Ramadan - „Fasten ist kein Selbstzweck“

Jahrelang hat sich keiner dafür interessiert, dass Muslime während des Ramadans von Sonnenauf- bis Untergang fasten müssen. Doch jetzt hat die AfD gefordert, Ärzte und Fahrer dürften in dieser Zeit nicht arbeiten. Ein berechtigter Vorstoß?

„Wir sollen unser Essen mit anderen teilen, sei es mit Freunden und Verwandten oder Fremden“ / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Bekir Yilmaz, 51, ist Diplom-Kaufmann und war bis 2017 Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Berlin. Er hat jetzt einen Muslimischen Wohlfahrtsverband gegründet, der sich um Notleidende aller Konfessionen kümmert. 

Herr Yilmaz, seit zwölf Tagen ist Ramadan. Sie dürfen erst nach Sonnenuntergang gegen 21 Uhr essen und trinken. Wir haben jetzt 18 Uhr, hängt Ihnen der Magen schon in den Kniekehlen? 
Nein, es geht mir gut, und ich fühle mich fit. Ich glaube, das ist eine Frage der Einstellung. Wenn man es aus Überzeugung macht und mit seinem Glauben dahinter steht, fällt es gar nicht so schwer. Natürlich ist es im Sommer härter, weil die Tage länger sind und es wärmer ist. Gegen zwanzig Uhr gucke ich schon ungeduldig zur Uhr. Nach zehn bis vierzehn Stunden ohne einen Schluck Wasser bin ich ganz schön durstig. Aber tagsüber denke ich gar nicht daran. 

Was bedeutet der Ramadan für Muslime? 
Die Wochen sind eine Zeit der Besinnung. Wir sollen fasten, beten und nach Mekka reisen. Wir sollen unser Essen mit anderen teilen, sei es mit Freunden und Verwandten oder – im sprichwörtlichen Sinn – mit Armen auf der ganzen Welt. Und wir sollen unseren Wohlstand mit ihnen teilen. Es ist Ausdruck des Glaubens, dass man nicht nur für seine Familie Verantwortung trägt, sondern auch für die Gesellschaft. Das gilt natürlich nicht nur für den Ramadan. Aber in dieser Zeit soll man es in seiner Seele spüren. 

Das heißt, man sollte spenden? 
Genau. In Deutschland gibt es nicht so viele Arme, für die man spenden kann. Ich persönlich spende für Arme in der Türkei und in Afrika. In Somalia und in Jemen stehen 400.000 Kinder wegen Unterernährung kurz vor dem Tod. 

Ein paar Euro für das gute Gewissen?
Nein, es ist schon ein bisschen mehr. Es gibt eine gewisse Einkommensgrenze, wenn man die überschritten hat, muss man 2,5 Prozent Prozent seines Vermögens an Bedürftige spenden. 

Ist das das islamische Pendant zur Kirchensteuer der Christen?
Ja, aber jeder zahlt freiwillig. Es gibt keine Institution, die Geld einzieht. 

Sie waren bis vor kurzem Präsident der Türkischen Gemeinde von Berlin. Was glauben Sie, wie viel Prozent der Muslime in Deutschland fasten? 
Es sind ungefähr 60 bis 65 Prozent der türkischen Community ...  

... in allen Altersgruppen? 
Nein, wenn man jung ist, nimmt man das Leben nicht so ernst. Aber je älter man wird, desto mehr Gedanken macht man sich über den Sinn des Lebens und den Tod. Und dann fängt man auch an zu fasten. 

Wann hat das bei Ihnen angefangen?
Schon mit 14. 

Was ist das Härteste?
Es sind gar nicht so sehr der Hunger und der Durst. Man soll auch sein eigenes Verhalten gegenüber anderen reflektieren. Man soll darüber nachdenken, was man in den vergangenen Monaten – Entschuldigung – für einen Mist gebaut hat. Ich bin auch kein Engel. Aber ich würde mir wünschen, dass einige Muslime sich mehr Gedanken darüber machen, was sie dazu beitragen können, damit das Leben für alle erträglich wird. Fasten ist kein Selbstzweck. 

Wie schwierig ist es, in Deutschland zu fasten? Wo ecken Sie im Alltag an?
Ich lebe seit 1979 in Deutschland. Seit 1982 faste ich. Ich habe bislang  überhaupt keine Probleme gehabt, meinen Weg als gläubiger Moslem zu gehen. Solange man sich an deutsche Gesetze hält, kann man alles machen. Frauen haben es schwerer – besonders die, die ihren Beruf mit Kopftuch im Staatsdienst ausüben wollen. Allerdings ist es in den alten Bundesländern noch immer leichter als in den neuen.

Warum?
Die Politik im Osten hat in den vergangenen Jahren Gräben aufgerissen. In Sachsen hat die AfD 27 Prozent der Stimmen. In dem Bundesland leben sind nur 0,48 Prozent der Bevölkerung Muslime. Aber 78 Prozent der Bewohner haben Angst vor Muslimen.  

