Ennio Morricone - Ein Komponist mit zwei Seelen

In dieser Woche starb Ennio Morricone. Hier verabschiedet sich Bernd Wefelmeyer, einer der bekanntesten deutschen Komponisten der Gegenwart, von seinem großen italienischen Kollegen.

Ennio Morricone dirigiert 2016 in Wroclaw / picture alliance
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Autoreninfo

Bernd Wefelmeyer, geboren 1940 in Berlin, gehört zu den bekanntesten deutschen Komponisten der Gegenwart. 1993 wurde er Chefdirigent des Filmorchesters Babelsberg. 2009 erhielt er den Verdienstorden des Landes Brandenburg für die Einrichtung des Studiengangs Filmmusik an der HFF Potsdam.

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Sternstunden im Film - die fast magische Wirkung der Musik in ihrer Symbiose mit dem Bild. Nur selten gelingt dieser Idealfall, aber einem ziemlich oft: Ennio Morricone. Besonders die Musiken zu den Filmen der Amerika-Trilogie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Todesmelodie“ sowie „Es war einmal in Amerika“ entfalten eine suggestive Kraft auf den Zuschauer und -hörer, ganz besonders die fast opernhaften Leitmotive in „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Ganze fünf Töne der Mundharmonika geben dem Film die emotionale Wirkung, die den Zuschauer unbemerkt konditioniert. Daraus entwickelt sich eine Musik von großer Eindringlichkeit, die auch die große Geste nicht scheut. Morricone zeigt sich hier als Meister einer Musiksprache, die ohne modernistische Attitüde Melodien entwickelt, die von zeitloser Schönheit sind.

Ein untrüglicher Instinkt

Es erfordert eine hohe Kunstfertigkeit, durch bewusste Reduktion der Mittel, durch raffinierte Einfachheit, gepaart mit einer ebenso raffinierten Instrumentation und einem untrüglichen Instinkt für melodische Wirkungen eine Musik zu komponieren, die eine solche Wirkung auf die gesamte Hörerschaft ausübt.

Mit 92 Jahren starb dieser Komponist, der schon zu Lebzeiten zur Legende wurde. Und doch ist die Filmmusik nur der kleinere Teil seines musikalischen Schaffens. Morricone studierte am „Conservatorio Santa Cecilia“ in Rom Komposition und komponierte folgerichtig im Stil der Avantgarde der 50er Jahre Kammermusik und Orchestermusik - also absolute Musik - aus dem ästhetischen Selbstzweck heraus, durchaus experimentell und mutig, die Möglichkeiten der Interpretation und des Orchesters auslotend. Diese Arbeiten sind auch der Hauptteil seines Schaffens, bloß so kennen ihn die Wenigsten.

Keine Berührungsängste mit der leichten Muse

Und das ist das Besondere an der Persönlichkeit Morricones: dass es für ihn als akademisch ausgebildeten Komponisten keine Berührungsängste mit der sogenannten leichten Muse gab. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die immer etwas geringschätzig auf die Anderen, die aus der leichten Muse, schauen, aber auch auf die Filmkomponisten, deren Musik von der seriösen Musikkritik äußerst selten beachtet wird. Beachtet wird sie höchstens vom Filmkritiker, der, da er kein Musikwissenschaftler ist, sie mit wenigen Worten wie „passend“ oder „eindrucksvoll“ bedenkt.

Morricone arbeitete für das Varieté, als Arrangeur für die italienische Schlagerszene, für die Schallplattenfirma RCA, für das Orchester des italienischen Rundfunks RAI, er stand also im Brennpunkt der Unterhaltungsmusikszene und lernte sie kennen. Die Erfahrungen aus dieser Szene, gepaart mit den Erfahrungen auf dem Gebiet der zeitgenössischen „Ernsten Musik“ der damaligen Avantgarde, erlaubten ihm den souveränen Umgang mit den verschiedensten musikalischen Stilmitteln - eine Grundlage für seine in jeder Hinsicht einmaligen und überraschenden Filmmusiken.

Hinzu kam sein untrüglicher Sinn für symbiotische Wirkungen in der Bild-Musikstruktur, ein Markenzeichen der Musik von Morricone. Und wieder das Besondere in seiner Filmmusik: Es ist eine Musik, die auch ohne den Film, im Konzertsaal gespielt, die Zuhörer quer durch alle Schichten erreicht und verzaubert.

Warum interessierte sich niemand für seine "andere" Musik?

Die Titelmusik zu „Cinema Paradiso“ hat eine melodische Tonfolge, die zum Schönsten gehört, was je für den Film komponiert wurde. Es fehlt die übliche Periodik, und sie wirkt wie unendlich weitergesponnen in ihren melodischen Wellen, einfach schön und zeitlos. Keine Note zu viel oder zu wenig - ein Kompositionsprinzip von untrüglicher Sicherheit.

Der heutige Filmkomponist sollte nicht versuchen, den Stil von Morricone zu adaptieren. Das wird nicht gelingen. Als großer Anreger für eine mutige Bild-Musikstruktur wird er aber auch auf diesem Gebiet wichtig bleiben.

Morricone bedauerte immer, dass sein Schaffen nur auf seine berühmten Filmmusiken, besonders auf die der Italowestern reduziert wurde. „Wieso interessiert es die Leute so wenig, dass ich auch so viel weitere Musik, stilistisch ganz andere und modernere, komponiert habe?“ Dieses Zitat sagt viel über sein musikalisches Denken, aber es ist seine Filmmusik, die zeitlos ist, seinen Ruhm begründet hat und ein großes Geschenk für die Nachwelt ist.

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