Islam in Indonesien - „Die Angst vor einer Islamisierung ist absurd“

Wie erlebt man als christliche Minderheit in Indonesien, dem größten muslimischen Land der Welt, die deutschen Ängste vor dem Islam? Ein Gespräch mit dem Philosoph und Jesuitenpater Franz Magnis-Suseno

Muslime in Jakarta am Tag des Zuckerfestes / picture alliance
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Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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In Deutschland und Europa erklären Islamkritiker, der Islam sei – das stecke schon im Namen – eine Religion der Unterwerfung. Muslime seien friedfertig, solange sie in der Minderheit sind. Als Mehrheit gebiete ihnen aber der Koran die Unterjochung der Andersgläubigen. Sie sind seit 55 Jahren als katholischer Priester in Indonesien, mit über 200 Millionen Muslimen das größte islamische Land der Welt. Wie erleben Sie das?
Man muss geschichtlich erst einmal festhalten, dass der Islam die Toleranz erfunden hat, und nicht das Christentum, dem diese Idee bis zur Aufklärung fremd war. Im Mittleren Osten haben, bis zu den Katastrophen der vergangenen Jahre, christliche Gemeinden 1400 Jahre in Frieden unter muslimischer Herrschaft gelebt. Sie waren nicht gleichberechtigt nach den Standards der modernen Menschenrechte, aber doch als steuerzahlende Bürger, die hohe Positionen erreichen konnten. Natürlich gab es auch den gewaltbereiten Islam, aber die Mehrheit der Muslime war immer fähig, ganz normal mit anderen Religionen zu koexistieren. Bei uns in Indonesien funktioniert das bis heute. Dort waren es übrigens orthodoxe Muslime, die nach dem Sturz Suhartos 1998 Demokratie und Menschenrechte in der Verfassung durchgesetzt haben.

Die Jesuiten, Ihr Orden, kamen als Missionare nach Indonesien. Ist man dort je gegen die Christianisierung des Morgenlandes auf die Straße gegangen?
In der dominierenden javanischen Religiosität gilt Religion als Sache des inneren Fühlens. Dass es javanische christliche Gemeinden gibt, wird von den muslimischen Javanern akzeptiert. Unsere Gemeinden sind in ihrer muslimischen Umwelt voll integriert. Aber es gibt auch islamische Hardliner-Gruppen, die Angst vor einer Christianisierung schüren. Dazu geben wohl auch missionarische Aktivitäten evangelikaler Gruppen Anlass. Diese Befürchtungen sind der Hintergrund für die anhaltenden Schwierigkeiten, Erlaubnisse für den Bau von Kirchen zu erhalten.

Die Christen leben also als Minderheit repressionsfrei unter der muslimischen Mehrheit.
95 Prozent der Christen in Indonesien leben, arbeiten und halten Gottesdienst ohne jegliche Repressionen inmitten ihrer islamischen Umwelt. Das setzt allerdings voraus, dass wir nicht unnötig provozieren, zum Beispiel mit protzigen Kirchen, oder, wie kürzlich geschehen, mit einer Marienstatue mitten in einer muslimischen Umwelt, die mit 44 Metern Höhe Weltrekord sein soll. Will man dort beten, verrenkt man sich den Hals. Zugleich bestätigt das Vorurteile, dass Christen mehr Geld und Macht haben, obwohl das längst nicht mehr der Fall ist. Eine Minderheit sollte lernen, stets auf die Gefühle der Mehrheit Rücksicht zu nehmen. Im Allgemeinen tun wir das auch und daher sind unsere Beziehungen zu Muslimen erstaunlich gut. Auch Papst Franziskus hat einen guten Namen bei unseren Muslimen. Und Papst Benedikt gelang es nach seiner auch hier zu Reaktionen führenden Regensburger Rede durch seine andächtige Haltung in der blauen Moschee in Istanbul, die Sympathie vieler Muslime zurückzugewinnen.

