Kontaktloses Bezahlen - Corona darf dem Bargeld nicht die Daseinsberechtigung nehmen

In Corona-Zeiten bietet das Bezahlen mit Karte einen gewissen Infektionsschutz. Schlecht für das Bargeld, das einen Kampf um seine Existenz führt. Zeit für eine Verteidigung von Münzen und Scheinen.

Das Coronavirus macht Bargeld unbeliebt / dpa
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Sebastian Alscher ist ein deutscher Politiker und seit November 2018 der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Deutschlands.

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„Zahlt wenn möglich kontaktlos mit der Karte.“  So oder so ähnlich lesen es die Kunden in den letzten Wochen, wenn sie Geschäfte betreten, um sich für das tägliche Leben zu versorgen. Doch können Bürgerinnen und Bürger gezwungen werden mit ihrer Karte zu zahlen?

Während der Coronakrise ist erneut die Diskussion um die Abschaffung des Bargeldes entbrannt. Plötzlich können Kleinstbeträge mit Karte bezahlt werden, wo es vor der Coronakrise nicht möglich war. Auch der Bäcker um die Ecke verfügt plötzlich über ein Kartenlesegerät und wenn nur ein Brötchen gekauft wird, soll dieses doch mit Karte gezahlt werden.

Die Krise als Auslöser

Die Kassierer wünschen sich das kontaktlose Bezahlen, um nicht mit dem Kunden in zu engen physischen Kontakt zu müssen. Angeblich soll diese Anforderung für Kunden auch nach der Coronakrise weiter fortbestehen, da es ja bestens funktioniert. Erst recht, wenn sich erst mal alle daran gewöhnt haben. Doch kann eine Pandemie der Auslöser für die Abschaffung des Bargeldes sein?

Eine Pandemie ist mit kaum einer anderen Krisensituation vergleichbar. Jede Krise ist anders, mit anderen Schwerpunkten und anderen Auswirkungen. Was wäre, wenn beim nächsten Mal der unbare Zahlungsverkehr gestört ist und plötzlich nur noch bar gezahlt werden kann, weil schlichtweg die IT-Systeme ausgefallen sind? Und würde nicht eine radikale Umstellung auf nur ein Zahlungsmittel das Risiko eines Ungleichgewichts im Wettbewerb der Bezahlverfahren erhöhen? Wer oder was ist dann ein mögliches Backup, bei einem Ausfall? Alles Fragen, die sich nicht ohne Weiteres beantworten lassen.

Bitte, kein Zwang

Was ist also dran, an der Pauschalaussage „Durch Corona wird das Bargeld abgeschafft“? Und damit zurück zur anfänglichen Frage, ob eine Person gezwungen werden kann, anstatt mit Bargeld mit der Karte zu zahlen. Hier lautet die Aussage: Nein, kann er nicht. Es greift nur das Prinzip „Wunsch": Der Händler darf den Kunden bitten, mit der Karte zu zahlen, aber zwingen kann er ihn nicht. Hier gilt der so genannte Annahmezwang für das gesetzliche Zahlungsmittel.

Dieser leitet sich aus den Artikeln 10 und 11 der Verordnung der Euro-Einführung ab. Demnach gilt der Annahmezwang für Euro-Banknoten in unbegrenzter Höhe, bei Münzen müssen maximal 50 Stück angenommen werden. Nun wird bei manchem die Frage aufkommen: Und was ist mit den 200 EUR- und 500 EUR-Banknoten? Die werden doch von den meisten Händlern nicht angenommen. Das ist richtig.

Damit dies jedoch erlaubt ist, müssen bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein, da auch diese EUR-Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. Ein Händler darf dann die Annahme verweigern, wenn der zu zahlende Kaufpreis den Wert der Note weit untersteigt (z. B. der Kunde möchte den Kaufpreis in Höhe von 10 EUR mit einer 200 EUR-Banknote begleichen).

Das Bargeld ist besser als sein Ruf

Damit diese Bedingung greift, muss der Kunde aber vor dem Zustandekommen des Kaufvertrages die Möglichkeit gehabt haben, diese Information über die Nicht-Annahme zu erhalten. Ein weiteres Beispiel: Bei Tankstellen muss dieser Hinweis bereits an der Tankzapfsäule angebracht sein, so dass der Kunde, noch bevor er den Zapfhahn in die Hand nimmt, die Chance hat, doch nicht bei dieser Tankstelle zu tanken.

