Francisco Bosoletti - Manchen die Welt

Zwischen Weißrussland, Berlin und Portugal: Der argentinische Street-Art-Künstler Francisco Bosoletti könnte der nächste Banksy werden – doch ohne Geheimniskrämerei

Erschienen in Ausgabe
Für Francisco Bosoletti war die Kunst erst Hobby, dann kamen die Aufträge / Foto: Oliver Fiegel
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Julian Ignatowitsch ist Kunst- und Kulturjournalist und lebt in München.

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Nackte Frauenkörper umschlingen sich. In Weiß, Grau und Schwarz scheinen sie mal hypnotisch zu tanzen, dann liegen sie reglos da. Ein Riss zieht sich hier über die Brust, dort bedecken Farbspritzer die Arme. Gesprungenes Glas, geritztes Gewebe. Der Mann, der neben diesen großen Bildern steht, könnte man meinen, existiert eigentlich gar nicht. Sollte nicht existieren.

So wie Banksy – der Spiritus Rector seines Faches, der Street-Art, den sie in ihrer Sprache, der Sprache der Straße, nur Legende oder King nennen – könnte auch er sich hinter einem Pseudonym verstecken, unsichtbar machen und so ganz zum geisterhaft umherwandelnden Wiedergänger seiner Motive werden. Der Künstler Francisco Bosoletti jedoch steht fest auf beiden Beinen zwischen zweien seiner Werke, die mit 1,80 Metern Höhe etwas größer sind als er selbst, und sagt: „Banksy interessiert mich absolut nicht.“

Der 30-jährige Argentinier Bosoletti kam jüngst für eine Einzelausstellung nach München und zeigte in den Goldbergstudios, in ihrer Lagerhallenästhetik untypisch für die Hauptstadt, die Bildserie „Fragile“: „Es geht um Zerbrechlichkeit, einen menschlichen Grundzustand, den wir alle in uns tragen“, erklärt er. Lange hat Bosoletti nur auf der Straße gemalt. Er hat ein riesiges Herz in die Innenstadt von Minsk gesprayt, blumenumschlungene Frauen an Mauern in Neapel oder ein 45 Meter hohes Abbild der Nymphe Daphne an eine Hochhauswand in Berlin. Seine Murals, so der Szenebegriff für riesige Wandgemälde, sind technisch so ausgefeilt wie jene Banksys. 

Shootingstar der internationalen Kunstszene

Oft zeigen sie religiöse und mythologische Motive, wie die Arbeiten der alten Meister der Renaissance, in deren Nähe Bosoletti jetzt in seinem Atelier in Florenz arbeitet – mit Öl, Acryl, Leinwänden. Die Uffizien sind um die Ecke. „Ob ich ein Street-Artist bin – keine Ahnung“, sagt er, „ich bin einfach Künstler.“

Aufgewachsen in Armstrong, einer kleinen Bauernstadt in Argentinien, fand Bosoletti im Teenageralter zur Graffitimalerei. „Ich habe nachgemacht, was ich im Fernsehen gesehen habe.“ Vielleicht sei auch ein Bild von Banksy dabei gewesen. „In meinem Heimatdorf war das Sprayen an Wände aber nicht verboten“, schildert er. Überhaupt habe er nie Probleme mit der Polizei gehabt und sehe sich gar nicht als „echten Sprayer“. 
Nach seinem Studium für Illustration und Grafik in Rosario kam Bosoletti nach Europa, zeichnete Sketches auf Briefumschläge und Servietten, lernte Leute kennen, die sich für seine Bilder interessierten, und war plötzlich Teil der urbanen Kunstszene. Heute ist er einer ihrer Shootingstars und mehrfach ausgezeichnet. „Zuerst war es ein Hobby, auf einmal bekam ich Aufträge.“ 

Aufträge für das Bemalen von Wänden und Containern. Die Street-Art von heute hat wenig mit ihrem illegalen Charakter der siebziger und achtziger Jahre gemein. Wenn sich weltbekannte Künstler wie Banksy oder Shepard Fairey als unangepasste Rebellen mit Hoodie und Spraydose inszenieren oder ihre Identität im Geheimen halten, dient das ihrem Image – und damit ihrem Marktwert. Ein gutes Beispiel ist Banksys unlängst versteigertes Werk „Girl with Balloon“, das sich nach der Auktion teilweise selbst zerstörte, dadurch seinen Geldwert aber gesteigert haben dürfte. „Für mich ist das ein Witz“, sagt Bosoletti. „Etwas aus einem reichen Land, um T-Shirts zu verkaufen.“ Manche der Ideen seien kreativ und unterhaltsam, räumt er ein, aber für ihn stünden andere Dinge im Vordergrund: „Ich sehe Street-Art als einen Weg, um mit Menschen und meiner Umgebung in Kontakt zu kommen und deren soziale und kulturelle Eigenheiten kennenzulernen.“ 

„Kommerz ist langweilig“

Aktuell plant er eine Zusammenarbeit mit jugendlichen Häftlingen auf der Gefängnisinsel Nisida im Golf von Neapel. In den kommenden Monaten wird er in Belgien, Finnland, Bulgarien und Portugal im öffentlichen Raum arbeiten. „Du fängst an, Straßen und Städte anders zu sehen. Du siehst eine Wand und hast Ideen“, schildert er seine Arbeitsweise. „An jedem Ort entwickelt sich dann ein eigenes Bild – unter dem Einfluss der Sonne, der Gebäude und Bewohner.“

Neben der Straße schätzt Bosoletti mittlerweile auch das Studio. Vor drei Jahren schloss er sich der Galerie Art Avenue des ehemaligen Straßenkünstlers Heiko Zimmermann an, die sich auf Urban Art spezialisiert hat. Vom alten Grafen bis zur jungen Designerin reichen die Käufer von Bosolettis Werken. Der wusste anfangs gar nicht, was ein roter Punkt neben seinem Bild bedeutet: verkauft! Bis zu 10.000 Euro sind seine Bilder derzeit wert, Tendenz steigend. 

„Kommerz ist langweilig“, sagt der Künstler abschließend. Und ob Straße oder Galerie, sei letztlich egal: „Das sind Gemälde, nicht mehr. Farbe und Pinsel. Seit Jahrhunderten“, führt er aus. „Aber für manche Leute bedeutet es die Welt.“

 

Dieser Text erschien in der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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