Plagiatsaffäre - „Franziska Giffey hatte das Pech der frühen Promotion“

Meist gelesener Text im Februar: Sollten Politiker, die bei ihrer Doktorarbeit betrogen haben, zurücktreten? Diese Frage wird sich vielleicht bald für Franziska Giffey stellen. Vroniplag deckte die Mängel auf. Ein Gespräch mit dem Bildungsforscher Heiner Barz über schlampige Politiker und selbsternannte Plagiatsjäger

Wird Franzsika Giffey der Doktortitel aberkannt? / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Professor Dr. Heiner Barz leitet die Abteilung Bildungsforschung am Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Düsseldorf.

Herr Barz, Annette Schavan, Frank-Walter Steinmeier, Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin – und jetzt auch Franziska Giffey. Immer wieder fliegen Politiker auf, die bei der Promotion geschummelt haben. Ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass sie schlampig arbeiten? 
Blödsinn. Auch hinter das „geschummelt“ würde ich ein Fragezeichen setzen. Ursula von der Leyen oder Frank-Walter Steinmeier wurde der Doktortitel ja auch nicht aberkannt. In diesen Fällen haben die Universitäten entschieden: Die Arbeiten waren zwar handwerklich problematisch, aber die Fehler waren nicht so gravierend, dass man den Verfassern Täuschung oder Betrug unterstellen wollte.

Trotzdem werfen diese Fälle kein gutes Licht auf die Universitäten. Ist es zu leicht, in Deutschland zu promovieren?
Das ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Richtig ist, dass Doktorarbeiten nicht nur von Menschen verfasst werden, die sich aus Neugier dazu berufen fühlen oder einen Forscherdrang in sich verspüren. 

Sondern?
So eine Promotion ist für viele nur eine Sprosse auf der Karriereleiter. Die versucht man halt zu absolvieren, ohne allzu viel Zeit und Hirn zu investieren. Das führt dazu, dass auch Doktorarbeiten zweiter oder dritter Güte dabei herauskommen. Wobei die Plattform Vroniplag die Arbeiten nur daraufhin untersucht, ob Quellen korrekt zitiert wurden. Mich als Bildungsforscher interessiert aber etwas ganz anderes.

Nämlich? 
Im Sinne einer wissenschaftlichen Qualitätssicherung müsste man eigentlich auch fragen: Was ist der Erkenntnisgewinn dieser Doktorarbeiten? Ist die Fragestellung so tragfähig und die methodische Durchführung so solide, dass man wirklich von einem Beitrag zur Forschung sprechen kann? Und diese Maßstäbe sollten nicht nur für die Arbeiten von Politikern gelten, sondern generell für den Wissenschaftsbetrieb. 

Machen sich Politiker überhaupt noch die Mühe, ihre Arbeiten selber zu schreiben? Es gibt Unternehmen, bei denen man sich akademische Titel samt der dazugehörigen Arbeit kaufen kann. Einen Bachelor gibt es schon ab 5000 Euro.  
Da wissen Sie mehr als ich. – Geschichten über Ghostwriting kursieren zwar allenthalben, aber belastbare Belege oder handfeste Anklagen sind mir keine bekannt. Wahrscheinlich müsste man sogar umgekehrt annehmen, das spezialisierte professionelle Ghostwriter, wenn es sie denn gibt, gerade NICHT gegen die Zitierregeln verstoßen.

Bei Vroniplag wurden bisher 204 Plagiate entlarvt. Gab es darunter auch Arbeiten von akademischen Ghostwritern?
Soweit ich weiß, gab es diese Mutmaßungen im Fall des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Aber bisher hat er das weder eingeräumt, noch konnte es ihm nachgewiesen werden. Ich glaube allerdings eher nicht, dass er Ghostwriter hatte. 

Warum nicht?
In seiner Doktorarbeit waren Dutzende von Seiten aus anderen Dokumenten ohne Quellenangabe aneinander getackert. Einem echten Profi dürfte das nicht passieren. 