Wegen dieser Voraussetzung also ist es unwahrscheinlich, dass in der Krise das Bargeld abgeschafft wird, weil es den gesetzlichen Annahmezwang hierfür gibt. Daher würde eine etwaige Abschaffung schon einen sehr hohen Aufwand bedeuten. Wenn man sich auf die Bedenken und Angst vor möglichem physischen Kontakt einlässt, muss man aber gleichermaßen auch auf die Vorteile von Bargeld eingehen, und beides gegeneinander abwägen. Und so zeigt sich, dass Bargeld deutlich besser ist, als sein Ruf:

Gesetzliches Zahlungsmittel

Bargeld ist das Monopol, das uneingeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel, das eine moderne Marktwirtschaft am Leben hält. Es ist alternativlos. Würde man versuchen, sich für ein "unbares" gesetzliches Zahlungsmittel zu entscheiden, dann muss man aus einem bestehenden Oligopol einen elektronischen Zahlungsmittelanbieter auswählen. Diese einseitige Bevorzugung jedoch lässt bei den anderen die Akzeptanz schwinden. Ein gesetzliches Zahlungsmittel bedarf aber der Akzeptanz aller.

Leichte Ausgabenkontrolle

So viel Geld, wie im Portemonnaie ist, so groß ist die Ausgabenkapazität. Ist der Geldbeutel leer, muss Nachschub besorgt werden. Das ist eine recht leichte Kontrolle über Ausgaben. Bei unbaren Zahlungsmittel bedeutet maximal das Erreichen des Tageslimits der Karte einen „Ausgaben-Stop". Die Hemmschwelle zum unkontrollierten Ausgeben ist dadurch viel niedriger, weil man deutlich weniger mit dem zu zahlenden Betrag beschäftigt ist, als mit der PIN-Eingabe oder seiner Unterschrift.

Wichtiger Faktor bei der Inklusion

Wenn Bargeld Eines kann, dann jedem behilflich sein. Es gibt keine Hürden, es ist auch für die Menschen möglich am Geschehen teilzunehmen, die beispielsweise über kein eigenes Konto verfügen. Kinder können sich selbst etwas kaufen (Taschengeldparagraph) ohne, dass sie hierfür ein Konto und eine Karte benötigen. Großeltern können ihren Enkelkindern ein bisschen Geld geben. Bedürftigen kann mit Kleingeld geholfen werden. Insbesondere letzteres hat eine unermesslich wichtige Funktion für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn so zeigen wir, dass wir die Bedürftigen nicht übersehen, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind. Ohne die Existenz von Bargeld wäre das nicht möglich.

Gelebte Freiheit

Das mit stärkste Pro-Argument für Bargeld ist der Schutz der Privatsphäre des Zahlenden. Bargeld verursacht keine Datenspuren. Bargeld bietet gerade in der heutigen Zeit, in der der „Überwachungsstaat" und der "gläserne Bürger" eine immer größere Rolle spielen, Anonymität. Ein Gut, das immer bedeutender wird, weil wir immer mehr von uns preisgeben und das mit einem Stück unserer Freiheit bezahlen.

Mit Bargeld wird sichergestellt, das ein Mensch sich nicht in jedem Schritt seines wirtschaftlichen Handelns beobachtet fühlen muss. Auch die Unabhängigkeit von Drittanbietern ist an dieser Stelle nicht zu vernachlässigen. Käufer und Verkäufer können einen Vertrag abschließen, ohne, dass ein Zahlungsinstitut mit eingebunden sein muss. Bargeld kann auch unabhängig von der technischen Verfügbarkeit unbarer Zahlungsmittel für sich allein existieren. Denn womit soll bezahlt werden, wenn z.B. aufgrund einer Naturkatastrophe keine technische Infrastruktur mehr zur Verfügung steht?

Ein Freischein?

Die Deutsche Bundesbank, unsere Notenbank und somit verlängerter Arm der europäischen Zentralbank, veröffentlichte im Zuge ihres Bargeldsymposiums 2019 die These, dass „Bargeld und digitale Bezahlverfahren" nebeneinander bestehen werden, da jedes seine Vor- und Nachteile habe. Vielleicht sollte dies unser Kompromiss sein, um auf der einen Seite digital und zukunftsorientiert aufgestellt zu sein und uns auf der anderen Seite einen wichtigen Teil unserer Freiheit bewahren.

Wenn nun aus hygienischen Gründen in Zeiten der Coronakrise überwiegend auf das Bezahlen mit Bargeld verzichtet wird, mag dies in den Augen vieler ein Freischein für die Abschaffung des Bargeldes sein. Aber es sollte sich wirklich jeder darüber bewusst sein, welchen Preis er dafür zahlen würde und welche Freiheiten leichtfertig aufgegeben werden würden. Insbesondere die letzten Wochen sollten allen gezeigt haben, was es bedeutet, wenn sie in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt werden.

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