In den letzten Jahren hat sich Indonesien noch einmal islamisiert. Das eigentlich dort seltene Kopftuch verbreitet sich überall. Ein neues Halal-Gesetz ist geplant, das den Lebensmittelverzehr von Muslimen regeln soll. Auch über ein Alkoholverbot wird diskutiert.
Das Halal-Gesetz bezieht sich nur auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Das Alkoholverbot wird nicht islamisch, sondern gesundheitlich begründet. Das dürfte allerdings zu mehr selbstgebrautem Fusel führen. Dabei sterben jetzt schon ständig Menschen an gepanschtem Alkohol. Ich stelle mich für alle Fälle darauf ein, hier bald kein Bier mehr zu bekommen. Das wird uns nicht umbringen.

Wie erklärt sich die sonstige Islamisierung des Landes?
Zur antikommunistischen Immunisierung initierte Diktator Suharto vor 40 Jahren eine Islamisierung. Dieser Prozess einer fortschreitenden Vertiefung des islamischen Identität der Muslime wird weitergehen. Da der moderate islamische Mainstream die Menschenrechte anerkennt und hinter der Demokratie steht, erwarte ich keine Gefahr für die bestehende Religionsfreiheit. Sollte dagegen das Militär wieder die Macht übernehmen, so könnte es die islamische Karte spielen. Dann kämen andere als die moderaten Kräfte zu Zuge. Eine Entwicklung wie in Pakistan wäre möglich.

Auch von Saudis geförderte, wahabitische, islamistische Gruppierungen gewinnen in Indonesien zunehmend an Einfluss. Wie reagiert die muslimische Mehrheit darauf?
Die beiden islamischen Großorganisationen NU und Muhammadiyah sind besorgt darüber. Die NU hat den Wahabismus sogar zur Irrlehre erklärt. Beide Organisationen haben den bestehenden Pancasilastaat, in dem die anerkannten Religionen wie das Christentum gleichberechtigt sind, für final erklärt. Eine staatliche Verpflichtung der Muslime auf die Scharia halten sie für nicht opportun. Bei Wahlen erhalten islamische Parteien weniger als 30 Prozent aller Stimmen. Besorgnis erregt, dass gerade unter den Studenten der großen säkularen staatlichen Universitäten der Fundamentalismus zunimmt, während an den islamischen Universitäten des Religionsministeriums ein offener Islam gelehrt wird.

Was haben Sie als exponierter Christ für Erfahrungen mit radikalen Islamisten gemacht?
Mir ist noch nie etwas passiert. 2014 lehnte ich einen der beiden Präsidentschaftskandidaten öffentlich ab, weil Hardliner aus seiner Umgebung vom heiligen Krieg gesprochen hatten. Danach wurde ich in sozialen Medien von Muslimen kritisiert. Aber bedroht worden bin ich noch nie. Habib Rizieq, den Chef der eher berüchtigten salafistischen „Islamischen Verteidigungsfront“, kenne ich persönlich. Wir umarmen uns immer, wenn wir uns treffen. Damit will er wohl demonstrieren, dass sie nicht antichristlich sind, sondern nur für Ordnung sorgen wollen.

Wie erlebt man von Indonesien aus die Angst mancher Deutschen vor einer „Islamisierung des Abendlandes“?
Deutschland hat wenig Erfahrung mit Interkulturalität. Anders als Indonesien, wo selbst im Hinterland jeder Erfahrungen mit Landsleuten anderer Sprache und anderer religiöser Orientierung hat. Dass man sich an die Einwanderung von Menschen ganz anderer Kulturen erst einmal gewöhnen muss, dass man noch darüber nachdenkt, was Integrieren überhaupt bedeutet: klar. Aber vom völkisch homogenen Staat werden sich die Deutschen verabschieden müssen. Den wird es in Zukunft nirgends mehr geben. Dass unter Millionen Einwandern auch potenzielle Terroristen sein dürften, ist in der Tat ernstzunehmen. Ansonsten finde ich die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands absurd. Oder die Diskussion um die Kopftücher. Meine beiden Großmütter haben immer Kopftuch getragen. Oder die Aufregung um Minarette. In 55 Jahren Indonesien habe ich in zahlreichen Diskussionen noch kein einziges Mal Minarette als irgendwie relevant von Muslimen auch nur erwähnt gehört. Lautsprecher sind da etwas anderes. Manches, was ich aus Deutschland lese, klingt doch ein wenig spießbürgerlich. Dass allerdings islamischer Religionsunterricht in großem Ausmaß von kurzzeitig importierten Ausländern gegeben wird, so etwas würde man hier nicht dulden.