Die Doktorarbeit von Franziska Giffey zum Thema „Europas Weg zum Bürger – die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“ ist nur 205 Seiten lang. Auf 49 Seiten wurden Auffälligkeiten entdeckt wie Wikipedia-Artikel, die nicht als solche gekennzeichnet waren. Kann man da noch von Schlampereien sprechen – oder hat das schon System
Der Eindruck mag entstehen. Gerade im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich geht es oft darum, schon vorhandene Theorieansätze oder Methoden zu referieren, um dann noch eine eigene Frage abzuarbeiten. Wenn Sie Max Webers Protestantismus-These erläutern oder die deliberative Demokratietheorie nach Habermas – dann ist es fast unvermeidlich, dass man sich an Formulierungen anlehnt, die auch schon in anderer Sekundärliteratur verwendet wurden. Die Qualität einer Arbeit liegt aber nicht darin, dass man es schafft, in der 383. Reformulierung von Max Webers Protestantismus-These nochmal nie dagewesene Worte zu finden. Es müsste darum gehen, etwas Neues daraus zu machen, sie für neue Fragestellungen fruchtbar zu machen.   

Doktorarbeiten werden von Doktorvätern oder Doktormüttern betreut und bewertet. Müssen die sich nicht auch den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten schlampig korrigiert? 
Es ist wahrscheinlich immer so gewesen, dass Rekapitulationen der Vorläuferliteratur mal mehr, mal weniger originell ausfielen. Es ist nicht so, dass es da einen dramatischen Verfall der Betreuungskultur gibt. Es ist im Zeitalter des Internets bloß viel leichter nachweisbar, was woher stammt. Vor zwanzig, dreißig Jahren konnte man höchstens per Zufall über formulierungsidentische Stellen stolpern. Die Möglichkeiten des elektronischen Textabgleichs waren noch nicht breit verfügbar. Heute scannt man die Texte einfach nur ein, lässt die Texterkennung darüber laufen und lässt die Dateien vergleichen: Dann wird alles rot markiert, was identisch ist.  

Sollten Doktorväter und Doktormütter diese Software nicht auch benutzen? 
Fragen Sie mal die Leute von VroniPlag, wieviel Arbeit das macht. Es ist ja nicht so, dass man auf einen Knopf drückt – und dann hat man die identischen Stellen. Man muss die Literatur ja erstmal recherchieren, dann besorgen, die als Referenz in Frage kommt. Dann muss man sie Seite für Seite einscannen und vergleichen. Das erfordert schon einen gewissen Aufwand. 

Wie viel Zeit brauchen die Plagiatsjäger, um eine Fälschung zu entlarven? 
Ein Mann mit dem Pseudonym Robert Schmidt hat es als Antiplagiatsdesperado zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht. Er hatte sich schon in die Doktorarbeiten von Norbert Lammert und Annette Schavan verbissen. Jetzt ist er mit an der Promotion von Franziska Giffey dran. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat er gesagt, diese Arbeit habe ihn bisher schätzungsweise 500 Stunden gekostet. 

Was treibt diese Jäger an?
Schwierige Frage. Es ist wahrscheinlich manchmal das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein und in einer ungerechten Welt zu leben. Der Gedanke: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen. Sie bescheißen uns – und machen sich selber einen faulen Lenz.“ Der Wunsch, es „denen da oben“, also z.B. auch Politikern, endlich einmal heimzuzahlen. 

Von den 204 von VroniPlag entlarvten Plagiaten stammten aber nur 16 von Politikern. 
Das hat mich auch gewundert. Durch die Fälle, die es in die Medien schaffen, entsteht der Eindruck, dass ihr Anteil größer ist. Es gibt allerdings eine lange Liste von potenziellen Opfern aus der Politik. Da steht übrigens auch die Bundeskanzlerin drauf. 

Die Mehrzahl der entlarvten Plagiate stammen von FDP-Politikern. Ist das ein Zufall? 
Wahrscheinlich nicht. Unter Westerwelle hat sich die FDP ein Image als Partei für Hotelbesitzer und Besserverdiener zugelegt. Der Neoliberalismus gilt vielen als Feind. Wer das propagiert, passt offenbar gut ins Feindbild der Plagiatsjäger. 

