Gedankenspiel - Wenn die Welt eine Kuhwiese wäre

Viele kennen das: Bei einem Spaziergang führt eine Abkürzung über eine Wiese mit Kühen. Auch Jungbullen sind Teil der Herde. Welcher Staatschef würde sich in dieser Situation wie verhalten? Trump, Macron, Merkel, May, Erdogan und Putin vor einer einzigartigen Herausforderung. Von Sabine Bergk

Neugierige Kühe in Schleswig-Holstein / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Wäre die Welt eine Kuhwiese, wäre sie nicht unbedingt übersichtlicher. Auch vor Verteilungskämpfen wären wir nicht gefeit. Je enger das Gelände, desto hitziger der Konflikt. Gleichzeitig steigt mit zunehmender Begrenzung auch die Fähigkeit zur Kooperation. 

Wie sich die Welt entwickelt, hängt mitunter von dem Verhalten der derzeitigen Staatschefs ab. Auch auf der Wiese wäre letztendlich nicht allein die Taktik gefragt, sondern die Fähigkeit, die Wiese auch zu überqueren.Wer würde sich wie verhalten?

US-Präsident Donald Trump würde jeden einzelnen Bullen beschuldigen, einen Zaun mit Solaranlage um ihn ziehen oder ihn gleich mit ausgestrecktem Zeigefinger von der Wiese verweisen, nicht ohne auf Zollkontrollen zu pochen. Schließlich bliebe eine chaotische Wiese zurück, mit aufgehetzten Bullen und dampfenden Nasen. Durch dieses Durcheinander würde Trump dann erhobenen Kopfes mit seiner auf Pfennigabsätzen staksenden Melania durch den Matsch spazieren.

Macrons Reden und Merkels Tarntaktik

Präsident Emmanuel Macron würde die Tiere Spalier stehen lassen und anschließend ausgefeilte Reden halten. Dann würde er mit perfekt sitzenden Manschettenknöpfen durch eine Schneise spazieren, die jedoch immer wieder von Bullen, die sich um lange Reden nicht scheren, versperrt werden würde. Insgesamt sähe seine Wiese eleganter aus als bei den Kollegen. Visionen erhellen das Umfeld, machen jedoch auch mehr Arbeit. Ankommen würde Macron auf jeden Fall, etwas blass im Gesicht, immer auf dem Sprung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel würde sich zunächst einen Blazer mit Kuhmuster anziehen, der von den Kühen zwar akzeptiert, von den Bullen jedoch ignoriert werden würde. Dann würde sie sich einen Bullenblazer anziehen, nicht ohne die Kühe zu irritieren, die die Bundeskanzlerin gerade in ihrer Mitte akzeptiert hatten – und schließlich würde sie, um in dem vollkommen irritierten Haufen niemanden zu irritieren, eine Primärfarbe wählen, die jeder versteht. Als nächstes würde sie, um Zeit zu gewinnen, in eine Verzögerungstaktik verfallen und den Bullen und Kühen gut zureden. Wenn alle besänftigt sind, würde sie ganz gezielt den Weg über die Wiese durchziehen.  

Erdogan und Putin eiskalt

Premierministerin Theresa May würde zunächst darüber abstimmen lassen, ob alle Tiere auch hundertprozentig hinter ihr stünden (bei Bullen nicht unbedingt vorteilhaft). Falls die Abstimmung scheitert, würde sie ihre dickste Perlenkette anlegen und mit gesenkter Stirn über die Wiese marschieren, mit möglichst vielen europäischen Partnern im Schlepptau. Wenn schon das eigene Land nicht loyal hinter ihr steht, muss es ganz Europa sein. 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würde wohl die gesamte Kuhwiese einsperren lassen und hätte dann freie Fahrt. 

Und Wladimir Putin? Der russische Präsident würde das Verhalten aller Überquerenden genauestens kennen. Wie er sich verhalten würde, hinge von den taktischen Manövern seiner Gegner ab. Nach Bedarf – je nachdem, wer gerade die Wiese überquert – würde er die Bullen dopen.

Dieses Gedankenspiel ließe sich fortführen, variieren, korrigieren – wäre die Welt nur eine Wiese. In Syrien lässt sich nichts korrigieren. Dort hat sich alle Taktik verhakt und niemand weiß, ob irgendjemand überhaupt ankommen wird, ohne dass wieder alles von vorne beginnt. 

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