Islam-Debatte - Die Türkei als Brückenbauer für den Islamismus

In 16 Ländern verteidigt die Bundeswehr unsere Freiheit. Doch längst hat sich die Verteidigungslinie zum Bosporus verlagert. Die Türkei ist nicht mehr das Bollwerk gegen den Islamismus. Europa muss dafür eine neue Strategie entwickeln

Recep Tayyip Erdogan nutzt unsere Weltoffenheit, um seine Interessen voran zu treiben / picture alliance
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Autoreninfo

Heinz Theisen ist Professor für Politikwissenschaften. Seit 2005 ist er Gastprofessor an der Universität Bethlehem. 2017 erschien sein Buch „Der Westen und die neue Weltordnung“ bei Kohlhammer.

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Unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt – Auf diesem Irrglauben beruht die erneute Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dabei waren es gerade die gescheiterten militärischen Interventionen, die Terror und Massenmigration nach Europa lockten. Unter Berufung auf die universalistischen Werte der Demokratie mischt sich die Europäische Union in die Angelegenheiten anderer Kulturkreise ein, in denen Religion und Politik miteinander verstrickt sind. 

Der desaströse Zustand der Bundeswehr steht in einem tragikomischen Missverhältnis zur Vielzahl ihrer Auslandseinsätze. Bei all den globalen Verpflichtungen sind die Europäer zur Selbstverteidigung des eigenen Bündnisterritoriums heute kaum mehr in der Lage. Unsere Freiheit und Sicherheit werden heute nicht am Hindukusch, sondern bereits am Bosporus in Frage gestellt. Da die Türkei weiterhin Nato-Mitglied und EU-Beitrittskandidat ist, stellen diese Verstrickungen zunehmend den Sinn und auch die Strukturen des Westens in Frage.  

Mit Konsequenz gegen die Feinde der Freiheit

Deutschland ist durch seine Säkularität, der daraus hervorgehenden Ausdifferenzierung seiner Funktionssysteme wie Wissenschaft und Wirtschaft, und seine rechtsstaatliche Demokratie gekennzeichnet. Ein säkular praktizierter Islam, der sich zur rechtsstaatlichen Demokratie zugehörig fühlt, kann demnach genauso zu Deutschland gehören wie Buddhismus und Hinduismus. Ein Islam, der sich an die Gottesgesetze der Scharia hält, will jedoch nicht dazu gehören. 

Im Islamismus – überdeutlich in der einstmals kemalistischen und zunehmend islamistischen Türkei – geraten Säkularität und Demokratie zum Widerspruch. Säkularität kann gegen das vorherrschende Islamverständnis nur von autoritären Regimen erzwungen werden. Demokratisch motivierte Interventionen enden daher in absurden Verstrickungen zwischen den Fronten. Europa muss endlich mit Konsequenz den Feinden der Freiheit entgegentreten.  

Kein Bollwerk gegen den Islamismus

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt unsere Weltoffenheit, um Partikularinteressen voran zu treiben. Er nimmt deutsche Bürger als Geiseln und schießt in Syrien auf kurdische Verbündete des Westens gegen den IS, ohne dass für ihn daraus Nachteile resultieren. Die Türkei ist für uns kein Bollwerk gegen den Islamismus, sondern baut eine Brücke für den Islamismus nach Europa. Europa sollte sich vom Nahen Osten abgrenzen und auf Interventionen verzichten. Das sollte zum Verzicht auf Waffenlieferungen und Bündnisse mit kriegführenden Mächten wie Saudi-Arabien oder der Türkei überleiten. 

In einer multipolaren Weltordnung muss der Westen, gemeinsam mit anderen, auch autoritären, Großmächten dem neuen Totalitarismus entgegentreten und für ein Minimum an globaler Stabilität sorgen. Dies wären zwar keine Wertegemeinschaften, aber durchaus vergleichbar mit dem Bündnis liberaler und autoritärer Mächte gegen den sowjetischen Totalitarismus im Kalten Krieg. Säkulare islamische Staaten wie Jordanien und Ägypten sind demnach Partner im Kampf gegen den islamistischen Totalitarismus.  

Gegenüber zwielichtigen, teils islamistischen, teils mit dem Westen paktierenden Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien sind hingegen Distanz und Abgrenzung geboten. Eine Koexistenz und gegebenenfalls Eindämmung des Inkompatiblen träte an die Stelle illusionärer Hoffnungen auf Interkulturalität.

Strategie der Selbstbehauptung

Je eher die politische Abgrenzung gelingt, desto besser kann sich die internationale Kooperation auf zivile Förderung und Vernetzung bei Wissenschaft, Technik und Ökonomie konzentrieren. Auf die Dialektik der Globalisierung müssen wir mit einer besseren Ergänzung internationaler und nationaler Akteure reagieren. In dieser Glokalisierung, der Abgleichung globaler und partikularer Interessen, muss sich der Westen statt als universaler wieder als umgrenzter und in diesem Sinne auch seine partikularen Interessen definierender Akteur verstehen.

Mit einer Strategie der Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung wäre ein Paradigmenwandel der Europäischen Union gefordert. Nach innen müsste die EU die Vielfalt und Souveränität der Nationalstaaten stärker respektieren. Umso mehr könnte sie sich auf eine gemeinsame Selbstbehauptung nach außen konzentrieren. 
 

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