Heißt das, auch CDU- und CSU-Politiker sind besonders gefährdet? 
Allerdings. Erstes Opfer von VroniPlag war Veronika Sass, die Tochter von Bayerns ehemaligem Ministerpräsident Edmund Stoiber. Daher kommt der Name Vroni. Als Guttenberg gefallen war, haben sich die Jäger gedacht, hoppla, das funktioniert ja. Jetzt gucken wir mal bei Stoibers. Sein Sohn und seine Tochter hatten beide promoviert. Und die Juristin Vroni musste ihren Doktortitel abgeben. Der Sohn hatte Glück.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Jäger: Ist das eine sinnvolle Arbeit – oder nicht auch eine gefährliche Waffe, um politische Gegner zu diskreditieren? 
Es ist beides. Positiv schlägt zu Buche, dass seit dem Fall zu Guttenberg unübersehbar eine Sensibilisierung im Umgang mit „Textbausteinen“ eingesetzt hat. Studenten sind im Normalfall heute ängstlich bemüht, nur ja keinen Halbsatz ohne Quellennachweis in ihren Examensarbeiten zu verwenden. Es hat auch ein Wandel in der Betreuungskultur der Doktorarbeiten stattgefunden. Heute haben viele Fakultäten begleitende Angebote nicht nur zum richtigen Zitieren, sondern auch zum Zeitmanagement oder auch Schreibwerkstätten. VroniPlag war insofern ein Weckruf. Man weiß jetzt, dass man sich vor der Übernahme fremder Sätze ohne Anführungszeichen hüten sollte. Andererseits funktioniert dieses Wiki aber auch wie ein Internetpranger. 
 

Warum kostet dieser Pranger die einen den Doktortitel und ihre Karriere – und andere kommen ungeschoren davon? 
Das kann man wohl nur als Glück oder Willkür bezeichnen. Ich würde sagen, es hat nichts damit zu tun, ob der eine mehr und der andere weniger abgeschrieben hat. Die Maßstäbe an den Hochschulen sind eben sehr unterschiedlich. Die Medizinische Hochschule Hannover, die die Promotion von Ursula von der Leyen untersucht hat, hat Fehler konstatiert – aber kein Fehlverhalten. Der ehemalige Kultusminister und heutige stellvertretende Ministerpräsident Bernd Althusmann Niedersachsens, Bundespräsident Steinmeier oder der ehemalige Bundestagspräsident Lammert – sie alle durften ihren Doktortitel behalten. Dabei stuften viele Beobachter die Mängel hinsichtlich fehlender Quellenverweise mindestens auf ähnlichem Niveau ein wie bei Schavan. 

Was folgern Sie als Bildungsforscher daraus?
Es müsste einheitliche Bewertungskriterien und Verfahren geben. An manchen Unis gibt es einen Ombudsmann für gute wissenschaftliche Praxis, der in solchen Fällen eingeschaltet werden kann – an anderen nicht. In den entscheidenden Gremien (Promotionsausschuss, Fakultätsrat) sitzen zum Teil Studierende, Sekretärinnen und nicht-wissenschaftliches Labor-Personal. Und alle sind stimmberechtigt in der Frage: Doktortitel aberkennen oder nicht?

Franziska Giffey hat ihren Doktor an der FU Berlin gemacht. Die Bundesfamilienministerin (SPD) wird als aussichtsreiche Bewerberin für die Nachfolge des glücklosen Bürgermeisters Michael Müller gehandelt. Muss die FU ihr den Titel jetzt nicht zwangsläufig entziehen, um nicht in den Verdacht zu geraten, man habe ihn der Politikerin als Willkommensgeschenk gemacht?
Das wäre ein naheliegender Reflex. Zumal die FU ja auch erst vor Kurzem dem Berliner CDU-Politiker Frank Steffel den Doktor-Titel entzogen hatte. Für die Uni ist das keine glückliche Situation. Es gibt viele Gründe, warum eine Uni in die Schlagzeilen gelangen will – aber bestimmt nicht wegen aberkannter Doktortitel.

Aber ist der Doktortitel als Türöffner heutzutage wirklich noch so wichtig?
Er kommt aus der Vergangenheit, da haben Sie Recht. Aber gerade das kann in der Politik Vertrauen schaffen. Man demonstriert, dass man in soliden Traditionen verwurzelt ist – und sein Fähnchen nicht nur nach dem neusten Modetrend in den Wind hängt. 

Ist im Umkehrschluss die Fallhöhe bei Politikern auch höher, wenn sich herausstellt, dass bei der Promotion geschlampt wurde?
Würde ich sagen. Wobei Frau Giffey das Pech der frühen Promotion hatte. 

Wie meinen Sie das?
Sie hat 2009 promoviert. 2011 kam der phänomenale Absturz des fabelhaften Freiherrn von und zu Guttenberg. An keiner Uni hat vorher irgendjemand viel über Begriffe wie Paraphrase oder Plagiat nachgedacht. Danach wurde alles anders. Wäre sie 2011 dran gewesen, hätte sie sicherlich viel genauer hingeguckt.

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