Die Angst gibt es auch im Westen. Ein AfD-Abgeordneter im Bundestag, Martin Sichert, hat gerade ein Tätigkeitsverbot für muslimische Mediziner und Fahrer während des Ramadan gefordert. Er sagt, dehydrierte Chirurgen gefährdeten die Gesundheit ihrer Patienten. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Das ist reiner Populismus, der jeder statistischen Grundlage entbehrt. Die ersten türkischen Gastarbeiter, darunter auch mein Vater, kamen 1961. Sie leben seit 57 Jahren in der Bundesrepublik. Wie viele Leben haben sie im Fastenmonat Ramadan gefährdet? 

Das frage ich Sie. 
Mir ist kein einziger Fall bekannt. Dieser AfD-Abgeordnete soll doch erstmal Zahlen vorlegen und Beispiele bringen. Vielleicht kennt er ja einen türkischstämmigen Arzt in München, der einem Patienten aus Versehen im Ramadan das falsche Bein amputiert hat. 

Aber Sie können doch nicht bestreiten, dass die Konzentration nachlässt, wenn man zu wenig trinkt und isst. 
Es gibt 1,8 Milliarden Muslime auf der Welt. Sie leben in 58 Ländern. Was denkt dieser AfD-Abgeordnete? Dass das Leben dort im Ramadan zum Stillstand kommt?

Sie unterstellen ihm, dass er den Vorstoß nur gemacht hat, um gegen Muslime zu hetzen?
Ja, so schürt man Angst. So schürt man Hass. So vertieft man Gräben. Das ist unverantwortlich. 

Aber Sie müssen doch zugeben, dass so ein Fastenmonat nicht spurlos an den Menschen vorbeigeht. 
Das stimmt. Mein Vater ist jetzt 80 Jahre alt. Der hat 30 Jahre lang auf dem Bau gearbeitet, auch während der Fastenzeit. In den Semesterferien habe ich für seine Firma gejobbt. Der Job ist auch anstrengend, wenn kein Ramadan ist. Aber in 57 Jahren ist da nicht einmal etwas passiert. Und plötzlich kommt da ein Politiker daher und stellt das infrage. 

Auch im Profi-Fußball teilt man seine Sorge. Sollte es nicht Ausnahmen für bestimmte Berufe geben? 
Die gibt es doch schon. Entweder, man holt das Fasten nach, oder man kann sich für die Tage freikaufen, an denen man das Fasten bricht. Und bei Fußballern finde ich das auch angebracht. Auch Kranke, Reisende und Schwangere sind nach dem Koran ausdrücklich ausgenommen. Es ist nicht so, dass da jemand mit einer Knarre vor Dir steht und sagt: Du musst fasten. So ist es nicht. Wir sind hier nicht beim IS. Der Islam ist auf dem Wohl des Menschen aufgebaut.  

Kann man sich auch komplett freikaufen und sagen: Zum Fasten habe ich keine Lust, ich spende lieber?
Wer nicht zu fasten bereit ist, spendet auch nicht. Das ist eine Frage der Überzeugung. Er bräuchte einen trifftigen Grund, um sich freizukaufen. „Kein Bock“ als Argument reicht nicht aus. 

Wie sieht es mit Kindern aus? Grundschullehrer klagen seit Jahren, dass die Kleinen während des Ramadans unkonzentriert sind oder sogar Schwächeanfälle erleiden. 
Fasten wird erst zur Pflicht, wenn Kinder in die Pubertät kommen. Bei achtjährigen Kindern ist es gar nicht erlaubt. 

Aber es gibt Kinder, die machen es offenbar trotzdem – und das bestimmt nicht auf eigenen Wunsch. 
Ich kenne keine Eltern, die ihre Kinder in den Sommermonaten zum Fasten zwingen. So etwas wäre auch unverantwortlich. Ich frage mich allerdings, ob diese Diskussion nicht künstlich angezettelt wird. Es gibt ja Stadtteile, da sind muslimische Kinder auffälliger als andere. Und dann schieben es die Lehrer eben auf den Ramadan. 

Halten wir fest: Im Ramadan zu fasten, ist schwieriger geworden, weil sich das politische Klima für Muslime verschlechtert hat? 
Die Nachteile des Fastens werden künstlich herbei geredet. Das ärgert mich. Ich habe hier Abitur gemacht und studiert. Ich habe mich 28 Jahre lang ehrenamtlich engagiert. Es nervt mich, dass ich über so dämliche Einwände sprechen muss. Natürlich muss man über Defizite reden. Aber die sehe ich hier gar nicht. 

Wäre das nicht ein guter Anlass, um AfD-Abgeordnete zum Fastenbrechen einzuladen?
Ja, klar. Allerdings glaube ich nicht, dass das irgendetwas ändern würde. Gespräche mit der Partei haben uns gezeigt, dass es ihren Mitgliedern gar nicht um Verständigung geht. 

Sie erwarten, dass sich Politiker anderer Parteien gegen den Vorstoß von Herrn Sichert positionieren?
Auf jeden Fall. Heute stehen vielleicht Muslime im Fokus. Morgen wieder Schwule und übermorgen vielleicht wieder Juden. Wenn diese ganze Maschinerie wieder ins Rollen kommt, wer kann sie dann aufhalten? Die muss man gleich stoppen. 
 

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