Frankfurter Buchmesse - Drei ältere Herren am See tun beim Lesen schon weh

Kein gutes Buch und dennoch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises: Miku Sophie Kühmel verläppert die Geschichte einer Frau namens Pega

Erschienen in Ausgabe
Am See erzählen Pegas Vater und ein befreundetes Pärchen ihr ihre alten Liebesgeschichten / picture alliance
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Warum wird das nie uninteressant: eine junge Frau und der Einblick in ihr Liebesleben? Pega ist Anfang 20 und begleitet ihren Vater Tonio zur Party eines befreundeten Paares, das zu Beginn glamourös wirkt und geladen hat zu seinem 20-jährigen Beziehungsjubiläum: ein gleichgeschlechtliches Paar, Max, der Archäologe, und Reik, der Künstler. Beide stehen erfolgreich im Leben, könnte man meinen. Doch was in aller Welt sucht eine junge Frau wie Pega auf dieser Party, die gar keine werden wird, weil die weiteren Gäste fehlen? Und warum begleitet sie ihren Vater?

Pega findet sich an einem vereisten See mit drei liebesamputierten älteren Herren wieder, die in einer grandios-mäandernden Selbstreflexion kein noch so verstaubtes Erlebnis auslassen. Ein ausladender Parcours der entstellten Vergangenheiten beginnt, und all das, was man sich für junge Mädchen wie Pega wünscht, bleibt ausgegrenzt: der Kampf um das Gefühl, etwa um Reik, in den sie sich verliebt haben könnte, und das sie mitrisse; die Sehnsucht nach dem schlagenden Herzen, der pulsierende Rhythmus der eigenen Leidenschaft. Stattdessen legen sich um alles die kalten Hände des Zynismus von Reik und Max und Tonio.

Das „Sagte-er-sagte-sie“-Gespräch

Pega, deren Anlagen wir beim Lesen spüren und die sowohl im Liebes-Surfen wie auch im klassischen Skateboardfahren höchsten Status erreichen könnte, deren Bretter in ihrem eigenen Leben nur in eine Richtung führen, in die des „fast forward“, wirkt in dieser Seelenbespiegelungsprosa mit Goldschnittrand so fremd wie Tonio am Ende der Geschichte im Bett mit Nicole, von der wir nur erfahren, dass sie in Pegas Alter ist, gerade von Tonio geschwängert wurde und graue Haare hat – gefärbt, versteht sich. Und das erfahren wir mitnichten in einer Handlung, sondern in einem lapidaren Gespräch. Ob er das kann, der Roman „Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel, dieses „Sagte-er-sagte-sie“-Gespräch, mag der Leser selber entscheiden.

Kühmel, 1992 in Gotha geboren, gewann mit diesem Roman den Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung 2019 und schaffte es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Was der Roman nicht gewinnt, ist alles, was eine große Erzählung auszeichnet: eine Binnenspannung, einen großen Erzählbogen, einen Plot. Dem Schriftsteller Joachim Lottmann, sicher kein Freund von Max, Reik, Tonio, wird der Satz nachgesagt, die junge Frau sei „der Mercedes unter den Menschen“. Mit Pega hätte sich die erzählerische Fahrt lohnen können, sie bildet das Paralleluniversum zu Max und Reik und Tonio. Von ihren Liebeseskapaden lesen wir aber kaum etwas – und noch dazu in matter Sprache. 

Miku Sophie Kühmel: „Kintsugi“. S. Fischer, Frankfurt/Main 2019. 304 Seiten, 21 €

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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