Harvey Weinstein - Leider kein Dinosaurier

Männer wie Harvey Weinstein rechtfertigen ihre sexuellen Übergriffe damit, dass die Zeiten sich verändert haben. Diese Entschuldigung ist kaum minder scheußlich als ihr Verhalten. Was sich verändern muss, ist die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Männern, die ihre Machtposition schamlos ausnutzen

Warum konnten Männer wie Harvey Weinstein so lange unbehelligt agieren? / picture alliance
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Noch bevor sie sich weigerte, ihn weiter zu vertreten, sagte die Anwältin Lisa Bloom über ihren Ex-Mandanten Harvey Weinstein, er sei eben ein „alter Dinosaurier, der sich an eine neue Zeit gewöhnen muss“. Sie hätte ihm erklären müssen, dass in seiner Machtposition des Chefs eines der großen Filmstudios einige seiner Worte und Taten auf andere „unangemessen“ wirken könnten. In der New York Times oder in dieser verstörenden Reportage im New Yorker (geschrieben vom Sohn von Mia Farrow und Woody Allen) kann man gerade nachlesen, wie dieses „unangemessene“ Verhalten dann offenbar aussah. Eine nicht enden wollende Reihe von Schauspielerinnen (darunter Superstars wie Angelina Jolie oder Gwyneth Paltrow) bezichtigt Weinstein, sie sexuell belästigt zu haben, drei Frauen werfen ihm sogar eine Vergewaltigung vor.

In einer Reihe mit Hefner, Cosby und Trump

Das Muster der mächtigen Männer, die ihre Machtposition missbrauchen, um Frauen sexuell zu belästigen, ist bekannt. Der Moderator Bill O’Reilly wurde dafür von US-amerikanischen Fernsehsender Fox TV gefeuert, später dessen Chef Roger Ailes. Bevor er zum US-Präsident gewählt wurde, wurde Donald Trump dabei erwischt, wie er angab, dass man als Star Frauen einfach zwischen die Beine greifen könne. Beim jüngst verstorbenen Playboy-Gründer Hugh Hefner war es schon lange ein offenes Geheimnis, dass er seine „Bunnies“ mehr oder weniger wie sexuelle Sklavinnen behandelte, die in seiner Mansion kaum anders als im offenen Vollzug einer Strafanstalt lebten. Der Extremfall ist der des Komikers Bill Cosby (Die Bill-Cosby-Show). Er hat in zahlreichen Fällen außergerichtliche Einigungen mit Frauen erzielt, die ihm vorwerfen, sie unter Drogeneinfluss vergewaltigt zu haben, ein Gerichtsverfahren ist noch anhängig.

So sehr sich die Fälle ähneln, so ähnlich klingt die „Entschuldigung“ der Männer. Irgendwann wurden die Regeln geändert, aber sapperlot, niemand habe es ihnen gesagt. Was in „ihren Zeiten“ eben „unschuldiges Flirten“ gewesen wäre, sei heutzutage schon „sexuelle Belästigung“, woher hätten sie das wissen sollen?

Das ist natürlich Quatsch. Sexuelle Belästigung ist niemals „angemessen“ und Männer wie Weinstein oder Hefner sind oder waren keine „alten Dinosaurier“, sondern einfach Widerlinge. Natürlich ist die Tradition der Casting-Couch – ein Regisseur oder ein Produzent, der eine Schauspielerin ins Bett nimmt im Austausch für eine Filmrolle – mindestens so alt wie das Kino. Aber das macht es nicht besser. Weinstein zum Beispiel war offenbar sehr bewusst, dass das, was er tat, alles andere als angemessen war. Wie eine der Mitarbeiterinnen, die ihm Belästigung vorwirft, berichtet, hätte Weinstein ihr während des Vorgangs gesagt, dass er nie so etwas wie Bill Cosby habe tun müssen. Als ob Weinstein stolz darauf wäre, dass die Frauen, die er belästigte, nicht währenddessen auch noch von Drogen sediert waren.

Verhalten wird gesellschaftlich toleriert

Warum konnten Männer wie Weinstein so lange unbehelligt agieren? Die offensichtliche Antwort ist, natürlich, Macht. Weinstein konnte Karrieren in Gang bringen oder beenden. Roger Ailes konnte bei Fox News entscheiden, ob eine Frau eine Zukunft in seinem Sender haben würde. Außerdem können sie die besten Anwälte bezahlen, die jede Frau, die es wagt, etwas zu sagen, mit Klagen überziehen. Also sollte sich niemand darüber wundern, warum so viele Frauen nie an die Öffentlichkeit gegangen sind oder es erst dann tun, wenn es andere getan haben. Geld ist Macht und einen schlimmeren Gegner als einen reichen Soziopathen kann man nicht haben.

Ein wichtiger Faktor ist aber die gesellschaftliche Toleranz, die generell Männern entgegengebracht wird, die irgendwie als „brillante Scheusale“ gelten. Das muss nicht zwingend einen sexuellen Kontext haben. Man denke nur an deutsche Theaterregisseure, die sich selbst ganz offen Diktatoren nennen. Claus Peymann, bis vor kurzem Intendant des Berliner Ensembles, sagte 1988 in einem Interview, er sei „ein Vergewaltiger auf der Probe. Wenn in den Kopf eines Schauspielers nicht hineinwill, was ich mir vorgestellt habe, wende ich die bedingungsloseste und brutalste Gewalt an. Das geht von Gebrüll bis zu Mord und Totschlag. Ich breche den Widerstand, und ich weiß, dass es andere Regisseure genauso machen.“ Darüber wurde dann kurz gesellschaftlich gelacht, „Visionäre“ wie Peymann seien eben kompliziert, die soziopathische Missachtung ihrer Mitmenschen wird sogar als Beweis für ihr Genie ins Feld geführt.

Dinosaurier sollten aussterben

Bemerkenswerterweise ist das nur bei männlichen oft selbst ernannten Genies so. Intendantinnen wie Barbara Frey am Schauspielhaus Zürich oder Karin Beier am Schauspielhaus Hamburg kriegen es offenbar hin, Theater auch ohne „brutalste Gewalt“ zu leiten. Wenn aber Männer mit Macht sich wie Rüpel ohne Rücksicht benehmen können, dann verwundert es nicht, dass sie auch im Falle der sexuellen Belästigung kein Gespür mehr für die Grenzen haben.

Wie fast jede Frau berichten kann, existieren noch immer viel zu viele „Dinosaurier“ wie Harvey Weinstein. Hoffnung macht, dass wir offenbar in ein Zeitalter kommen, in dem so ein Verhalten immer weniger akzeptiert wird und in dem Vorgesetzte aufgrund dieses Verhaltens ihren Job verlieren. Aber es ist weiterhin noch gang und gäbe, dass Chefs ihre Macht gegenüber Angestellten schonungslos ausnutzen und das Gefühl haben, machen zu können, was sie wollen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Der Fall Weinstein verdeutlicht in krasser Weise: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das zu ändern. Aber jeder Mann, egal wie berühmt und mächtig, sollte sein Verhalten auf den Prüfstand stellen. Wenn diese Art Mann ausstirbt, ist die Welt ein besserer Ort.

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