Hörbücher im März - Ungerer lauscht

Von der neuen Balzac, einer ausgelaugten Nobelpreisträgerin und plätschernden Wortkaskaden. Klaus Ungerer hat sich die neuesten Hörbücher für Sie angehört.

Hörbücher im März
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Autoreninfo

Klaus Ungerer ist Autor, Schriftsteller und Mitbegründer der Buchreihe edition schelf. Jüngst erschienen seine Novellen „Das Fehlen“ und „Ich verlasse dich nicht mehr“.

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Die neue Balzac

Sie dürfen jetzt mitdiskutieren, liebe Lesende: Ist Virginie Despentes eher der neue (weibliche!) Balzac oder eher die neue Houellebecq? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Gemeinde der Literaturverkäufer in den Feuilletons und Verlagen, und immer ahnt man, was sich dahinter verbirgt. Da ist eine Autorin, die die Sehnsucht nach literarischen Mackerposen gern bedient, nach vorgeblichen „Skandalen“, die niemanden wirklich skandalisieren. Könnte das alles dennoch künstlerisch interessant sein? Nun, nun. Despentesʼ neues Werk trägt den Titel „Liebes Arschloch“ (Huh! „Arschloch“! Die trauen sich was), und hier wirft die wilde Autorin sich freudig ins Resonanzfeld der Metoo-Debatte, welche von drei Personen durchgeführt wird: Täter, Opfer und Jungfeministin kommen ausgiebig per Social Media zu Wort. Über weite Strecken ist das, als läge in den neuen Medien eine Hoffnung auf Frieden: Jede Partei kann einfach so lange monologisieren, bis sich am Ende alle erschöpft in die Arme sinken und derdiedas Lesende, so halbwegs unterhalten, sanft eingedämmert ist.

Virginie Despentes: Liebes Arschloch, gelesen von Johann von Bülow, Lisa Hrdina, Anke Reitzenstein, ca. 9 Stunden, Der Audio Verlag, ca. 24 €

Abglanz einer Erzählung

Annie Ernaux hat es auch nicht leicht. Über Jahrzehnte schreibt sie so vor sich hin, zack, verleihen sie ihr plötzlich den Nobelpreis. Endlich bekommen die lesenswertesten ihrer Sachen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Dann aber fängt auch schon wieder der Abstieg an, und der Abstieg sieht vermutlich so aus, dass eines Tages bei ihr das Telefon klingelt – der Verlag. „Annie, hast du nicht noch irgendwas in der Schublade? Die Welt lechzt nach dir!“ „Mon dieu“, sagt Ernaux, „ich habe nix mehr, alles, was ich habe, ist so eine Art Skizze für einen Roman: Frau beginnt Affäre mit einem Jahrzehnte jüngeren Mann, am Ort ihrer Vergangenheit, und sie beobachtet sich selbst dabei, wie das Leben ein Abglanz früheren Lebens ist. Jo. Irgendwie, glaube ich, beendet sie die Affäre dann, während sie sich an eine Abtreibung erinnert, den Zusammenhang müsste ich noch bisschen ausarbeiten …“ Ja, und sicher hätte Annie Ernaux das Ganze noch zu einem richtig guten Buch und Hörbuch gemacht, wären die armen Leute vom Verlag nicht so verzweifelt gewesen. 

Annie Ernaux:Der junge Mann, gelesen von Maren Kroymann, 28 Minuten, Der Audio Verlag, ca. 12 €

Meisen beim Flattern

Die Literatur der Literatur! Frei von aller Verkäuflichkeit wollen wir leben, wollen unsere Wortkaskaden lustig plätschern lassen, einfach so! Dieser Haltung begegnet man immer seltener, aber wenn, dann bei Clemens J. Setz. Er schreibt, scheint’s, je schrulliger, je lieber – erst im Windschatten der Welt kommt das Wahre und Schöne zur Geltung. Romanheld Peter Bender lebt im Worms der 1920er Jahre, er glaubt recht fest an seine Hohlwelttheorie: Unsere Erde sei nicht das Äußere einer Kugel, sondern das Innere einer solchen. Mit solchem Schrägdenker lässt sich trefflich daherspintisieren, später kommen die bösen Nazis ins Spiel, Suhrkamp findet die Sprache „unüberbietbar“, den Roman „bestürzend aktuell“, und wie immer bei dieser Floskel fragt man sich: Was wäre an Aktualität so bestürzend? Ole Lagerpuschs Lesung liefert ein ganz nettes weißes Rauschen, das sich beliebig lang hinzieht, derweil man den Meisen beim Flattern zusieht und auf das weitere Fortschreiten des Frühlings wartet, ganz gleich, ob diese Welt nun so herum oder andersrum rund sei. 

Clemens J. Setz: Monde vor der Landung, gelesen von Ole Lagerpusch, ca. 17 Stunden, tacheles!, ca. 25 €

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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