Buchkritik - Eine islamische Aufklärung gibt es nicht

Die Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre, streift immer wieder auch die Frage, ob diese Religion reformierbar ist. Der britische Autor Christopher de Bellaigue hat dazu ein Buch geschrieben. Das Problem: Er beschreibt eine schöne Fata Morgana

Erschienen in Ausgabe
Ein Mann liest in einer Kairoer Moschee im Koran / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es gibt gute Bücher. Und es gibt schlechte Bücher. Und dann gibt es noch ärgerliche Bücher. „The Islamic Enlightenment“ von Christopher de Bellaigue (als „Die islamische Aufklärung“ ab 21. März im Fischer-Verlag erhältlich) ist ein solches ärgerliches Buch. Es wirkt wie eine Bestätigung dieser These, dass der britische Historiker Peter Frankopan auf der Umschlagseite ein hochtönendes Kompliment loswird; de Bellaigues Werk sei „zeitgemäß, gedankenreich und provokativ“. Auch Franko­pan hat jüngst mit „The Silk ­Roads. A New History of the World“ ein ärgerliches Buch vorgelegt.

Dabei ist das Sujet de Bellaigues hochinteressant. Denn der „moderne Wettstreit zwischen Glauben und Vernunft“, wie das Buch im Untertitel heißt, zielt genau auf jene Stelle, an der der aktuell real existierende Islam einen blinden Fleck aufweist. Die Radikalen haben seit mehreren Jahrzehnten dort das Sagen, alles, was man als westlich-christlich sozialisierter Mensch mit der segensreichen Säkularisierung der Aufklärung verbindet, fehlt in dieser hermetischsten aller Weltreligionen. Sie ist so hermetisch, dass es noch nicht einmal zu einer Revolution von innen, einer Reformation, gereicht hat, geschweige denn zu einer Reformation von außen, einer Aufklärung.

Berührungen mit anderen Kulturkreisen

Journalist de Bellaigue führt uns in die Zeit des späten 18. Jahrhunderts, als der Funke der Aufklärung auf den muslimischen Kulturraum übersprang. Es war Napoleon, der im Zuge seiner Eroberungskriege am 21. Juli 1798 mit 25 000 Mann an der linken Seite des Niles stand und die Mamluken auf der anderen Seite des Stromes vernichtend schlug. Napoleon schleppte gewissermaßen den geistigen Erreger der Aufklärung mit ein, der auch einige Intellektuelle infizierte. Scheich Jabarti erkannte laut de Bellaigue die umwälzende Kraft dieser westlichen Geistesbewegung und blieb zugleich auf kritisch-interessierter Äquidistanz. 

Der Funke zündete fast zeitgleich in Istanbul, nachdem Sultan Mustafa III. 1768 in einen Krieg mit Katharina der Großen eintrat, der ihn 1783 die Krim kostete. Auch dort öffnete sich die Welt des Islam den Einflüssen aus einem anderen Kulturkreis. Schließlich beschreibt Bellaigue, wie auch im Iran 1722 die Hermetik des Islam herausgefordert war. Schlüssig und nachvollziehbar zieht das Buch die Linien bis hin zum Schah von Persien, Kemal Atatürk und den Reformern in Ägypten, wo angesichts seines Jahrhundertbauwerks, des Sueskanals, Ismail I. 1878 sagen sollte: „Mein Land liegt nicht länger in Afrika. Wir sind jetzt Teil Europas.“

Exogener Kontakt, keine endogene Entwicklung

Vergangene Zeiten. In Ägypten hat nach einer unseligen Herrschaft der Muslimbruderschaft das Militär wieder das Sagen. Der Iran ist von den Ajatollahs zurückerobert worden. Die Türkei, die als Nato-Partner den größten Schritt Richtung Westen gegangen ist, fällt unter Erdogan zurück in die Zeit des Krieges zwischen den Osmanen und dem Russland Katharinas der Großen. „Mit dem Scheitern der Demokratie in Ägypten, der Revolution, die im Iran stattfand, und dem Aufstieg eines Islamismus in der Türkei, der autoritär wurde, scheint die Geschichte der islamischen Aufklärung (…) um 1980 herum zu einem Ende gekommen zu sein“, resümiert de Bellaigue. 

Falsch. Sie hat nie stattgefunden. Was er auf 350 Seiten beschreibt, ist der befruchtende Kontakt mit der Aufklärung, dem gütigen Ursprung des säkularen Westens und seiner Werte, die vor allem Napoleon aus dem Mutterland der Geistesbewegung mit in die Region brachte. Aber das gäbe allenfalls den Buchtitel her: „Der Islam und die Aufklärung“. Mit einer säkularen Reformbewegung aus sich selbst heraus hat das nichts zu tun. Es ist ein exogener Kontakt, keine endogene Entwicklung. Es gibt keine islamische Aufklärung. Auch nach diesem Buch mit dem gleichlautenden Titel nicht, das sich leider als ebensolche Mogelpackung erweist wie die Seidenstraßen-Historie von Peter Frankopan, die nur tangential von der Seidenstraße handelt.

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

 

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