Debatte über Gleichberechtigung in der Kunst - Ein Museum empört sich

Ein neuer Eklat spaltet die US-amerikanische Kunstszene. Ein leitender Kurator des San Francisco Museum of Modern Art kündigte, nachdem man ihm rassistische Sprache und Sammlungspolitik vorgeworfen hatte. Was steckt hinter dem abermaligen Streit um die Kunst?

Blick in das San Francisco Museum of Modern Art mit Arbeiten von Joan Mitchell und John Chamberlain / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Skandal begann vor über einem Jahr: Am 16. Mai 2019 war in den Frühjahrauktionen für zeitgenössische Kunst in New York ein großformatiges Gemälde von Mark Rothko aus dem Jahr 1960 aufgetaucht. Schätzwert der abstrakten Arbeit, die kaum mehr als drei Felder in den Farben rot, rosa und weiß zeigte: 35 bis 50 Millionen Dollar. Ein Blue Chip auf dem ohnehin heiß gelaufenen Kunstmarkt.

Eingeliefert hatte die Arbeit mit dem eingängigen Namen „Untitled“ kein Privatsammler; hinter der Offerte mit der Losnummer 12 verbarg sich ein öffentliches Museum: das San Francisco Museum of Modern Art, eines der bedeutendsten Ausstellungshäuser der Vereinigten Staaten. Dieses hatte den kostbaren Rothko 1962 von Peggy Guggenheim geschenkt bekommen und wollte sich nun bei Sotheby’s der gut gemeinten Gabe entledigen. Der Plan ging auf: Ganze 50,095,250 Dollar spielte das Gemälde am Abend des 16. Mai des letzten Jahres ein. 

Ein vermeintlicher Glücksfall

Für das SFMOMA ein vermeintlicher Glücksfall; denn der Verkauf von Rothkos titellosem Bild, so Neal Benezra, Direktor des SFMOMA, sollte eigentlich dabei behilflich sein, „die Sammlung des SFMOMA breit zu diversifizieren, seine zeitgenössischen Bestände zu erweitern und kunsthistorische Lücken zu schließen, um weiterhin Grenzen zu überwinden und neue Ideen aufzunehmen“.

Und Gary Garrels, bis vor zwei Wochen noch Chef-Kurator am SFMOMA in der Abteilung für Skulptur und Malerei, meinte, dass das Rothko-Bild zwar ein „sehr gutes Gemälde“, aber dennoch eben nicht vom ersten Rang sei. Kurz: das Alte musste raus, um mit den Erlösen Lücken bei der Gegenwartskunst zu schließen, vor allem bei Arbeiten von Frauen und von farbigen Künstlern, die nach Meinung der Museumsverantwortlichen unterrepräsentiert waren. 

Museen bringen ihre Schätze ins Auktionshaus

Unter normalen Bedingungen hätte eine solche Verkaufs- und Sammlungspolitik ganz sicher einen Eklat provoziert. Kein Museum trennt sich derart leichtfertig von seinen Schätzen. Im Nachhinein aber muss man wohl sagen, dass 2019 kein wirklich normales Jahr in der amerikanischen Kulturlandschaft war; schließlich ist das SFMOMA damals nicht mehr das einzige Ausstellungshaus gewesen, das seinen Fundus zum Auktionator gebracht hat. Kurz zuvor bereits hatte auch das Baltimore Museum of Art sieben Werke weißer männlicher Künstler veräußert, um einen Ankaufetat für Kunst von Farbigen und Frauen freizuschaufeln. 

Nun, über ein Jahr nach der Versteigerung bei Sotheby‘s, kocht die Erregung in San Francisco noch einmal hoch; und dies nicht, weil Chef-Kurator Garrels mit dem damaligen Verkauf zu weit gegangen sein könnte; im Gegenteil: Einer der profiliertesten Ausstellungsmacher der USA, der vor seiner neunzehnjährigen Tätigkeit für das SFMOMA lange Zeit am Museum of Modern Art und am Walker Art Center in Minneapolis tätig gewesen ist, war streng genommen nicht radikal genug.

Keine umgekehrte Diskriminierung

Denn als Garrels jüngst bei einer per Video-Chat abgehaltenen Mitarbeiterversammlung sagte, er sei bemüht, die Sammlung breit zu diversifizieren, würde aber auch weiterhin Kunst von Weißen sammeln, zumal es keine „umgekehrten Diskriminierung“ geben dürfe, kam es unter den Mitarbeitern zum Eklat.

Eine Gruppe, die sich selbst xSFMOMA nannte, startete stante pede eine Petition und forderte den Rücktritt von Gary Garrels, eines leitenden Mitarbeiters, der nach Meinung der Unterzeichner eine „rassistische Sprache“ im Munde führe. „Wir bitten nicht um eine Entschuldigung sondern um Taten und Verantwortlichkeit.“ 

Tiefes Misstrauen in der Kulturszene

Der so Geschmähte ließ sich nicht lange bitten. Bereits am nächsten Tag trat Garrels von seinem Posten zurück. In einem Brief an die Mitarbeiter schrieb der Kurator, der in den zurückliegenden Jahren viel beachtete Ausstellungen von farbigen Künstlerinnen und Künstlern wie Glenn Ligon oder Kara Walker auf die Beine gestellt hatte: „Ich kann nicht mehr effektiv beim SFMOMA arbeiten, und deshalb habe ich meinen Rücktritt angeboten.“

Vielleicht offenbart die Geschichte um Garrels zunächst nur abermals die gekränkten Emotionen, das tiefe Misstrauen und die schier unüberbrückbaren Gräben innerhalb der amerikanischen Kulturszene. Unter der Oberfläche aber erzählen die Proteste gegen den namhaften Museumsmann auch viel von der Verzwicktheit einer Debatte, die längst nicht mehr auf einfache Lösungen lauert oder der mit gut gemeinten Ratschlägen beizukommen wäre.

Was ist die Aufgabe der Museen?

Es bleiben Fragen: Ist es etwa legitim, den über Jahre hinweg entwickelten Kanon der Kunstgeschichte – egal, wie immer er auch im Einzelnen zustande gekommen sein mag - mit einem einzigen Hammerschlag beim Auktionator aufzubrechen? Und ist es überhaupt die Aufgabe eines auf lange Zeitphasen hin ausgerichteten Museums, Werke von Urhebern zu erwerben, deren Renommee im Einzelfall durchaus fraglich ist? Und schließlich: wer entscheidet am Ende eigentlich über einen Neuankauf? Der ausgewiesene Experte oder eine emotionalisierte Mitarbeiterversammlung?

Die Causa Garrels mag vordergründig vielleicht eine Geschichte über Schwarz und Weiß sein; in der Tiefe aber geht es um die feinen Nuancen. Gerade die Kunst und das sie umkreisende Universum hat es über Jahrhunderte vermocht, Wunden bluten zu lassen und Differenzen offenzuhalten. Gerade jetzt, wo solche Qualitäten gefragter denn je sind, sollte sie sich nicht von allzu schnellen und allzu offensichtlichen Rechts-Links-Manövern in die Enge treiben lassen.

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