Wie kommt es, dass der indonesische Islam sich scheinbar so selbstverständlich und problemlos mit der Demokratie und humanistischen, liberalen Werten vereinbaren lässt, während bei uns jemand wie Bassam Tibi einen aufgeklärten, sogenannten „Euro-Islam“ inzwischen für gescheitert erklärt?
Also, Bassam Tibis Argumente finde ich wenig einleuchtend. Zu Indonesien: Die dortige Pluralismusfähigkeit hat weniger mit dem europäischen Liberalismus zu tun als mit der uralten Erfahrung der Indonesier, dass Frieden miteinander in einer pluralen Gesellschaft lebenswichtig ist. Auch der jahrzehntelange Kampf um die indonesische Unabhängigkeit haben Muslime, Christen und Hindus zusammengebracht. Das "Wir sind alle Indonesier" hat bis heute eine integrierende Kraft. Indonesisches Nationalbewusstsein hat eine deradikalisierende Wirkung.

Was braucht ein Land, was brauchen islamische Gemeinschaften, um sich gegen den radikalen Islamismus zu behaupten? Was ist die Voraussetzung für Widerstandskraft?
Zwei Dinge scheinen mir in Deutschland wichtig. Erstens, dass die Muslime wirtschaftlich voll eingegliedert sind. Zweitens, dass man ihre religiösen Symbole, also auch das Kopftuch, und damit ihre Identität respektiert. Und wie indonesische Muslime ihren Islam – mit viel Koran-Arabisch – auf Indonesisch studieren – im staatlichen Religionsunterricht, in den Madrasah, – so sollten deutsche Muslime ihren Islam auf Deutsch lernen und diskutieren. Die allermeisten Muslime wünschen sich nichts anderes als ein normales Leben.

In der AfD erklärt man, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, und sei an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Ist das ein guter Ansatz zur Prävention und Bekämpfung des radikalen Islamismus?
Ganz im Gegenteil. Weil man da etwas tut, was wir Christen in Indonesien früher gemacht haben: Nämlich alle, die auf ihre islamische Identität Wert legen, in einen Topf werfen. Seit den 70er Jahren hat sich unsere Kommunikation mit dem islamischen Mainstream ständig intensiviert. Dieser Islam steht heute in einem Abwehrkampf gegen den mittelöstlichen Extremismus, in dem wir Christen zunehmend als Bundesgenossen empfunden werden. Dabei ist Symbolisches ganz wichtig. Früher waren unsere Kirchen prächtiger als die simplen, selbst finanzierten Moscheen. Das Gefühl der Muslime, den Christen an Bildung und Geld unterlegen zu sein, führte zu Ressentiments. "Der Islam ist", so formulierte es mein Freund, der Theologe Nurcholish Madjid, "die Mehrheit mit dem Minderwertigkeitskomplex". Jetzt gibt es viele superelegante, von Suharto und leider oft auch Saudigeld finanzierte Moscheen. Intellektuell stehen die Muslime jetzt auf Augenhöhe mit den christlichen. Wir führen einen ideologisch entspannten, hoch relevanten Diskurs über die durchaus ernsten Probleme von Staat und Gesellschaft in Indonesien. Zusammen sehen wir Fundamentalismus und gewaltbereiten islamischen Radikalismus als die derzeit größte Herausforderung.

Der Philosoph, Politikberater und Jesuitenpater Franz Magnis-Suseno lebt seit 1961 in Indonesien. Er war langjähriger Rektor der Philosophischen Hochschule "Driyarkara" in Jakarta und erhielt das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz im interreligiösen Dialog in Indonesien.

Die Fragen stellte Constantin Magnis. Der Jesuitenpater ist der Onkel des Fragenstellers.

Hinweis: In einer früheren Version war dieses Interview versehentlich in einer unautorisierten Fassung veröffentlicht worden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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