Katholische Kirche - Der Priestermangel ist gewollt

Kisslers Konter: Die Zahl der Neupriester sinkt beständig. Dahinter steckt Methode. Priester stehen einem von vielen Bistumsleitungen gewünschten neuen Kirchentyp im Weg

Martin Luther wurde 1507 zum Priester geweiht. Heute gehen der katholischen Kirche in Deutschland die Priester aus. / Radierung, 1847, von Gustav Köni, picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Man hat sich daran gewöhnt, es taugt nur zur Randnotiz: Der katholischen Kirche in Deutschland gehen die Priester aus. Das zurückliegende Jahr markiert einen historischen Tiefstand. Lediglich 58 Männer haben sich anno 2015 zu Priestern weihen lassen. Weniger waren es nie. Zwei Jahre zuvor verzeichnet die Statistik noch knapp 100 Neupriester. In den Bistümern werden Krokodilstränen vergossen. Von veränderten Bedingungen wird geredet, von Krisen der öffentlichen Wahrnehmung, Konjunkturen des Religiösen, dem Verlust der Verbindlichkeit. Manche greifen sich zerknirscht an die eigene Brust und kramten angejahrte Skandale hervor. Tatsächlich ist der Priestermangel gewollt. Priester stehen der neuen Kirche der Partizipation im Weg.

„Pfarreien neuen Typs“

Es gab keine Abstimmung, keinen Ukas aus Rom, dass die katholische Kirche in Deutschland sich auf diesen und keinen anderen Weg zu begeben habe. Die Deutschen machens einfach, und als gute Deutsche machen sies gründlich. Nehmen wir das Bistum Limburg. Dort arbeitet die Bistumsleitung energisch an „Pfarreien neuen Typs“, salopp abgekürzt als „PNT“. Immerhin 30 „PNTs“ gibt es bereits zwischen Frankfurt, Taunus und Westerwald. In einschlägigen Dokumenten kommt der Priester gar nicht oder nur als Sonderling vor, ein verstocktes Relikt am Wegesrand. Aneinander partizipieren sollen die Haupt- und Ehrenamtlichen unter Anleitung von Gemeindeberatern und Prozessbegleitern. Das spirituelle Controlling regiert.

Eine von der Limburger „Programmleitung Pfarreiwerdung“ herausgegebene Zeitschrift, „Die Pfarreien neuen Typs – Aktuell – Sommer 2016“, druckt, was in deutscher Sprache leider ausgedrückt werden kann: Man wolle „einen Neubeginn wagen“, „den Blick über die Gottesdienstgemeinde hinaus wagen“, als bedürfte es eines besonderen Wagemuts, um im Sound der je herrschenden Zeit dieser zu dienen. Man setze auf „Geschlechtergerechtigkeit“ und auf „Partizipation“. Die „Pastoralwerkstatt“ habe bereits „ein wichtiges“ Ziel erreicht, nämlich „Partizipation“. Nicht überall, versteht sich, da bedürfe es noch der einen und anderen „Beratungsschleife“, schließlich war „der PNT-Prozess bistumsweit top-down initiiert“. Kirche werde nun Schritt für Schritt „anschlussfähiger an die heutige Lebenswirklichkeit von Menschen“.

Rekatholisierung Luthers, Lutherisierung der Kirche?

Der störrische Priester verlangsamt den Anschluss ans Wunderreich der Partizipation. Ein Teilnehmer der „Pastoralwerkstatt“ wird prominent mit der drohenden Warnung zitiert, die Bistumsleitung möge „eindringlicher und konsequenter Priester in die Pflicht nehmen, Veränderungen nicht im Weg zu stehen“. Priester dürften „nicht eine ganze Pfarrei blockieren“. So zeigt man den geweihten leitenden Angestellten das Folterwerkzeug der Disziplinarmaßnahme. Pfaffen, die nicht spuren, mögen sich warm anziehen. Wenn es auf der nächsten Seite heißt, „die Pfarrei selbst müsse in Suchbewegungen eintreten“, ist klar: Sie kann sich auch neue Chefs, neue Formen der Leitung suchen. Jedem Priester kann ein Austragshäusl zugewiesen werden. Was scheren stolze „Aufdenpunktbringer und Multiperspektivenanwälte“, „Ermöglicher, Ermutigerinnen, Rahmenhalter, Systemüberblicker“ da Kirchenrecht und Katechismus? Das Wort „Priester“ kommt in der Limburger Selbstdarstellung „Kirche der Zukunft“ nicht vor. Und im Abschlussdokument der „Pastoralwerkstatt“ vornehmlich als „gemeinsames Priestertum“ und „allgemeines Priestertum“. Letzteres übrigens eine scharf reformatorische Formulierung. Soll Luther rekatholisiert, soll die Kirche lutherisiert werden?

Limburg ist symptomatisch für den philippinischen Weg, den auch andere Bistümer ihrer bestallten Herde verordnet haben. Die schrumpfende Kirche in Deutschland soll zur basiskirchlichen Partizipationsgemeinschaft der Engagierten werden. Als Vorbild dient das Wirken des Pastoralinstituts Bukal ng Tipan, wohin mittlerweile fast jedes Bistum seine Emissäre verschickt. Die kirchensteuerteuren Bildungsreisen prunken mit Internationalität, einer Prise Exotismus und niedrigschwelliger Daseinsfrömmigkeit. Entstehen soll keine dezidiert priesterlose, aber priesterreduzierte humanitäre Aktionsgemeinschaft: „journeying with people towards a participatory church" („mit den Menschen einer partizipativen Kirche entgegen reisen“).

Damit hat die katholische Kirche sich ein Problem geschaffen, das an ihre Wurzel rührt. Sie ist bekanntlich um die Eucharistie zentriert, deren Kern die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi darstellt, welche nur der Priester in Gang setzen kann. So sagt es die Dogmatik. In dieser Funktion ist der Priester nicht ersetzbar. Wo er fehlt, gibt es, theologisch gesehen, nie mehr, sondern immer weniger Kirche. Die neue Kirche der Partizipation beruht aber auf der Fiktion, jeder und jede könne alles, allen sei alles zuzutrauen, hinzudelegieren, ersetzbar wäre der Mensch. So plärrt es eine windschnittige Gegenwart in marktkonforme Ohren. Derzeit sind viele Bistumsleitungen eher bereit, den quantitativen Niedergang mit Managementrhetorik aufzuhübschen, als an ihrem größten, letztlich ökumenischen Superdogma Abstriche zu machen: Die Kirchen wollen um keinen Preis der Welt anecken. Vom Zeichen, dem widersprochen wird, haben sie sich in Sozialagenturen verwandelt, denen man unbedingt zustimmen können muss. So schrumpfen sie schnell dahin, milde Weisen auf den Lippen.

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