Julia Klöckner liest... - Das politische Buch

Am Beispiel des Hechtes zeigt Andreas Möller in seinem neuen Buch „Hechte. Ein Porträt“, wie die moderne Gesellschaft sich immer weiter von der Natur entfernt. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner hat das Buch für uns gelesen.

Was für ein Hecht! Wladimir Putin posiert mit einem geangelten Hecht / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Julia Klöckner ist wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von 2018 bis 2021 war sie Bundeslandwirtschaftsministerin und zuständig auch für die Fischereipolitik.

So erreichen Sie Julia Klöckner:

Anzeige

Andreas Möller hat ein neues Buch geschrieben, über ein Raubtier. Den Hecht. Dem Autor gelingt dabei ein Kunststück: uns Leser einzunehmen für einen Fisch, an den im Alltag wenig Empathie verschwendet wird. Ein Tier, das im Sprachgebrauch für manchen Männlichkeitsvergleich herhalten muss: Nicht zufällig ließ sich Putin oberkörperfrei mit einem geangelten Hecht abbilden – um toller zu scheinen. 

Dabei sind die wirklich „tollen“ Hechte nicht die Männchen, sondern die kräftigeren Weibchen. Dass gerade ein russisches Schiff auf den Namen dieses Raubfisches getauft wurde, nun ja. Der Hecht ist auch Sinnbild eines lebendigen und volkstümlichen Humors: Wenn es wie Hechtsuppe zieht, schließt man besser Fenster und Türen. Und mit seinem legendären Hechtsprung wurde Boris Becker 1985 in Wimbledon zur Tennis-Ikone. 

Politische Hechte

Über tolle, über unter- und überschätzte Hechte und ihre Umgebung schreibt Möller. Es ist sein viertes Buch zum Verhältnis von Mensch und Natur. Unideologisch mutet er dem Leser einen unverstellten Blick auf die Realitäten des Landlebens, der Landwirtschaft und Fischerei zu. Und dabei sagen seine Umweltbeobachtungen am meisten über uns selbst aus und warum die romantische Stadtbrille immer öfter unsere Sicht trübt: Immer mehr wissen immer weniger über die Nahrungsmittelerzeugung und die Gesetze der Natur. Am Beispiel des Hechtes. Diesen exemplarischen Dreh muss man erst einmal hinbekommen.

Das gelingt dem Autor mit viel Fachwissen und eigener Angelerfahrung. Sein erster Hechtfang liegt 30 Jahre zurück. Die Erinnerungen an diesen Fang hoben sein Essen auf eine andere Ebene. 

„Hechte“ ist ein packendes und poetisches Porträt. Allein schon diese Passage: „Der Hecht ist geografisch wie kulturell mit anderen Worten kein Fisch des Dolce Vita und Savoir-vivre. Er erinnert in seiner ganzen Gestalt eher an Kreuzritterzüge und die frühmittelalterliche Christianisierung im Lande der Obotriten. An Nebelschwaden, Rabenvögel und die letzten Rauchsäulen vom Lagerfeuer Fürst Borwins im Morgengrauen an der Warnow.“ Gespickt ist das Buch mit kulturgeschichtlichen Beobachtungen zum Angeln, zur Alltagsfotografie oder zum Präparieren von Hechtköpfen. Es ist aber auch ein Plädoyer für das anschauliche Erleben der Natur und das ehrfürchtige Gefühl von Naturschönheit. Es geht zudem um Ökonomie und Gesellschaft, den Zustand der Berufsfischerei. 

Der Verlust des Naturwissens

Warum es eigentlich keine Hechte mehr in städtischen Restaurants gibt, fragt der Autor, obwohl viele alte Lokale noch so heißen, obwohl alle von Bio und Regionalität reden. Noch stärker als die heimischen Bauern gehen die Berufsfischer trotz des Bio-Hypes in die Knie. 2000 Binnenfischereien gibt es noch bei uns, Tendenz sinkend. Unter Corona hat Hobby-Angeln stark zugenommen. Für viele Betriebe ein Rettungsanker. Dank Bootsvermietung, Verkauf von Ausrüstung und Angeboten für den hungrigen Magen. Muss man nicht wissen, schaden tut’s aber auch nicht: Männer machen 93 Prozent der Anglerschaft aus. Frauen lachen aber häufiger, wenn sie einen Fisch in die Kamera halten.

Das eigentliche Herzensthema des Buches aber ist der Verlust an Naturwissen, das bei Fischen besonders deutlich wird. Eine junge Generation, die selbstbewusst für Klimaschutz demonstriert, kann eine Karausche nicht von einem Karpfen unterscheiden. Wer sich auf den Hecht einlässt, kann einen großen Individualisten entdecken, der erstaunlich robust auf Umweltveränderungen reagiert und sich weitgehend selbst regeneriert.

Andreas Möller: Hechte. Matthes & Seitz, Berlin 2022. 159 Seiten, 20 €

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige