Kirchen gegen AfD - Die Einfalt der Vielfaltsapostel

Kisslers Konter: Auch die Kirchen demonstrieren gegen den Parteitag der AfD. Protest ist legitim, doch die Aktion unter dem Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“ ist anmaßend und in sich widersprüchlich

Die Aktion der Kirchen: Zeichen der Haltung oder Einschränkung von Meinungsvielfalt? / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Manchmal scheitert gute Gesinnung an der Algebra. Daran, dass fünf doch größer als vier ist, zweimal drei sechs ergibt und sechs wiederum kleiner wird, wenn man zwei abzieht. Wer es anders sieht, der muss sich auf persönliche Eingebungen, postmoderne Theorien oder gleich den lieben Gott berufen. Insofern ist es vielleicht folgerichtig, wenn sich deutsche Christen mit Leidenschaft und Kirchensteuer an einer neuen mathematischen Theologie versuchen. Sie erklären uns: Eine Summe wird größer, wenn man das Richtige abzieht. Den Einzug eines wundertätigen Moralkoeffizienten in die allgemeine Mengenlehre erleben wir derzeit im Vorfeld des AfD-Parteitags. Dieser ist für kommendes Wochenende in Köln annonciert.

Ausgrenzen gegen Ausgrenzung

Die Kölner, zumal die katholischen, feiern gerne, sind gerne in ihrer geliebten Heimatstadt unterwegs, und am liebsten tun sie beides gruppenweise. Nichts lag näher, als die reichlich vorhandene Opposition wider die zerstrittene Zehn-Prozent-Partei ökumenisch zu taufen und in Kirchennamen zum Protest unter freiem Himmel aufzurufen. Getreu einem Motto, das Bildungskatastrophe und Bierzelthumor vereint – „Unser Kreuz hat keine Haken“ –, fordern die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, das Katholische Stadtdekanat Köln und der Katholikenausschuss in Köln ein Zeichen. Selbiges soll gesetzt werden, und zwar „für Vielfalt“. Ein Mehr soll es geben durch ein Weniger. Die Summe der Meinungen soll wachsen durch Subtraktion der AfD. Plural soll Köln bleiben, indem man den Singular verhängt.

Die Vorsitzende des Katholikenausschusses in Köln erläutert ambitionierte Ziele, gegen die die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel wäre. Ausgrenzen will man, um „gegen Ausgrenzung“ ein Zeichen zu setzen. Menschen will man ablehnen, um für „alle Menschen“ ein Zeichen zu setzen. Gegeneinander will man aufmarschieren, um „für Solidarität und Miteinander“ ein Zeichen zu setzen. Weil es „egal“ ist, „wo Menschen herkommen“, will man Menschen, die etwa aus Köln-Porz zum Parteitag herkommen, die rote Karte zeigen. Farbe und Vielfalt will man reduzieren, um „bunt, vielfältig“ zu bleiben. Kurz: Intolerant will man werden, um für Toleranz ein „zahlenmäßig breites Zeichen“ zu setzen.

Widerstand als Christenpflicht

Hart stoßen sich hier nicht erst die Dinge, sondern schon die Begriffe. Rhetorischer Universalismus trifft auf praktizierten Partikularismus und reitet jenen zuschanden. Allheit ist alles außer der AfD; Pluralität meint möglichst viele, aber nie die AfD; differenziert muss werden, aber nicht in Ansehung der Zehn-Prozent-Partei. Über so viel Wertungswiderspruch war offenbar auch der Interviewer der Vorsitzenden des Katholikenausschusses in Köln, Hannelore Bartscherer, erstaunt. Zumindest steht in der Hinführung zum Gespräch zu lesen, der Ausschuss sehe „die Versammlung zwiespältig“ was impliziert, es gäbe Gutes wie Schlechtes und vieles dazwischen. Doch statt des Zwiespalts triumphiert Einfalt: Verdammenswert ist alles und Aufbegehren Pflicht. Jeder Spalt des Zweifels soll sich schließen.

Aber ja: Die taumelnde Neupartei gibt kein anziehendes Bild ab. Jeder ihrer Positionen darf widersprochen werden, laut und leise, im Stillen und auf dem Marktplatz, klug oder plump, zu zweit oder zu Hunderten, in Köln und anderswo, von wem auch immer. Das ist Demokratie. Dem Widerspruch aber wohnt kein liturgisches Mandat inne. Die Aufmarschierer wollen eine legitime politische Ansicht zur alternativlosen Christenpflicht aufhübschen. Sie ereifern sich risikolos, feiern das Individuum im Schutz der Masse und die Menschheit unter dem Banner einer Klubmoral. Und sie wollen, kündigt die Ausschussvorsitzende an, den Politprotest hineintragen in die Gottesdienste, „mit einer Fürbitte oder dergleichen“ ein Zeichen der „Haltung“ setzen. Praktischerweise hält die Bibel Formulierungshilfe für solche Zwecke bereit. Man denke an das Gebet des Pharisäers: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute“, all diese „Ungerechten“.

Historie wird überschätzt

Nebst Anmaßung und Inkonsistenz dokumentiert die ökumenische Aktion historische Ignoranz: Wenn die Alternative für Deutschland, wie es das Motto nahelegt, mit Hakenkreuzen zusammengedacht werden soll, sie also nationalsozialistisches Wiedergängertum betreibe, dann muss es sich beim Dritten Reich um eine recht kommode Diktatur gehandelt haben. Immerhin konnte der Neupartei trotz manch unappetitlicher Ausfälle bisher nicht nachgewiesen werden, dass sie die Demokratie zugunsten einer rassistisch motivierten, angriffskriegslüsternen Mordbrennerei abschaffen will. Doch Historie wird überschätzt, und was scheren die Opfer von damals, wenn deutsche Christen heute „persönliche Haltung“ zeigen und ein „deutliches Zeichen“ setzen wollen.

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