seine Märklin-Bahn geschenkt hat.

Nun können Konzerte von Dylan für den Zuschauer aber auch frustrierend sein. Er wirkt doch manchmal arg lustlos.
Da habe ich auch schon furchtbare Sachen erlebt. Ich habe ihn ja bei jeder Tour in Europa seit 1978 live gesehen. Manchmal dachte man da, du lieber Gott, der arme Kerl! Da stand er wirklich neben den Schuhen. Aber hat sich wunderbar wieder berappelt, wahrscheinlich durch seine Mitarbeit bei der Band Traveling Wilburys mit George Harrison und Tom Petty. Da hat er wieder Spaß gekriegt. Das sieht man auch. Er macht, was er will. Er kümmert sich einen Dreck darum, ob die Leute seine Sinatra-Interpretationen hören wollen oder nicht. Er hat Spaß dran und dann macht er das halt. Er muss ja auch niemandem mehr etwas beweisen. Jetzt natürlich erst recht nicht.

Dylan ist ja permanent auf seiner Never Ending Tour. Da fragt man sich ja schon, wie lange will er das noch machen. Sie selbst gehen immer wieder auf Tournee.
Das ist eine Lebensform. Ich mache das auch für mein Leben gern, ich habe halt nur einen kleineren Radius. Wäre ich Bob Dylan, wäre ich auch an einem Stück irgendwo auf der Welt. Eine andere Frage ist, ob das familienkompatibel ist oder nicht. Aber wir sind Troubadoure, wir sind immer unterwegs.

Und es geht immer um die Musik?
Nein,  Dylan ist ein Universalinteressierter. Das habe ich auch damals beim Treffen mit Wim Wenders erlebt. Dylan wollte alles wissen über deutsche Geschichte, über Preußen und so weiter.

Gerade das Spätwerk Dylans ist oft tieftraurig. Lieder wie It’s Not Dark Yet gehen ans Eingemachte. Kann man sich ihn als glücklichen Menschen vorstellen?
Wenn man in diesen Zeiten anfängt, darüber nachzudenken was weltpolitisch passiert, dann kann man nur melancholisch werden. Gerade wenn man so sensibel ist wie Dylan. Er ist ja auch nicht als unser Mutmacher angestellt. Er ist ein Poet. Er stellt die Dinge fest, so wie sie sind ohne darüber zu urteilen. Meine Lieblingszeilen seines Alterswerks stammen aus dem Lied Scarlet TownIf love is a sin, then beauty is a crime/ All things are beautiful in their time/ The black and the white, the yellow and the brown/ It’s all right there in front of you in Scarlet Town (Übersetzung: Wenn Liebe eine Sünde ist, dann ist Schönheit ein Verbrechen/ Alles ist schön, zur rechten Zeit/ Schwarz, Weiß, Gelb und Braun/ Alles zu haben, in Scarlet Town)

Und welches ist Ihr absolutes Lieblingslied?
Desolation Row. Das ist der Song der Songs, den ich mich immer wieder hervorziehe, wenn ich nicht weiter weiß. Ich hätte meine Lieder Bahnhofskino und Kristallnacht nicht geschrieben, wenn es Desolation Row nicht gäbe.

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