Fridays for Future - Greta macht blau

Greta Thunberg kommt nach Hamburg, um mit anderen Schulschwänzern für einen effektiveren Klimatschutz zu demonstrieren. Der 16-jährigen Schwedin schlägt der geballte Hass von Rechts entgegen. Dabei zeigt sie Qualitäten, die man der Jugend sonst gern abspricht

 „Euch gehen die Entschuldigungen aus, uns die Zeit“: Greta Thunberg / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Jugend von heute ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die liest jetzt. Die jammert nicht nur. Die geht für ihre Forderungen auf die Straße. Und damit das jeder mitbekommt und sich fürchterlich darüber aufregt, schwänzt sie dafür den Unterricht. Freies W-LAN für alle? Nein, der Klimawandel, ist das Thema, das sie bewegt. Die Erderwärmung. Die Gletscherschmelze. Das Artensterben. Die Jugend von heute will nicht länger zusehen, wie der Planet geplündert wird. Es gibt ja nur diesen einen. Sie will nicht warten, bis sie alt genug ist, um den Raubbau an der Natur zu stoppen. Was ist, wenn es dann zu spät ist?  

Die Symbolfigur dieser Jugend ist Greta Thunberg. Greta ist 16, sie sieht mit ihren geflochtenen Pippi-Langstrumpf-Zöpfen aber aus wie 12. Es ist erst ein halbes Jahr her, dass die Schülerin aus Stockholm an einem Freitag die Schule schwänzte und sich allein mit dem Transparent „Skolstrjk for Klimatet“ vor das Parlament ihrer Stadt setzte. Kinder in anderen europäischen Ländern folgten ihrem Beispiel. Durch einen Hashtag verbreitete sich ihre Idee wie ein Lauffeuer. #FridaysforFuture nennt sich die Bewegung. Und Greta wurde ihre Ikone 

Inzwischen tingelt sie als Klimaschutz-Aktivistin durch Europa. Und die Mächtigen der Welt, das ist das Erstaunliche, hören ihr zu. Sie darf Maximalforderungen stellen. Sie ist ja erst 16. Sie muss sich nicht mit der Frage belasten, woher denn der Strom kommen soll, wenn das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gegangen ist. Das ist nicht ihre Aufgabe. 

Eine Zwölfjährige als Anklägerin 

Greta macht sich Sorgen um die Zukunft der Erde. Das verbindet sie mit vielen anderen Kindern – auch mit denen früherer Generationen. Aber die haben damals noch Kröten über die Straße getragen oder sich auf Eisenbahnschienen gesetzt, um Castor-Transporte zu blockieren. Greta macht es anders. Sie knöpft sich gleich die Verantwortlichen vor. Ihre Auftritte polarisieren. Darf die das? Was fällt der ein? Greta kommt nicht als Bittstellerin, sondern als Anklägerin. Dass sie mit dem Asperger-Syndrom zur Welt gekommen ist, merkt man ihr in diesen Momenten nicht an. Am Rednerpult überwindet sie ihre Scheu vor fremden Menschen. Da wächst sie über sich hinaus. Beim UN-Klimagipfel in Katowice stach sie andere Referenten mit einer ebenso klaren wie eindringlichen Rede aus. Sie endete mit den Worten: „Euch gehen die Entschuldigungen aus, uns die Zeit.“   

Es entbehrt nicht der Ironie, dass solche Anklagen eher bei den Bürgern ankommen als bei denen, an die sie eigentlich adressiert sind. Wie ratlos die Politik der Bewegung gegenübersteht, zeigt ein Foto aus dem EU-Parlament in Brüssel. Greta hat vor einer Woche eine viel beachtete Rede gehalten, in der sie den „alten Säcken“ mal wieder richtig Druck gemacht hat.

Einem davon ist ihr schon auf dem Weg zum Podium begegnet: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Und was machte er, dieser Charmeur alter Schule? Er küsste ihr die Hand, halb belustigt, halb gönnerhaft. Es ist eine Geste, die die ganze Unbeholfenheit der Politik im Umgang mit Kindern widerspiegelt. Was Greta zu sagen hatte, interessierte Juncker weniger. Bei ihrer Rede starrte er Löcher in die Luft. Später wurde er mit den Worten zitiert, doch, er habe durchaus Verständnis dafür, dass sich Jugendliche politisch engagierten. Habe er als Teenager ja auch getan. Aber die Schule, nein, die Schule habe er dafür nicht geschwänzt. 

Eine Marionette grüner NGO's? 

Es ist ein Argument, mit dem auch andere Politiker versuchen, die Bewegung zu diskreditieren. Oder besser: totzuschlagen. Der Hass, der Greta und ihren Mitstreitern entgegenschlägt, nimmt langsam bedenkliche Ausmaße an. Dass sie eine PR-Marionette der Politik sei, ist noch eines der harmloseren Gerüchte. Und es ist wohl kein Zufall, dass es ausgerechnet von rechten Klimawandel-Leugnern gestreut wird. Dass eine 16-Jährige ihren Kopf nicht nur zum Zöpfetragen benutzt, das sprengt deren Menschenbild. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Deshalb müssen Verschwörungstheorien her. 

Sind es die Umweltorganisationen „Wedonthavetime AB“ oder Climate Justice Now, die Greta druckreife Reden ins Gepäck schmuggeln? Oder stecken ihre Eltern dahinter? Das sind so Gerüchte, die im Internet kursieren. Ihr Vater ist ein in Schweden bekannter TV-Schauspieler und Drehbuchautor, die Mutter Opernsängerin. Zusammen haben sie ein Buch über ihre Tochter geschrieben. Beide müssen sich inzwischen den Vorwurf gefallen lassen, sie würden die autistische Tochter vermarkten und an ihrem Siegeszug verdienen. Sogar von „Kindesmissbrauch“ und hybrider Kriegsführung ist die Rede. Hybride was? Nein, man hat sich nicht verhört. Es war die Bundeskanzlerin persönlich, die den Schülerprotest auf der Münchener Sicherheitskonferenz in die Nähe russischer Propaganda-Kampagnen rückte. 

Setzen, Sechs! 

Solche Reaktionen verraten mehr über die Absender als über den Adressaten. Dass eine 16-jährige bei ihren Ausflügen in die Politik unterstützt wird, versteht sich wohl von allein. Auch Provinzpolitiker leisten sich heute PR-Berater. Ist das nicht legitim? Dem Mädchen aber mit Blick auf seine seelische Behinderung jede Überzeugung abzusprechen, grenzt an Diffamierung.

Ein doppelter Riss geht durchs Land. Er verläuft nicht nur zwischen der politischen Elite und dem Volk. Er verläuft auch zwischen den Jungen und den Alten. Die demonstrierenden Schulschwänzer sind ein Test für unsere Demokratie. Wieviel Rebellion verträgt die Politik? Man geht nicht zu weit, wenn man sagt, dass ihn Gretas Hater nicht bestanden haben. Setzen, Sechs! 

Dabei hätten die Kritiker doch eigentlich allen Grund, sich über die Jugend von heute zu freuen. Die, so suggeriert die Bewegung #FridaysforFuture, lebt nicht in ihrer digitalen Filterblase. Sie steht mit beiden Beinen auf dem Boden im Leben und geht mit offenen Augen durchs Leben. Sie glaubt nicht alles, was man ihr erzählt. Sie demonstriert für ein besseres Klima. Und sie schafft es, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen – nicht nur auf der Straße, auch auf der politischen Bühne. Es ist der erste Schritt auf dem Weg zum mündigen Bürger. 

Was wollen wir eigentlich mehr?

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